Wiener Staatsoper: Das Beste kommt wieder
Drei außergewöhnliche Opernproduktionen haben es aktuell auf die Liste exklusiver Wiederaufnahmen geschafft. Das Publikum darf sich im Jänner auf kalifornische Goldgräber, sizilianische Aufständische und eine moderne antike Heldin freuen. Mit Stars auf der Bühne und am Pult.
Goldener Westen
Den Anfang macht am 7. Jänner Puccinis „La fanciulla del West“, das in Marco Arturo Marellis Inszenierung – mit neuer Besetzung und unter musikalischer Leitung von Simone Young – zurück auf den Spielplan kommt. Das im deutschsprachigen Raum eher selten gespielte Werk, bei dem Puccini weniger auf eingängige Arien als vielmehr auf eine dramatische, sich stets entwickelnde musikalische Darstellung der Handlung Wert legte, ist ein echtes Kleinod für Opernliebhaber*innen.
Angesiedelt in einem kalifornischen Goldgräberlager um 1850, stehen Wirtin Minnie, gesungen von Malin Byström, und ihre Liebe zum gesuchten Räuber Ramerrez, der sich als Dick Johnson ausgibt, im Mittelpunkt des Geschehens. Als Ramerrez/Johnson gibt Yonghoon Lee sein internationales Rollendebüt, den Sheriff Jack Rance singt erstmals an der Wiener Staatsoper Wolfgang Koch.
Historischer Hintergrund
Giuseppe Verdis Grand opéra in fünf Akten „Les vêpres siciliennes“, 1855 im Rahmen der Pariser Weltausstellung in französischer Sprache uraufgeführt, stand zuletzt 2012 – in Italienisch – auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Herbert Wernickes Inszenierung aus dem Jahr 1998 wird nun am 13. Jänner unter Dirigent Carlo Rizzi wiederaufgenommen. Die dramatische und von vielen Wendungen getragene Handlung spielt vor dem Aufstand der Sizilianer gegen die Herrschaft Karls von Anjou, der am Ostermontag 1282, zur abendlichen Vesperzeit in Palermo, begann.
Heute wird das Werk meist in italienischer Sprache unter dem Titel „I vespri siciliani“ aufgeführt – so auch in Wien. Erwin Schrott singt Giovanni da Procida, Rachel Willis-Sørensen ist Herzogin Elena, und John Osborn gibt den leidenschaftlichen Arrigo.
Aufwühlender Kindsmord
Ein besonderes Wiedersehen und -hören gibt es ab 21. Jänner mit Aribert Reimanns Oper „Medea“. Das Werk des zeitgenössischen Berliner Komponisten wurde 2010 an der Wiener Staatsoper mit großem Erfolg uraufgeführt – und kehrt nun unter der musikalischen Leitung von Premierendirigent Michael Boder zurück an den Ring.
Dem Libretto liegt der dritte Teil von Franz Grillparzers Trilogie „Das goldene Vlies“ zugrunde, das die Rückkehr von Jason und Medea samt ihren beiden Kindern nach Korinth thematisiert. Da der dortige König Kreon Medea ablehnt und sich Jason in dessen Tochter Kreusa verliebt, tötet Medea die Kinder.
Nicole Chévalier ist als Medea zu sehen, Adrian Eröd verkörpert, wie schon bei der Uraufführung, Jason, Daniel Frank ist Kreon – und als Kreusa feiert Christina Bock ihr internationales Rollendebüt.
Emanzipiert. „Ich freue mich sehr auf die Wiener Inszenierung, die ich natürlich noch nicht kenne“, erklärt Malin Byström, die ihre erste Minnie in der Regie von Christof Loy in ihrer Heimat gesungen hat. „Ich denke, dass ich die Basis meines Verständnisses für das Stück und die Rolle in Stockholm gebildet habe, aber man muss immer offen sein, denn es gibt stets etwas Neues zu lernen. Die Grundlage liegt allerdings immer in der Partitur.“
Minnie ist die einzige Frau in der rauen Welt der Goldgräber und hat keine Probleme damit, sich durchzusetzen.
