Angelika Hager: Schauen Sie sich das an!
Wie Menschen einen Theaterabend empfinden, könnte unterschiedlicher nicht sein.
Das wirklich Schöne am Herbst ist diese kribbelige Gefühl, wenn es wieder los geht. Und die Stadt ihr Theater-Füllhorn wieder auskippt. Bei fetten Premieren legt sich fast eine an ein Ländermatch gemahnende Spannung über das Foyer. Der Bussi-Bussi-Parcours unter den Kulturettis ist eröffnet.
Beim Danach im Vestibül oder der roten Bar stellt man sich beim Meinungs-Cocktail die Frage: Waren wir alle eigentlich im gleichen Stück? Denn unterschiedlicher als nach einem Theaterabend können die Eindrücke sonst nur nach Polit-Diskussionen sein.
Ich war nach den „Letzten Tagen der Menschheit” im Burgtheater geplättet vor Glück: eine radikale, hochgradig präzis verkettete Inszenierung von Dušan David Parízek des Kraus-Mammutspektakels, bei dem einen der kalte Wind der Aktualität scharf um die Ohren bläst.
„Und? Was empfinden Sie jetzt?” fragt Marie-Luise Stockinger, fantastischim Part der kriegstreibenden Reporterin Alice Schalek.
Beim Konsum der abendlichen Nachrichten kann man Dutzende Mini-Schaleks sich tummeln sehen, die kaum noch am Leben befindliche Kinder und Mütter an den Krankenbetten interviewen.
Der Abend zeigt auch, mit welchen Hochklasse-Schauspielern wir gesegnet sind: Dörte Lyssewski, in deren Stimme man ein Vollbad nehmen möchte, Michael Maertens, der wie kein anderer auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Tragik balancieren kann. „Schrecklich” oder „grauenhaft” hörte ich einige soignierte Zuschauer im Pausen-Foyer ihre Köpfe schütteln und ich konnte nicht verstehen, wie man von diesem Theatersog nicht weggeblasen werden konnte.
Einen fulminanten Start legte der neue Volkstheater-Direktor Jan Philipp Gloger mit den Eröffnungs-Premieren seines Hauses hin: Seine Szenen-Collage „Ich möchte zur Milchstraße wandern” war feinstes Spektakeltheater, politisch explosive Volksbelustigung, ein Bühnenbild und Kostüme irgendwo zwischen André Hellers Flic-Flac und Dadaismus.Gloger hat eine sichtbare Schwäche für Ösizismen.
Ein wunderbares Ensemble, das mit hoher Bluttemperatur durch die Apokalypse bretterte, gekrönt von dem begnadeten Komiker Samouil Stoyanov. Und zwei Tage später mit der Dramatisierung des Michael-Haneke-Films „Caché” in der Regie der Hipster-Regisseuse Felicitas Bruckner das totale Kontrastprogramm: ein kaltes Kammerspiel, das allerdings erst im zweiten Drittel dramaturgisch Fahrt aufnahm, mit atemraubenden Video-Installationen.
In dem Fall passend, denn es geht um einen anonymen Terror in Form von Videokassetten. Und eine große Heimkehr in Form von Johanna Wokalek. Ein nahezu schockierende Hass-Suada richtete die Kritik auf die Daniel-Kehlmann-Uraufführung „Ostern” in der Josefstadt.
Wenn man liest, mit welcher Häme da ein Abend vom renommiertesten Schriftsteller, den dieses Land hat, zerpflückt wird, denkt man sich nur:
Leute, wir Journalisten, Kritiker, Feuilletonisten haben vor allem die Aufgabe, die Menschen ins Theater zu treiben und sie nicht aus den Häusern zu vertreiben...
Die Regisseurin des Abends Stefanie Mohr mahnte auf ihrem Facebook-Profil mit einem klugen, sachlichen Text zum Abbau der Schaumkronen vor dem Mund: „(...) jeder Zuschauende wird seinen eigenen Kosmos aufmachen müssen, wenn er sich denn einlässt...”
Genau darum geht’s: Sich darauf einzulassen. Und man kann immer nur Theodor Fontane, der auch als Theaterkritiker wirkte, zitieren, dessen Meinung immer gilt:
„Ich bin nicht ungern ins Theater gegangen. Wenn ich mal da war, habe ich mich immer amüsiert, auch wenn es scheußlich war.”