Kein bisschen leise. Hans van Manen sprüht vor Energie, als wir ihn im Vorfeld der aktuellen Volksopern-Produktion „Kontrapunkte“ treffen. Bei dieser tanzt das Wiener Staatsballett seine Arbeit „Four Schumann Pieces“, die er 1975 für das Royal Ballet London schuf – gemeinsam mit Anne Teresa De Keersmaekers „Großer Fuge“ und Merce Cunninghams „Duets“. Van Manen lässt es sich nicht nehmen, den Tänzerinnen und Tänzern Details der Choreografie selbst zu vermitteln: „Ich studiere nicht ein, ich bin der Regisseur. Die Schritte haben die Tänzerinnen und Tänzer schon intus, wenn ich komme, aber ich sage der Ballerina dann, wo sie bei einer Hebung hinschaut oder wie sie abgeht. Die Blickrichtung ist bei meinen Choreografien oft sehr wichtig“, erklärt er im Interview.

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Van Manens internationaler Ruhm baut auf seiner Arbeit mit dem Dutch
National Ballet
und dem Nederlands Dans Theater auf, seine Choreografien werden von renommierten Ensembles in der ganzen Welt getanzt. Mit dem Wiener Staatsballett, kooperiert er seit Jahrzehnten.„Adagio Hammerklavier“ hatte 1977 an der Staatsoper Erstaufführung; „Five Tangos“, „Black Cake“, „Solo“, „Trois Gnossiennes“ und mehr von ihm waren ebenso zu sehen wie zuletzt „Live“. „Ich kenne die Kompanie seit den 1970er-Jahren. Natürlich hat sie sich seither sehr verändert. Es ist unglaublich, wie viel besser die Tänzer*innen heutzutage sind – wie olympische Sportler, die immer noch beeindruckendere Rekorde aufstellen.“ Auch werde „immer persönlicher getanzt, das liebe ich“.

Der Mann im Mittelpunkt

Dass seine Choreografien dadurch anders interpretiert werden als früher, „ist ja genau, was ich will. Ich finde es schön, dass sich meine Ballette verändern. Nicht die Schritte, die sind immer die gleichen. Aber wie die Tänzer agieren, macht ja den entscheidenen Unterschied aus", sagt der Choreograf. Es seien die Tänzer, die „mich leiten in dem, was ich tue." Was sein eigener Stil sei, „weiß ich gar nicht. Darüber denke ich nie nach. Aber es galt für mich immer: Ich stahl, wo ich konnte", sagt er mit einem Augenzwinkern.

Dabei ging es ihm natürlich nie um reines Kopieren: „Als Choreograf musst du, wenn du etwas Gutes siehst, überlegen, was man noch damit tun kann.“ Für ihn, der klassische Balletttechnik mit Modern- Dance-Bewegungssprache fusioniert hat, sei George Balanchine oft Anhaltspunkt gewesen: „Meine Ballette sehen nicht aus wie jene von Balanchine, aber er hat quasi immer über meine Schulter geschaut.“ Nach 150 Choreografien fand er, dass nun Schluss sei: „Man muss wissen, wann man aufhört. 150 Ballette müssen reichen.“

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Spiel aus Annäherung und Distanz

In „Four Schumann Pieces“ aus dem Jahr 1975, das nun an die Volksoper kommt, dreht sich alles um einen Tänzer, der von mehreren Paaren umtanzt wird. Manchmal huschen sie nur hinter ihm durch, mit anderen entspinnt sich in diesem Spiel aus Annäherung und Distanz einmal ein Pas de deux, dann eine Schrittfolge für mehrere. Einen Tänzer ins Zentrum zu stellen war van Manen wichtig: „Ballette wurden ja oft für Frauen gemacht, hier ist einmal ein Mann im Mittelpunkt. Er ist auf sich selbst konzentriert und entwickelt Zuneigung zu Frauen und zu Männern, schließlich bleibt er allein. Er ist wie ein Prinz, der nicht mit den Schwänen geht, der seine Giselle nicht verliert ... Männer verlieren ja in den großen Balletten immer. Er nicht. Er bleibt selbständig.“

Was Tänzer, die dieses Stück aufführen, mitbringen sollten? „Ich liebe Leute, die ein Risiko eingehen.“ Für ihn hat Tanz heute auch Parallelen zu jenem Künstler, in dessen Ausstellung er während seines Wien-Besuchs war: „Ai Weiweis Werke muss man sehen, es ist wirklich fantastisch, was er macht.“

Spricht es, entfaltet einen eleganten Schal, dessen Aufschrift man erst nach und nach erkennt – „Fuck“ –, hält ihn hoch und grinst dabei verschmitzt.

Zu den Spielterminen von „Kontrapunkte“ in der Volksoper Wien!