Was zeichnet tschechische Architektur aus?: »Wir sind humorvolle Meister im Umgang mit Limits«
Ondřej Chybík und Michal Krištof gründeten 2010 ihr eigenes Architekturbüro mit Hauptsitz in Brno. Sie wurden mit dem Vanguard Award und dem Europe 40 Under 40 Award ausgezeichnet. Im Interview sprechen sie über die Besonderheiten der tschechischen Architektur, wie sie sich im Kommunismus durch Kreativität und Effizienz entwickelt hat, und warum der internationale Austausch heute wichtiger denn je ist.
Chybik + Kristof ist eines der größten und bekanntesten Architekturbüros in Tschechien. Doch was zeichnet tschechische Architektur überhaupt aus? Ein Hintergrundgespräch mit Ondřej Chybík und Michal Krištof.
Obwohl Sie sich Ondřej Chybík und Michal Krištof mit Háčeks und Akzenten schreiben, verzichten Sie in Ihrem Büronamen darauf. Da heißt es nur Chybik + Kristof. Warum eigentlich?
Michal Krištof: Die tschechische Aussprache ist außerhalb dieses Landes niemandem zuzutrauen. Ich selbst bin gebürtiger Slowake, und auch ich kann Ondřejs gerolltes ř kaum aussprechen. Wir sind international geeicht und hören mittlerweile auch schon auf André und Mike. Ondřej Chybík Eine zumutbare Aussprache ist schon wichtig!
Tatsächlich gibt es kaum tschechische Architekten, die international bekannt sind. Worauf führen Sie das zurück?
Chybík: Tschechien, die Tschechoslowakei und damals auch die ČSSR haben großartige Söhne und Töchter hervorgebracht – nicht nur in Kunst, Musik und Literatur, sondern auch in der Architektur. Es reicht ein Blick nach Karlsbad, nach Marienbad, auf das Bauhaus in Brno, auf den tschechischen Kubismus in Prag, auf die Villa Tugendhat, auf die Messehalle in Brno, auf die Baťa-Schuhfabrik in Zlín, auf den Fernsehturm am Ještěd, der 1973 errichtet wurde, aber auch auf die Ostmoderne in Bratislava und in der heutigen Slowakei. Wir haben Baukultur immer schon gelebt.
Krištof: Aber wir haben den internationalen Austausch nie gelernt. Wir haben mit unserem reichhaltigen baukulturellen Erbe eine Art Selbstgefälligkeit und Selbstgenügsamkeit entwickelt. Wir hatten den Blick nach außen und den internationalen Austausch nie wirklich nötig. Die Folge ist, dass wir bis heute selbstreflexiv sind und irgendwie in der eigenen Suppe schwimmen.
Was zeichnet denn tschechische Architektur in Ihren Augen aus?
Krištof: Früher einmal war diese Region eine sehr internationale und polykulturelle: Ich denke da nur an Böhmen und Mähren, an Österreich-Ungarn, an jüdische Großindustrielle und an die vielen florierenden Textil- und Bekleidungsunternehmen, die sich hier niedergelassen haben. In dieser Zeit ist ein Bewusstsein für baukulturelle Qualität entstanden. Und die hat sich bis heute gehalten.
Chybík: Gleichzeitig waren wir im Kommunismus gezwungen, mit Limits umzugehen – ob das nun finanzielle, logistische oder auch politische Grenzen waren, die es nicht zu übertreten galt. Ich denke, die tschechischen Architekt:innen sind im effizienten, kreativen, raffinierten Umgang mit Ressourcen richtige Meister:innen geworden! Krištof Gelungen ist uns das alles nicht zuletzt mit ein bisschen Humor.
Das heißt?
Krištof: Ich muss oft an den braven Soldaten Josef Švejk denken, diese wahrscheinlich tschechischste Romanfigur aller Zeiten, den Jaroslav Hašek in den 1920er-Jahren zum Leben erweckt hat. Švejk ist ein überzeichneter, prototypischer Prager Charakter, der sich mit Witz und List durchs Leben schlägt und im Ersten Weltkrieg die Missstände der Armee sichtbar gemacht hat. Dieser Humor findet sich auch in unserer Baukultur.
Was sind die dringlichsten Themen für die Zukunft?
Chybík: Der gebaute Schatz in diesem Land ist gewaltig. Ich glaube, wir müssen dringend die tschechische Architektur aufarbeiten, dokumentieren und das baukulturelle Erbe für die Zukunft sichern.
Ein architektonischer Spaziergang durch Prag