Gemeine Gemeinschaft
Fritzi Wartenberg inszeniert „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“, Werner Schwabs bitterböse Satire über eine dysfunktionale Hausgemeinschaft. Für Schwabs Figuren gilt: Sie können nicht miteinander, aber auch nicht ohneeinander. Die Regisseurin weiß: Theater geht nur miteinander.
In dieser Hausgemeinschaft ist der Wurm drin. Wobei es eigentlich „sind die Wurms drin“ heißen müsste. Jedenfalls ist diese Aussage sowohl metaphorisch als auch buchstäblich zu verstehen, denn zu dem von Werner Schwab in seinem Stück „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ erdachten Mietshaus gehören neben Frau Grollfeuer und der Familie Kovacic auch Mutter und Sohn Wurm – ein mehr als nur dysfunktionales Mutter-Sohn-Gespann.
Allerdings ist es vor allem die alte Grollfeuer, die jeden Versuch, so etwas wie Gemeinschaft entstehen zu lassen, augenblicklich durchlöchert. Dafür ist sie umso eifriger, wenn es darum geht, Gemeinheiten auszuteilen. „Jeder Versuch des Miteinanders scheitert“, umreißt Regisseurin Fritzi Wartenberg den Grundkonflikt von Schwabs „Radikalkomödie“, die sie im Akademietheater auf die Bühne bringt. In gewisser Weise sei genau das ja auch eines der Lebensthemen des Dramatikers gewesen, setzt sie nach. „Als Menschen sind wir dazu verdammt, in diesem ständigen Zwiespalt zwischen der Sehnsucht nach Gemeinschaft und dem Streben nach Individualität zu leben.“
Wenn die Regisseurin, die zuletzt mit „Elisabeth!“ am Burgtheater reüssierte, an einem Stoff arbeitet, möchte sie sich in diesen nicht nur verlieben, sondern richtig verknallen, hält sie fest.
„Wenn es eine Frage zu einem Stoff gibt, die mich über Wochen oder sogar Monate begleitet, ist das ein gutes Indiz dafür, dass mich etwas daran gepackt hat. Und es sollte einen auch packen, schließlich geht man ein Jahr lang Hand in Hand mit diesem Stoff durchs Leben.“ Die daran anknüpfende Frage, ob es bei der „Volksvernichtung“ auch so ist, beantwortet Fritzi Wartenberg mit einem eindeutigen Ja. Und einem anschließenden Schluck von ihrem Soda Zitron. Wir sitzen im „Café Goldegg“ im vierten Bezirk, draußen sorgt ein heftiger Spätsommerregen für Rinnsale auf den Gehsteigen, aufgeweichte Sneaker und hochgezogene Schultern. Ein passendes Setting also, um über die sintflutartigen Ergüsse des viel zu früh verstorbenen Punks der österreichischen Dramatik zu sprechen. Und über jene Themen, die ihn seine ganze kurze Karriere über wurmten.
„Es ist aus ihm rausgeflossen. Er war wie besessen davon, diese Worte loszuwerden“, so Wartenberg.
Eine ganz normale Hausgemeinschaft? Kann nicht sein, wenn sie aus dem Kopf von Werner Schwab stammt. Der Inhalt des Stücks in aller Kürze: Frau Grollfeuer hat die beiden Familien Wurm und Kovacic zu ihrer Geburtstagsfeier eingeladen. Die Situation eskaliert und Grollfeuers Fazit lautet, dass ihr Versuch, sich in ein „Verständnis hineinzutrinken“, radikal gescheitert ist. Nie wurde das Gefühl, weder miteinander noch ohneeinander existieren zu können, eindringlicher und komischer geschildert als vom viel zu früh verstorbenen Sprachkünstler Werner Schwab.
Die Sprache als Hauptfigur
Sowohl inhaltlich als auch sprachlich hat sie dieser Text sofort in seinen Bann gezogen, führt die Regisseurin weiter aus.
