Marie-Luise Stockinger über "Das Himmelszelt" und die weibliche Perspektive im Theater
In Lucy Kirkwoods Stück „Das Himmelszelt“ ist Marie-Luise Stockinger Teil eines fast ausschließlich weiblichen Ensembles.
In Lucy Kirkwoods Stück „Das Himmelszelt“ ist Marie-Luise Stockinger Teil eines fast ausschließlich weiblichen Ensembles. In der Rolle der Sally tötet sie ein Mädchen und muss sich anschließend dem Urteil einer Matronenjury stellen. Obwohl das Stück im Jahr 1759 spielt, könnten
viele der Themen, die darin vorkommen, nicht aktueller sein.
BÜHNE: Sally Körper steht ja im Mittelpunkt des Stücks. Was macht das mit der Rolle?
Marie-Luise Stockinger: Ihr Köper ist Gemeingut , ein Spielplatz der Männer, der Gesellschaft, die sie umgibt. Ihr wird in jeder möglichen Form Gewalt angetan. Und dann wird sie moralisch abgestraft. Ein perfides System der doppelten Stigmatisierung. Sie geht jedoch nicht ins innere Exil. Sie greift das System dieser Dorfgesellschaft an. Indem sie den geschütztesten Körper darin tötet: den eines kleinen Mädchens. Sie setzt ein Fanal.
Können Sie das noch etwas genauer ausführen?
Marie-Luise Stockinger: Der Mord an dem Mädchen ist ein Attentat auf das bestehende System, ein Akt der Emanzipation, ein Befreiungsschlag aus der Unterdrückung. Das Opfer ist die Tochter des einflussreichsten Mannes der Stadt: ein Harvey Weinstein-, Jeffrey Epstein- Charakter. Anschließend läuft Sally mit einem Haarzopf als Trophäe, einem blutigen Kleid und einem Hammer durch die Stadt.
Für die Frauen, die gemeinsam im Gericht eingesperrt werden, um als Matronenjury ein Urteil zu fällen, ist es wie eine Stunde Null. Durch Sally erkennen sie die Matrix der Welt, in der sie leben. Es geht also nicht nur um schwanger oder nicht schwanger, um schuldig oder nicht schuldig, sondern um das Unrecht das ausgeübt wird, das für diese Frauen ein gemeinsames Unrecht ist.
