Wer bin ich - und wenn ja, wie viele: „Die Kopien“ im Vestibül
Während des Studiums entzündete sich Sebastian McKimms Begeisterung für die britische Dramatikerin Caryl Churchill. Nun inszeniert er ihr Stück „Die Kopien“ im Vestibül. Ein Text, der Fragen zu Individualität, Originalität, Selbsterkenntnis, Technik und Macht aufwirft. Wir haben ihn während der Proben getroffen.
Mit sieben oder acht hätte ihm sein Vater zum ersten Mal den Hollywoodfilm „Sunset Boulevard“ gezeigt, erzählt der aus Irland stammende Regisseur Sebastian McKimm und seine Mundwinkel wandern dabei ein Stückchen nach oben. Sein Lächeln suggeriert, dass er sich der Tatsache, dass Billy Wilder beim Drehen seines Films vermutlich eine etwas andere Zielgruppe im Kopf hatte, vollkommen bewusst ist. Darum soll es jetzt aber nicht gehen. Sondern darum, dass sich McKimm noch gut an jene Momente erinnern kann, in denen ihn die Frage nicht mehr losließ, wie Wilder und seine Crew wohl die ikonische Einstiegsszene gefilmt hätten, in der Joe Gillis, gespielt von William Holden, leblos im Pool treibt. „Schon damals habe ich mir Gedanken über die Umsetzung gemacht“, hält er fest.
Obwohl der Wunsch, Film zu studieren lange Zeit in ihm herumgeisterte, entschied er sich schließlich für ein Anglistikstudium. Sein Weg führte ihn unter anderem für ein Auslandsjahr nach Paris, wo er in einem Seminar mit der britischen Dramatikerin Caryl Churchill in Berührung kam. „Zu dieser Zeit hatte ich noch nicht viele Theaterstücke gesehen. In Irland war ich nur ein paar Mal im Schultheater und erst mit 18 zum ersten Mal im irischen Nationaltheater. Mein Theaterverständnis wurde als sehr von jenen Dingen geformt, die ich auf der Universität mitbekommen habe“, so McKimm. „Mich begeistert Carly Churchills raffinierter Umgang mit Sprache. Außerdem fasziniert mich die Art, mit der sie unterschiedliche wissenschaftliche Diskurse in ihre Stücke einbaut – auf eine Weise, die ihre Literatur zu einem prismatischen Objekt von immenser intellektueller Neugier macht.“

„Definitiv kein Lehrstück“
Auch bei „Die Kopien“ ist das so. Das Stück handelt von Salter und seinem geklonten Sohn Bernard 2 – wie auch von ihrem von Gewalt und Fragilität geprägten Verhältnis. „Es ist ein Kammerspiel, das jedoch ständig zwischen dem intimen familiären Raum und größeren philosophischen, politischen und wissenschaftlichen Kontexten oszilliert“, bringt es McKimm auf den Punkt. „Das Stück greift Themen auf, die schon Mary Shelley umtrieben, als sie ‚Frankenstein‘ schrieb, die gleichzeitig jedoch unglaublich zeitlos sind. Fragen zu Individualität, Originalität, Selbsterkenntnis, Technik und Macht beschäftigen uns ja auch jetzt – in unserem von KI geprägten Zeitalter – wieder sehr. Auch die Frage, ob wir als Menschen stärker von unserem Erbgut oder von unserer Erziehung geprägt sind, hat nicht an Aktualität verloren. Obwohl man merkt, dass sie viel darüber gelesen hat, möchte Churchill diese Fragen jedoch nicht beantworten. Es ist definitiv kein Lehrstück. Sie schafft Raum für Komplexität, ohne dabei Verwirrung zu stiften.“ Auch Komik hätte ihren festen Platz im Werk Churchills, fügt der Regisseur hinzu – „es ist ein unterschwelliger, sehr schlauer, manchmal auch düsterer Humor.“
Erwähnenswert findet er auch, dass Caryl Churchill in „Die Kopien“ eine dystopische Welt imaginiert, in der Reproduktionsprozesse auch ohne weiblich gelesene Körper stattfinden können. „Wir haben es mit einer Form von Technokapitalismus zu tun, in dem es nicht nur darum geht, Kontrolle über den weiblichen Körper zu erlangen, sondern ihn vielleicht ganz aus dem Spiel zu nehmen. Das ist auch insofern spannend, weil es Wissenschaftler*innen erst kürzlich gelungen ist, lebensfähige Mäuse aus dem chromosomalen Material zweier männlicher Mäuse zu züchten“, so McKimm.
