Kunst erfordert Kraft. Körperlich, mental, intellektuell. Im Ballett ist auch der radikale Wille zur Perfektion unabdingbar. Die Bereitschaft zu permanenter Entwicklung. Der Mut zur Grenzenlosigkeit. Tänzer*innen erschaffen wortlos fantastische Erzählwelten und evozieren durch artifiziellste Bewegungen intensive Emotionen.

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Liudmila Konovalova und Davide Dato – Erste Solotänzerin und Erster Solotänzer des Wiener Staatsballetts – tun dies erfolgreich seit vielen Jahren. Ab 14. September sind sie als Kitri und Basil in der aktuellen Wiederaufnahme von „Don Quixote“ zu sehen. Rudolf Nurejew erschuf seine Choreografie 1966 in der für ihn bekannt hochvirtuosen Form und tanzte Basil mehrfach selbst in Wien. Liudmila Konovalova debütierte 2010 in „Don Quixote“, Davide Dato 2012. Beide tanzten das ikonische Ballett seither etliche Male.

Hassliebe und Überlebenswille

„Dass ich damit jetzt auf die Bühne zurückkehre, ist natürlich spannend, weil ich mich als Tänzer und als Mensch in einem anderen Zustand befinde als vor elf Jahren“, erklärt der italienische Publikumsliebling, dessen gesamte Karriere eng mit dem Wiener Staatsballett verbunden ist. „Ich werde das Ganze vermutlich mit anderen Augen sehen und auch anders damit umgehen.“ In jedem Fall sei dies eine seiner schwierigsten Rollen – vielleicht die herausforderndste im klassischen Repertoire überhaupt.

„Technisch hat Nurejew alles bis zum Limit ausgereizt. Und zwar von Anfang an. Die Rolle war für mich immer eine Art Hassliebe. Wann immer ich Basil tanze, bin ich in physischer Höchstform und sehr stolz auf mich, das zu schaffen. Es ist eine Komödie, man braucht zur technischen Brillanz viel Temperament, man muss spritzig sein und Spaß vermitteln.“ Effizienz lautet ein weiteres Schlagwort, andernfalls würde man mitten in der Aufführung erschöpft umfallen.

Don Quixote
Perfektes Posing. Wien hat auch dort schöne Ecken, wo man sie nicht vermuten würde. Zum Beispiel hinter den Containern, die bis vor Kurzem noch das Ausweichquartier des Parlaments waren: Für Liudmila Konovalova und Davide Datowird selbst der Rasen zur Bühne.

Foto: Mato Johannik

„Als ich Kitri zum ersten Mal getanzt habe, wollte ich nur bis zum Ende ‚überleben‘“, erinnert sich die seit 13 Jahren am Wiener Staatsballett engagierte Erste Solotänzerin amüsiert. „Jede Nurejew-Produktion ist extrem, man muss sehr hart an sich arbeiten, sodass man technisch beinahe automatisch funktioniert, um sich auf die künstlerische Umsetzung, die Erzählung, konzentrieren zu können. Eigentlich darf man nicht viel denken, sondern man muss künstlerisch so on top sein, dass man befreit spielen kann.“ Die Schritte müssten einfach stimmen, ergänzt Davide Dato, erst dann könne man über eine Interpretation der Rollen überhaupt nachdenken.

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Weshalb hat diese Choreografie 57 Jahre nach ihrer Premiere noch immer Bestand? „Nurejew war ein Genie, es gibt keinen Zweiten wie ihn“, erläutert Liudmila Konovalova. „Er hat ein Leben lang gearbeitet und die männliche Technik auf ein anderes Niveau gebracht. Er strebte tatsächlich nach Perfektion.“ Davide Dato meint, dass allein die Tatsache, dass eine Choreografie von ihm stamme, völlig ausreiche, um auf den Spielplänen zu bleiben. Seine Kreationen – von „Schwanensee“ über „Der Nussknacker“ bis zu „Don Quixote“ – seien von zeitloser Qualität. Dass Nurejew Basil ebenfalls getanzt hat, sei für ihn „ein zusätzlicher Push, eine große Ehre und eine weitere Motivation“.

Zur Person: Liudmila Konovalova

wurde nach Absolvierung der Bolschoi-Ballettakademie an das Russische Staatsballett engagiert. Seit 2011 ist sie Erste Solotänzerin des Wiener Staatsballetts. Ihr ­Repertoire umfasst neben sämtlichen Hauptrollen in Nurejew-Balletten sowie zahlreichen ­Rollen in Choreografien von Frederick Ashton und John Neumeier auch viel beachtete Arbeiten mit zeitgenössischen Choreografen.

Bolschoi meets Hip-Hop

Liudmila Konovalovas und Davide Datos Gegenwart als flirtendes, viriles Liebespaar auf der Bühne ist keine Selbstverständlichkeit, differierten ihre Werdegänge doch recht deutlich.