„Ich finde ihre Lebensart sehr modern. Man hat das Gefühl, dass zwar alle Männer ein bisschen in sie verliebt sind, es aber ein Gentlemen’s Agreement gibt, sie zu respektieren. Sie ist alles für sie: Freundin, Lehrerin, Mutter, Schwester. Jack Rance ist der Einzige, der diese Abmachung bricht, und Minnie zeigt sofort und mit Kraft, dass das nicht in Ordnung ist. Bei all ihrer Stärke ist sie aber auch sehr zerbrechlich und hat viel Verlangen nach Liebe – und nach Bildung. Dass sie Bücher liebt und gerne liest, ist ein wichtiges Thema.“ Vor allem die Freundschaften zwischen ihr und den Goldgräbern seien im Stück wunderschön gezeichnet.
„Minnie hat so viele Schattierungen, und es macht wahnsinnig Spaß, die Rolle zu singen!“
Sprachenwechsel. „Aus der Erfahrung mit ‚Guillaume Tell‘, den ich sowohl in Französisch als auch in Italienisch gesungen habe, kann ich sagen, dass dies ganz unterschiedliche Dinge sind. Im Italienischen erreicht die Gesangslinie ihren Höhepunkt an einer ganz anderen Stelle und manchmal an einem anderen Vokal als im Französischen“, erläutert John Osborn die Herausforderungen, das Stück in der italienischen Fassung zu singen.
Sogar Rhythmen und Noten würden sich an manchen Stellen ändern; dennoch: „Verdi war ein Genie, wenn es darum ging, für die Stimme zu schreiben, und schaffte stets die perfekte Verbindung zwischen dem Text und den musikalischen Phrasen. Für mich ist die Rolle des Arrigo eine sehr interessante, was Ausdruck und Charakterentwicklung angeht. Zu Beginn könnte man ihn als sehr selbstbewusst, vielleicht sogar arrogant interpretieren. Als sich herausstellt, dass sein Erzfeind sein leiblicher Vater ist, ist er hin- und hergerissen zwischen seinen Freunden, seinen Landsleuten, denen er sich eng verbunden fühlt, und dem Bedürfnis, das Andenken seiner Mutter zu ehren. Es entsteht eine wunderbare opernhafte Dissonanz und Komplexität, bis er am Ende der Oper zu seiner natürlichen Zugehörigkeit zurückkehrt.“ Wer John Osborn kennt, weiß, was ihn erwartet.
Innovationsgeist. „Für mich ist das Neue entdecken zu wollen eine Selbstverständlichkeit. Nur wenn wir uns sensibel neuen Klangwelten und Erzählungen öffnen, kann sich unsere große musikalische Kultur weiterentwickeln. Und Kunst muss sich immer entwickeln, sonst bleiben wir innerlich einfach stehen. Wagner sagte: ‚Kinder, schafft Neues.‘ Und was tun wir 140 Jahre nach seinem Tod? Wir spielen zu einem viel zu hohen Anteil immer das gleiche Repertoire. Es wirkt wie ein Sich-Festklammern an Bewährtem. Das wird uns nicht zukunftstauglicher machen. Man war da um 1900 schon bedeutend mutiger“, erklärt der Dirigent sein Engagement für moderne Musik. An der Wiener Staatsoper hat er zum Beispiel Friedrich Cerhas „Der Riese vom Steinfeld“ 2002 zur Uraufführung gebracht. Und 2010 eben „Medea“.
Was hat ihn daran gereizt, aktuell erneut die musikalische Leitung dafür zu übernehmen?
„Der Musik Aribert Reimanns fühle ich mich schon lange sehr verbunden. Natürlich verändern sich Zugang und Verständnis für ein solches Werk über die Jahre. Eine Uraufführung hat für alle Beteiligten – den Komponisten eingeschlossen – immer etwas Herantastendes. Wenn wir das Werk nun wieder zur Aufführung bringen, wird der Umgang damit sicher ein freierer sein.“