Freibrief von Julya Rabinowich: In die Welt rein- und rausfallen.
Sie träumen vom gnädigen Kryoschlaf, der sie in die Ewigkeit des Daseins wiegt. Davon, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Ein monströser Narzissmus unter dem Vergrößerungsglas.
Der Tod wird vom Menschen verdrängt, so lange es möglich ist.
Eigentlich will der Mensch ewig leben. Und gleichzeitig brüllt dieser selbe Mensch: „YOLO!“, während er sich aus fahrenden Waggons hängt, die sich Tunneleingängen nähern, um das beste Selfie zu produzieren. Das Leben in Superfiltern inszenieren, während man auch auf eine verborgene Art und Weise den Tod herbeisehnt – und wenn auch manchmal nicht so offensichtlich herbeisehnt, sondern nur billigend in Kauf nimmt.
Tanz auf dem Vulkan! Das Licht am Ende des oben genannten Tunnels ist eventuell eben jenes, das einen im Drüben begrüßen will. Man kann sich auch auf völlig andere Arten und Weisen aus dem Lebensrennen nehmen: Suchtverhalten unterschiedlichster Ausprägung, auch gesellschaftlich gefördertes, gehört jedenfalls dazu. Gnadenlosigkeit im Verschleiß des Selbst.
Die Unfähigkeit, Schädigendes loszulassen. Ja, das ist der quasi selbst ins eigene Heim eingeladene Tod, den man wie einen Vampir die Schwelle überschreiten und damit Macht gewinnen lässt. Und dann gibt es natürlich auch diverse andere Möglichkeiten für die arbeitsamen Moiren, den Lebensfaden zu gestalten oder aber auch durchzuschneiden.
Choose your fighter, welches Schweinchen soll es denn sein? Klotho, Lachesis oder Atropos?
Wir fallen in diese Welt hinein und wieder aus ihr hinaus, die Welt ist ein Durchhaus, ein Laufhaus, ein Geburtshaus und ein Sterbehaus, und zwar alles das gleichzeitig. Wir dehnen unsere Lebensspanne durch die Jahrhunderte, erst 30 Jahre, dann 50, schließlich um die 80, sind aber immer noch alle gleich vor der endgültigen Begrenzung dieser gedehnten Zeitspanne.
Und auch wenn es immer mehr Jahre sind, die Jahre sind niemals genug. Fast allen nicht genug. Bis auf jene, die sich selbst hinausnehmen möchten.
Manche sind aber – oder meinen es zu sein – gleicher als andere, auch vor der Endgültigkeit des Seins. Auch vor der vorgezeichneten Auflösung ins Nichts, jene Auflösung, deren Lied jede unserer Zellen zu singen beginnt, sobald wir geboren werden. Je mächtiger Menschen werden, desto öfter scheint das Bedürfnis nach YOLO zu verblassen, wie ausgewaschenes Aquarell auf dem bestsituierten Lebenshintergrund.
Sie träumen vom gnädigen Kryoschlaf, der sie in die Ewigkeit des Diesseits wiegt. Von der Überwindung der körperlichen Gebrechen durch wiederholte Transplantationen. Die Kraft des Lebens, von anderen abgezapft. Lauter moderne Nosferatus in gestärkten weißen Hemden, Anzügen und Krawatten. Peter Thiel macht sich Hoffnungen und diese Hoffnungen werden von denen mit Macht geteilt.
„Memento mori“ ist für diese Machtvollen das Motto, sich des Todes zu erinnern und ihm gleichzeitig ein Schnippchen zu schlagen, während man die ganze Welt gefährdet – ein monströser Narzissmus unter dem Vergrößerungsglas.
Ein Mikrofon, das bei dem Treffen zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping nicht abgedreht wurde, bestätigt deren Überlegungen, die Welt möglichst lange an ihren Entscheidungen teilhaben zu lassen:
Man könne durch Organspenden auch an die 150 Jahre erreichen, tönte es aus Diktatormund. Manche wollen nicht nur gleicher sein, sondern gleich selbst zu Nosferatu werden. YOLO!