Es gibt wohl kaum ein anderes Stück, das mit einem ähnlich großen Rucksack an Erwartungen, Bildern und Zitaten ausgestattet ist wie Shakespeares „­Romeo und Julia“. Sicher ist: Wer Romeo sagt, muss auch Julia sagen. Damit ist jedoch längst nicht gesagt, dass man die Tragödie rund um diese wortwörtlich toxische Beziehung genau so aufführen muss, wie es Shakespeare Ende des 16. Jahrhunderts ersann.

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Kaja Dymnicki und Alexander Pschill, die in der vergangenen Spielzeit mit „Amadeus“ einen Hit im Volkstheater in den Bezirken landeten, haben auf jeden Fall große Freude daran, all die Erwartungen, die sich in ebenjenem Rucksack befinden, genau zu untersuchen, um anschließend einige davon gehörig durcheinanderzuwirbeln. Passend zu einer der berühmtesten Szenen des Stücks könnte man auch sagen: Die beiden Gründungsmitglieder des ­Bronski & Grünberg Theaters im neunten Bezirk lehnen sich mit ihrer Inszenierung des Shakespeare-Klassikers ziemlich weit aus dem Fenster. „Diesen Mininervenkitzel brauchen wir einfach“, sagt Alexander Pschill lachend. Gemeinsam mit Kaja Dymnicki führt er Regie. Auch die Fassung haben sie gemeinsam geschrieben. Er setzt nach: „Die Möglichkeit, sich über unseren Blick auf das Stück aufzuregen, muss bei unseren Arbeiten immer gegeben sein. Der Trick ist aber, dass das Ding so gut gebaut und komödiantisch so präzise gearbeitet sein sollte, dass man vergisst, worüber man sich eigentlich aufregen wollte.“ Die Erwartungen zu brechen und gleichzeitig zu unterhalten, mache riesengroßen Spaß, sind sich Dymnicki und Pschill einig.
„Wir suchen uns die Titel eigentlich danach aus“, ergänzt die studierte Bühnenbildnerin Kaja Dymnicki. „Es hilft irrsinnig, wenn die Menschen im Publikum eine Geschichte gut kennen, weil man dann natürlich damit spielen kann.“

Was ist mit der Liebe?

Davon ausgenommen sind im Falle von „Romeo und Julia“ Kostüme und Bühnenbild. „Optisch werden die Erwartungen total erfüllt“, hält Kaja Dymnicki fest. Das Gespräch, das im Probenzentrum des Volkstheaters in der Tigergasse stattfindet, biegt kurz in Richtung Pumphosen ab.

Das Tragen einer solchen bleibt Pater Lorenzo vermutlich erspart, in Dymnickis und Pschills Inszenierung kommt der normalerweise eher wenig beachteten Figur dennoch eine wichtige Rolle zu. „Sein Plan, die beiden Liebenden scheintot zu machen, um auf diese Weise das Problem zu lösen, ist ja eigentlich eine Schnapsidee. Dennoch kommt er meistens gut weg, wird immer sehr ernst genommen“, erklärt Alexander Pschill. Er fügt hinzu, dass es genau diese etwas holprigen Momente in Stücken seien, die sie besonders interessieren würden. In diesen „dramaturgischen Stolpersteinen“ liege außerdem sehr viel komödiantisches Potenzial. Darüber hinaus arbeiten sie sich in ihrer Fassung auch an der Figur des Prinzen von Verona ab. „Der Prinz ist bei uns ein autoritärer Regent, er ist der große Bösewicht, der Antagonist. Ich weiß nicht, woher wir das haben. Von dieser Sorte gibt es ja gerade kaum welche“, so Alexander Pschill augenzwinkernd.

Nun aber zur vielleicht drängendsten Frage. Nein, nicht jene nach dem Verbleib von Nachtigall und Lerche ist gemeint, sondern: Was ist eigentlich mit der Liebe? Die Liebe ist in der Inszenierung gleich auf dreifache Weise vorhanden. Es gehe nämlich nicht nur um zwei Liebespaare, sondern auch um die Liebe zur Freiheit, so die beiden Theatermacher. In ihren Arbeitsprozessen spiele außerdem noch eine ganz andere Liebe eine entscheidende Rolle, hält Kaja Dymnicki fest – nämlich jene zum Detail. Das bedeutet: Jedes noch so kleine Objekt, das sich auf der Bühne befindet, ist nicht einfach nur da, sondern hat eine Bedeutung. „Wir sind Ausstattungsfanatiker. Wenn man einen Koffer braucht, warum sollte man dann nicht einen schönen Lederkoffer verwenden?“, brachte es die gebürtige Linzerin einmal auf den Punkt. Wer über Funktionalität zu sprechen beginnt, wird von der Bühnenbildnerin, Theatergründerin und Regisseurin sofort ausgebremst. Rasch ist klar: Hier wird auf Praktikabilität gepfiffen. Wobei das sogar noch untertrieben ist.

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Lieber so: Anstatt Räume und Kostüme praktisch und minimalistisch zu denken, werden lieber Konfetti in die Luft gepustet. Das sei jedoch leider nicht in allen Veranstaltungsstätten des Volkstheaters in den Bezirken möglich, wirft Dymnicki ein. „Konfetti ist unser Lebenselixier, aber wir müssen uns natürlich an die Vorgaben der Spielstätten halten“, sagt sie lachend und liefert damit die perfekte Klammer für so ziemlich alle Produktionen des Regie-Duos – und die perfekte Überschrift für diesen Artikel.

Romeo und Julia Volkstheater in den Bezirken
Stefan Lasko und Julia Edtmeier in „Romeo und Julia“.

Foto: Marcel Urlaub

Tempo und Genauigkeit

Wie alle Produktionen von Kaja Dymnicki und Alexander Pschill ist auch „Romeo und Julia“ ein Ensemblestück. „Uns geht es nicht darum, dass viele Spieler*innen einem Star dienen. Die Kunstfertigkeit einer Gruppe finden wir viel lustiger“, sind sich die beiden einig. Ihre temporeichen, genau gearbeiteten Komödien entstünden zudem immer aus einer Art von Abgrund, so Pschill. „Wenn ein Stück unterhaltsam ist, bedeutet das nicht, dass es nicht auch eine Waffe gegen Unterdrückung und Faschismus sein kann. Ganz im Gegenteil. Diese Idioten zu verspotten, sie einfach auszulachen, halte ich für ein wunderbares Mittel, um sie zu entlarven.“

Gemeinsam Regie zu führen, habe im Übrigen viele Vorteile, erzählt Kaja Dymnicki, bevor die beiden wieder zurück zur Probe müssen. „Wir vervollständigen einander. Ich bin eher der
Nerd und achte unter anderem darauf, dass eine Szene genug Aussage und Psychologie hat. Alex beherrscht die Komödie perfekt.“

Schon bald werden es Nachtigall, Lerche und Spatz gemeinsam von den Dächern Wiens pfeifen: So wurde „Romeo und Julia“ garantiert noch nie auf die Bühne gebracht. Schauen Sie sich das an!

Zu den Spielterminen von „Romeo und Julia“ im Volkstheater in den Bezirken!