Shakespeare, seine erste große Theaterliebe, hat Gernot Plass vorübergehend für einen anderen verlassen. Sie werden es dem Vorspann bereits entnommen haben – die Rede ist von Friedrich Schiller, dessen „Maria Stuart“ Plass für das TAG überschrieben und ebendort auf die Bühne gebracht hat. „Vor Schiller habe ich allergrößten Respekt“, antwortet der Regisseur und künstlerische Leiter des TAG, als wir ihn fragen, wie er seine Beziehung zu Friedrich Schiller beschreiben würde. Er setzt nach: „Shakespeares Stücke sind wilder, robuster und manchmal auch nicht so perfekt wie die seines Dichterkollegen. Während Shakespeares Unholde auch sympathisch sein können, sind bei Schiller die Bösen immer richtig böse und die Guten immer wirklich gut.“

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Die Anfänge seiner „Maria Stuart“-Überschreibung, die am 13. April im TAG uraufgeführt wurde, liegen mehr als zehn Jahre zurück. „Im Lockdown dachte ich mir, dass ich das Stück nun endlich fertig machen möchte. Das Gute an diesen großen Stoffen und Klassikern ist ja, dass sie immer aktuell sind“, so Gernot Plass, der 2009 mit „Richard 2“ seine erste Klassiker-Überschreibung im TAG inszenierte. „Ich hatte riesengroße Panik“, erinnert er sich an diesen Moment und lacht. Der Sprung ins kalte Wasser und eine gewisse Strenge mit sich selbst hätten ihm aber handwerklich viel gebracht, fügt er hinzu.

Doch nun zurück zu Schillers „Maria Stuart“, das Gernot Plass als „perfekt gebautes Stück“ bezeichnet. Die Begründung kommt wie aus der Pistole geschossen: „Bis in die kleinsten Nebenfiguren kommt es in diesem Text zu hochdramatischen Szenen, wobei eine stets die nächste auslöst und das Ganze schließlich auf perfekte Weise zu einem dramatischen Höhepunkt findet.“

Maria Stuart
Die Überschreibung von Gernot Plass ist in dieser Spielzeit noch bis 4. Juni zu sehen.

Foto: Anna Stöcher

Ein Stück für zwei starke Schauspielerinnen

Obwohl Gernot Plass Handlungsstränge und Figurenkonstellationen größtenteils aus den Originaltexten übernimmt und sich vor allem an der Sprache abarbeitet, erlaubt er sich hier und da einige Verschiebungen. So auch bei der Figur der Maria Stuart, erklärt er. „Als Katholik war Schiller eher auf ihrer Seite. Die große, edle Katholikin war Maria Stuart aber nicht, daher habe ich mir herausgenommen, das ein wenig zurechtzurücken.“  Zudem hat sich der Theatermacher dazu entschieden, sich auch ein wenig aus der Welt von James Bond zu bedienen. „In gewisser Weise ist Mortimer der Ur-James Bond, weil er von Elisabeth I. die Lizenz zu töten erhält“, so Plass lachend. Dass ihm Verweise und Verflechtungen dieser Art großen Spaß bereiten, bräuchte er gar nicht zu erwähnen, man sieht es ihm an.

Weil Theater und Fußball ohnehin viel gemeinsam haben, Elisabeth zudem klar im Abseits steht, hat auch der Fußball in seiner Inszenierung Platz. Und es bleibt nicht nur bei kleinen Anspielungen, schließlich gilt es, die Abseitsregel zu entwickeln und zu erklären. Was Schiller wohl dazu gesagt hätte? Vermutlich hätte das perfekt aufeinander eingespielte Ensemble sein Herz im Sturm erobert.

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„Schön finde ich auch, dass Schiller mit ‚Maria Stuart‘ ein Stück für zwei starke Schauspielerinnen geschrieben hat“, resümiert Gernot Plass, der Michaela Kaspar und Lisa Schrammel besetzt hat. „Ich fand es spannend, zu beobachten, dass beide in der Probenarbeit ein bisschen darum gerungen haben, sympathisch zu wirken. Das ist an sich alles andere als verwerflich, weil sie als Schauspielerinnen für ihre Figuren plädieren müssen, aber ich musste durchaus immer wieder darauf pochen, dass die beiden Frauenfiguren ihre Härte und Kälte nicht verlieren. Das sind keine bürgerlichen Heldinnen“, hält Gernot Plass fest und setzt nach einer kurzen Pause nach: „Wir haben es hinbekommen – die beiden machen das großartig."

Maria Stuart
Ein Stuhl und sonst nicht allzu viel: Wie bei vielen seiner Überschreibungen, hat sich Gernot Plass auch diesmal wieder für ein minimalistisches Bühnenbild entschieden.

Foto: Anna Stöcher

Wenn sich Engel zu Wort melden

Die Verbindungen zur Gegenwart liegen bei einem Stück, das auf solch konzentrierte Weise vom Umgang mit Macht, Exilierung und politischer Gefangenschaft handelt auf der Hand. „Die Gründung der Anglikanischen Kirche durch Elisabeths Vater hatte zur Folge, dass England, ausgehend von der römischen Kirche, sanktioniert und die Insel dadurch von Europa isoliert wurde. Der Nationalstolz, der dadurch entfacht wurde, lässt sich mit der Situation in Russland vergleichen“, geht Plass noch etwas genauer auf die Aktualität des Stückes ein. Seine Theaterkarriere begann der gebürtige Wiener zwar als Schauspieler, zur Regie fühlte er sich jedoch von Anfang an hingezogen. „Als Regisseur muss man zaubern können, sich dieser Magie aber auch bewusst sein. Man muss den Zauberkasten zusammenbauen. Das hat mich fasziniert.“

Nach und nach kam auch das Schreiben dazu. „Es gibt Texte, die liegen jahrelang in der Schublade, manchmal komme ich aber auch in einen Art Rauschzustand und der Text ist in eineinhalb Wochen fertig. Bei ‚Medea‘ war das beispielsweise so. Da habe ich dann das Gefühl, dass ein Engel über mir sitzt und mir den Text diktiert. Rückblickend frage ich mich dann manchmal, wo das eigentlich herkam“, so Plass lachend. Das mit der Magie klingt jetzt zwar wieder eher nach Shakespeare als nach Schiller, doch auch Ersterer hätte ihn schon manchmal in Schwierigkeiten gebracht. „Ich habe beispielsweise unglaublich lange darüber nachgedacht wie ich ‚sein oder nicht sein‘ überschreiben soll“, sagt der Theatermacher, bevor sich unsere Wege wieder trennen.

Auch wenn es hin und wieder Formulierungen aus der Feder Shakespeares oder Schillers gab, die ihn dazu gebracht haben, sich die Frage „sein lassen oder nicht sein lassen“ zu stellen, hat sich Gernot Plass glücklicherweise immer wieder für Zweiteres entschieden.