„Abgesehen davon, dass sie urkomisch und bitterböse ist, hat man auch das Gefühl, es mit einer Sprache zu tun zu haben, die sich mit aller Kraft an die Weltoberfläche drücken will. Die Figuren sprechen nicht die Sprache, sondern die Sprache spricht sie. Sie ist die Hauptdarstellerin des Abends. Das hat mich total gepackt.“
Schwab, der mit nur 35 Jahren an den Folgen seines exzessiven Lebensstils starb, sei ein totaler Sprachfanatiker gewesen, fügt sie hinzu. „Es ging ihm immer um die Deutlichkeit der Worte. Durch Überhöhung und Überzeichnung hat er konstant gegen die Floskelhaftigkeit der Sprache angekämpft. Es hat ihn auch sehr beschäftigt, dass wir uns ständig sprachlichen Wendungen bemächtigen, von denen wir eigentlich gar nicht genau wissen, was sie bedeuten oder welchen Jargon wir damit bedienen. In diesen Stücken steckt so viel mehr als nur Fäkalhumor. Als philosophiebegeisterter Mensch hat Schwab konsequent versucht, am Kern der Welt zu kratzen.“
Der Akt des Sprechens bedeutet für Schwabs Figuren auch immer Anstrengung, betont Fritzi Wartenberg. „Das spiegelt sich auch in unserem Bühnenbild wider“, erwähnt sie, möchte aber noch nicht zu viel verraten. „Es gibt eine Körperlichkeit vor, mit der wir gerade intensiv arbeiten.“
Wie schon bei „Elisabeth!“ wird sie auch bei „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ wieder mit Stefanie Reinsperger zusammenarbeiten. Außerdem gehören Jonas Hackmann, Franziska Hackl, Maresi Riegner, Sebastian Wen- delin, Zeynep Buyraç und Tilman Tuppy zum Ensemble. „Mit ist sehr wichtig, mit welchen Menschen ich zusammenarbeite“, betont Wartenberg. „Ich möchte sie auch immer persönlich kennenlernen, bevor ich mich entscheide. Ich schaue mir ihre Arbeiten an, um ein Gefühl für die einzelnen Personen zu bekommen.“
Womit wir wieder bei der Frage nach der Bedeutung von Gemeinschaft wären. Dass ein respektvolles Miteinander für Fritzi Wartenberg zu den Grundpfeilern ihrer Theaterarbeit gehört, ist jedoch schon nach wenigen Interviewminuten klar. Wobei es natürlich auch zum Probenprozess gehört, dass hin und wieder der Wurm drin ist.

„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
In den vergangenen Jahren hätte sie unter anderem gelernt, dass dieser Beruf ein ständiges Ringen ist, merkt sie mit ruhiger Stimme an. „Gerade mein letztes Jahr stand unter dem Motto: ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß‘. Das ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits ist es nervenaufreibend, dass man jedes Mal neu auf die Suche gehen muss, weil es keine Zauberformel gibt, mit der sich jedes Stück lösen lässt. Andererseits empfinde ich es als großes Geschenk, dass es in diesem Beruf nie langweilig wird.“
Dass Fritzi Wartenberg weiß, wie sich Langeweile anfühlt, ist ohnehin schwer zu glauben. Noch während des Studiums brachte sie mit dem FTZN Kollektiv eigene Stücke auf die Bühne, 2022/23 inszenierte sie im Rahmen des WORX-Stipendiums am Berliner Ensemble, woraufhin ihr weitere Inszenierungen am Haus angeboten wurden.
Werner Schwab hat konsequent versucht, am Kern der Welt zu kratzen.
Fritzi Wartenberg, Regisseurin
Im Mai 2025 brachte sie den bereits erwähnten, von Mareike Fallwickl geschriebenen Text über Kaiserin Elisabeth mit Stefanie Reinsperger auf die Bühne des Burgtheaters. Dass es sich dabei um einen geschichtsträchtigen Augenblick handelte, realisierte Wartenberg erst später. „Das war tatsächlich das erste Mal, dass ein Monolog mit einer Frau auf der großen Bühne stattgefunden hat. Daran haben wir überhaupt nicht gedacht, als wir den Abend konzipiert haben. Uns hat einfach die Figur der Elisabeth interessiert.“
„Dieser Abend wird ganz anders“, schlägt sie abschließend den Bogen zu Schwabs Radikalkomödie. „Bitterböse und auf jeden Fall politisch inkorrekt.“
Wir zahlen. Fritzi Wartenberg schlüpft in ihre schwarze Lederjacke und stapft in den Regen hinaus. Hand in Hand mit jenen Fragen zu Schwabs bitterböser Komödie, die sie noch ein paar weitere Wochen wurmen werden. Jedoch in einem ganz und gar positiven Sinn.