Mich begeistert Carly Churchills raffinierter Umgang mit Sprache. Außerdem fasziniert mich die Art, mit der sie unterschiedliche wissenschaftliche Diskurse in ihre Stücke einbaut – auf eine Weise, die ihre Literatur zu einem prismatischen Objekt von immenser intellektueller Neugier macht.
Sebastian McKimm
Musik, die aus den Körpern kommt
Wir sprechen auch über die Proben, in denen er mit Hans Dieter Knebel und Justus Balamohan Maier viel an der Sprache arbeitete – an den kurzen, nicht immer grammatikalisch korrekten Sätzen, an den rhythmischen Dopplungen und Halbsätzen, die Churchills Sprache so einzigartig machen. „Dieser Text erfordert den Schauspielern eine große Virtuosität und für mich als Regisseur bestand die Herausforderung unter anderem darin, trotzdem eine Klarheit hineinzubekommen“, fasst er einige der Aufgaben, die ihm und den Spielern während der Proben begegneten, zusammen.
Das Sounddesign, an dem die beiden Musiker Jakob Suske und Samuel Schaab intensiv tüftelten, entstand zur Gänze aus den Körpern der beiden Schauspieler. „Diese Idee basiert darauf, dass es im Stück ja sehr viel um den Körper und das Spüren des eigenen Körpers geht“, beantwortet McKimm die Frage nach dem dahinterliegenden Konzept. „Wir haben viel Gesprochenes und Gesungenes aufgenommen, Jakob hat das anschließend gesampelt und daraus dann die Musik gebaut. In gewisser Weise hat er die beiden also geklont“, merkt er daran anknüpfend an.
Tief in Themen einsteigen
Wir wechseln den Raum, denn draußen wartet ein Kollege, der, wie er erklärt, schon recht dringend hineinmüsste, um etwas vorzubereiten. Die geplante Interviewzeit ist bereits vorbei, doch Sebastian McKimm ist jemand, der gerne tief in Themen einsteigt. Der jedoch auch so klar und offen darüber spricht, dass man gar nicht auf die Idee käme, ihm nicht mehr folgen zu wollen. Bei der nächstbesten Gelegenheit auszusteigen. Also folgen wir ihm ins Pausenfoyer, wo wir uns darüber unterhalten, wie er nach seinem Studium als Regieassistent am Burgtheater landete. Fazit: Durch viele glückliche Zufälle. Und auch durch das britisch-irische Theaterduo Dead Centre, das in den vergangenen Jahren drei Produktionen am Burgtheater realisierte.
Dass Sebastian McKimm gerne tief in Themen einsteigt und die Gedankenströme, die er dabei freilegt, auch in geordnete Bahnen lenken kann, mag unter anderem mit seiner Leidenschaft für Literaturwissenschaft zu tun haben. Beim Inszenieren hilft ihm sein universitärer Hintergrund dabei, konzeptuell zu denken und kohärent und tiefgründig zu recherchieren, erzählt er. „Im Regieberuf geht es aber auch darum, in einer präzisen Sprache Ideen zu kommunizieren – Konzepte greifbar zu machen, sie in etwas Konkretes, Emotionales und Körperliches umzuwandeln. Um darüber eine gemeinsame Sprache zu finden. Das musste ich erst lernen.“ Seine Zeit als Regieassistent am Burgtheater hätte ihm dabei sehr geholfen, fügt er hinzu. „Man lernt nicht nur das Handwerk verschiedener Regisseur*innen kennen, sondern auch unterschiedliche Formen der Kommunikation. Außerdem habe ich erst durch die Arbeit hier verstanden, welche Mittel ich als Regisseur zur Verfügung habe. Und wie ich diese für mich ordnen kann.“
Wir verabschieden uns. Nach diesem Gespräch ist die Vorfreude, endlich wieder ein Stück von Caryl Churchill in Wien zu sehen, definitiv doppelt so groß.
Zu den Spielterminen von „Die Kopien“ im Vestibül!