Kultur-Konzentrat Turin: Ein Gespräch mit Christian Greco, Direktor des Museo Egizio
Als Direktor des Museo Egizio in Turin ist Christian Greco das Denken in großen kulturellen Zeiträumen gewohnt. Ein Interview über das Kultur-Konzentrat Turin.
Die Kulturproduktion ist hier unglaublich.
LIVING Das Motto des Museo Egizio, das voriges Jahr seinen 200. Geburtstag feierte, ist »Memory is our future«. Wie versuchen Sie, den Besucher:innen zeitgenössische Blicke auf die Vergangenheit zu bieten?
CHRISTIAN GRECO Wir können die Vergangenheit nur durch die Gegenwart verstehen. Die Geschichte ist wie ein Buch, das Tausende Seiten hat, und Tausende weitere werden noch geschrieben. Daher müssen sich Museen permanent weiterentwickeln und die kollektive Erinnerung kultivieren. Was Ägypten betrifft, ist dessen Frühgeschichte essenziell, um die Gegenwart des südlichen Mittelmeerraums zu verstehen. Noch dazu sind Museen Orte der Forschung, und neue Technologien verlangen auch nach neuen Ausstellungskonzepten.
Sie haben zum Beispiel im Museo Egizio eine Galerie zur »material culture« eingerichtet.
Mittels neuer Erkenntnisse können wir Objekte aus Holz, Ton, Textilien oder Pigmenten ihre Geschichten erzählen lassen. Sie alle wurden erschaffen, benutzt, aufgegeben, wiedergefunden und archiviert. Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Museums stellen wir über 5.000 Vasen aus, die sich wie ein Lexikon lesen lassen. Wir wollen zeigen, dass jedes Objekt seine eigene Biografie hat – wie ein Mensch.
Wie hat sich die kulturelle Landschaft Turins in den letzten Jahren entwickelt? Was macht die Stadt besonders attraktiv?
Turin ist eine große, aber nicht zu große Stadt, und hat auch dadurch eine sehr hohe Lebensqualität. Es ist hier sehr einfach, Menschen zu treffen und kennenzulernen. Es ist alles sehr konzentriert. Das trifft auch auf die Kultur zu. Wenn ich um mein Museum einen Kreis von 500 Metern ziehe, finde ich dort mehrere Museen von Weltrang wie das Museo del Risorgimento, die Galleria Sabauda, den Palazzo Madama, die königlichen Museen. Wir haben eigentlich eine Museumsinsel wie Berlin, auch wenn wir sie nicht so nennen. Aber das ist noch nicht alles: Zusätzlich finde ich dort zwei große Theater und die königliche Bibliothek.
Welche Rolle spielt die zeitgenössische Kunst?
Die Szene wächst sehr dynamisch, das liegt auch am hohen Engagement von Banken, Stiftungen und privaten Mäzenen. Die Kunstmesse Artissima bringt internationale Besucher:innen und Käufer:innen in die Stadt. Die Kulturproduktion hier ist als Gesamtes wirklich unglaublich. Und noch dazu hat Turin ausgezeichnete Universitäten und eine der ältesten Akademien der Wissenschaft in Europa. Wie brauchen junge Menschen, die unsere Kulturinstitutionen mit neuen Ideen beleben, also bin ich hier sehr optimistisch!