Jener von Liudmila Konovalova verlief eher „konventionell“: „Wir hörten zu Hause viel klassische Musik, und ich habe früh begonnen, mich dazu zu bewegen. Das hat mir einfach Spaß gemacht. Meine Mutter hat das bemerkt und mich zu einer Ballettlehrerin gebracht, die befand, dass ich gute Voraussetzungen hätte. Da war ich vier Jahre alt. Professionell zu tanzen begonnen habe ich mit zehn Jahren an der Bolschoi-Ballettakademie. Eigentlich wusste ich immer, dass ich tanzen wollte. Diesbezüglich ähnelt mein Charakter sehr dem von Kitri, die auch stets das macht, was sie will.“

Ein wenig anders sah es bei Davide Dato aus. „Ich wollte zwar schon als Kind tanzen, aber meine Eltern fanden, dass sich moderne Formen wie Hip-Hop oder Latin Dance besser für einen Jungen wie mich eignen würden. Das wurde dann auch wirklich meine Welt. Gemeinsam mit meiner Schwester habe ich die italienische Meisterschaft gewonnen.“

Wenn dir der künstlerische Ausdruck fehlt, ist Tanzen keine Kunstform, sondern Zirkus, ein Sport.

Liudmila Konovalova, Erste Solotänzerin des Wiener Staatsballets

Bei einem Sommerworkshop stand ein intensiver Ballettkurs auf dem Programm. „Die Lehrerin meinte, ich solle unbedingt mit dem klassischen Ballett anfangen, obwohl ich bereits 14 Jahre alt war. Normalerweise beginnt man damit schon viel früher auf professioneller Ebene.“ Das habe allerdings auch seinen Ehrgeiz entfacht. „Bei Latin und Hip-Hop war ich immer der Beste, aber beim Ballett war alles anders.“ Neben den physischen Voraussetzungen brauche man vor allem Verstand und Herz, um langfristig erfolgreich zu sein, findet er. „Man muss Liebe dafür haben, ein loderndes Feuer.“

Daneben sei der Charakter ausschlaggebend, so Liudmila Konovalova. „Das Publikum sieht dich auf der Bühne wie durch einen Röntgenapparat und merkt sofort, ob du über kognitive Fähigkeiten verfügst“, umschreibt sie höflich den Begriff Intelligenz. „Alles wird sichtbar. Wenn dir der künstlerische Ausdruck fehlt, ist Tanzen keine Kunstform, sondern Zirkus, ein Sport.“ Auf der Bühne zu stehen sei für sie Freiheit. „Ich kann ein anderer Charakter sein, viele Facetten ausleben. Mein Ziel ist nicht nur die Perfektion, sondern mir geht es auch darum, eine Geschichte zu erzählen.“

Zur Person: Davide Dato

Nach seiner Ausbildung an der Ballettschule der Wiener Staatsoper ist er seit 2016 Erster Solotänzer des Wiener Staatsballetts. Der vielfach ausgezeichnete Tänzer brillierte zuletzt als Prinz Désiré in Martin Schläpfers „Dornröschen“ und wurde unlängst für sein Gastdebüt am Teatro Colón in Buenos Aires sowie an der Mailänder Scala gefeiert.

Davide Dato kann seine Bühnenleidenschaft nach eigenem Bekunden schwer beschreiben. „Man spürt das Publikum, das Licht, es ist ein außergewöhnliches Gefühl, das ich genieße. Ich bin vor jeder Aufführung aufgeregt, aber sobald ich den ersten Schritt auf die Bühne mache, hört dieses Lampenfieber sofort auf. Warum das so ist, weiß ich nicht, das könnte vielleicht ein Therapeut erklären.“

Leise Zukunftsmusik

Bleibt neben der Disziplin auch noch Energie für andere Interessen? „Oh ja“, meint Liudmila Konovalova, „das wäre anders auch nicht möglich, denn die Inspiration muss schließlich genährt werden. Ich liebe zum Beispiel die Oper, besuche Ausstellungen oder gehe einfach raus in die Natur. Außerdem habe ich vor kurzem Kulturmanagement zu studieren begonnen – online, denn analog ginge es sich zeitlich nicht aus.“

Davide Dato verzieht bei der Erwähnung der Oper ein wenig säuerlich den Mund. Er interessiert sich für Interior Design und Zukunftstechnologien, reist gerne und ist froh, dass sein Freundeskreis größtenteils aus Nichtkünstlern besteht. „Das hilft beim Abschalten.“

Irgendwann, das wissen beide natürlich, wird Schluss sein mit dem Tanz. „Ich möchte nicht so lange klassisches Ballett tanzen, bis alle sagen: Früher war sie aber besser“, so Liudmila Konovalova. „Zum Glück gibt es aber Wege, sich in andere, moderne Richtungen zu entwickeln.“ Generell sei es aber so, dass man sich als Tänzer*in in einem Alter neu erfinden müsse, in dem man in anderen Berufen längst etabliert sei. Denn Frühpensionierungen, wie früher üblich, gebe es nicht mehr.

„Ich bin immer meinem Instinkt gefolgt und mache mir auch jetzt keine Zukunftssorgen“, meint Davide Dato. „Tänzer zu sein ist eine Metapher für ein kurzes Leben. Die Seele, das Gefühl für das Tanzen bleiben vielleicht, aber die Karriere stirbt irgendwann. Das muss man akzeptieren können.“