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Suffizienz im Office: Ein drittel der Schreibtische ist überflüssig

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30 Prozent weniger Bürofläche würden in Deutschland 20 Terawattstunden Energie sparen – so viel, wie zwei Atomkraftwerke pro Jahr erzeugen. Das wäre leicht einsparbar, denn diese Fläche wird zurzeit nicht gebraucht. Der aktuelle Trend bei Büros heißt: Suffizienz.

»Die Rückkehr ins Büro ist ein Mythos.« Andreas Gnesda sagt, was keiner hören will. Zumindest von den Unternehmen, die aktuell händeringend versuchen, ihre Mitarbeitenden wieder in die teuren Büroflächen zu bekommen. Die wollen aber so gar nicht wieder zurück in die Schreibtischburgen. Deshalb würden Unternehmen ihre Immobilienstrategie für die kommenden zehn bis 15 Jahre auch nicht realistisch planen können, sagt Michael Freitag, Geschäftsführer von Sodexo Österreich.

Fest steht, dass eine Rückkehrpflicht ins Büro in der Praxis kaum noch besteht. 99,4 Prozent der Mitarbeitenden in Österreich haben Zugang zu Homeoffice, durchschnittlich 2,4 Tage pro Woche wird remote gearbeitet. Die Präsenz im Büro liegt an einem durchschnittlichen Tag bei nur 52 Prozent. Selbst am Dienstag, dem stärksten Tag, sind maximal 68 Prozent der Beschäftigten anwesend, freitags sinkt die Zahl sogar auf 29 Prozent. Das sind unter anderem die Ergebnisse des Office Report 2025 von teamgnesda. Und jetzt kommt das Seltsame: Obwohl immer mehr Menschen immer lieber und öfter woanders arbeiten, ist der Flächenverbrauch im Büro pro Mitarbeitenden weiterhin hoch: Im Schnitt stehen jedem Beschäftigten 19,5 Quadratmeter zur Verfügung, obwohl ein Benchmark von 14 Quadratmetern problemlos erreichbar wäre. Das Einsparpotenzial ist daher also enorm: Allein in Deutschland könnten 28,4 Prozent der Büroflächen – das entspricht 126,4 Millionen Quadratmetern – eingespart werden, hat teamgnesda errechnet. In Wien wären das – geht man von sehr konservativ geschätzten 600.000 Büroarbeitenden aus – umgerechnet rund 3,3 Millionen Quadratmeter, mehr als die Fläche des sechsten und siebten Bezirks zusammen. Auch ökologisch ist das bedeutsam, 30 Prozent weniger Bürofläche würden in Deutschland 20 Terawattstunden Energie sparen – so viel wie zwei Atomkraftwerke pro Jahr erzeugen.

Die Suffizienz, die effiziente Nutzung der Flächen sei hingegen kein Drama, meint Oliver Bertram, Geschäftsführer bei teamgnesda. Desk-Sharing-Modelle galten lange Zeit als schwer vermittelbar, werden aber zunehmend akzeptiert – besonders von jüngeren Generationen. Entscheidend für die Akzeptanz ist weniger das Teilen selbst, sondern die Unternehmenskultur und der Wandel hin zu mehr Flexibilität.

Zeigt, wie es geht
Sämtliche Bürostandorte der ASFINAG wurden an dem neuen Zentralstandort im Austro Tower zusammengeführt.

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Angebot fehlt 

Nun liegt der Schluss nahe, dass es da keine neuen Büroflächen braucht. Das ist falsch. Es braucht die richtigen! Trotz der klaren Trends mangelt es an Angeboten und innovativen Nutzungskonzepten. Das betrifft so simple Dinge wie die Stromversorgung (siehe Lokale in hippen Stadtteilen, die haben schon eigene Regeln, wann wo gearbeitet werden darf und wann nicht – etwa während des Mittags-geschäfts), oder auch scheinbar banale Bedürfnisse wie Toiletten (jüngste Idee in Wien: Die Stadt zahlt Geld an Lokale, damit die Stadtbewohner:innen dort Output-orientiert sein dürfen). Positive Beispiele für neue Arbeitsflächen liefern nur ganz wenige Anbieter wie myhive (CPI Europe AG, früher Immofinanz). Sinnvolles Vorbild in Deutschland: 1000 Satellites, die Coworking-Spaces gezielt in Wohnortnähe bringen und so Pendelwege verkürzen – ein Gewinn für Mitarbeitende und Umwelt. In Österreich gibt es erste solche Ansätze: Die ÖBB haben mit andys.cc in Bad Ischl und Amstetten zwei Satellitenbüros direkt an der Bahnstrecke eingerichtet. Auch Sodexo denkt Büroflächen neu – mit sogenannten Working Cafés, die Restaurantflächen mit Arbeitszonen verschränken. Somit entstehen auf den sonst nur mittags ausgelasteten Flächen hybride und flexible Arbeits- und Begegnungszonen.

Update
Best Practices zeigen, wie es geht. Die ERGO-Versicherung in Wien konnte Flächen hochqualitativ erneuern und dabei mehr Gemeinsamkeit schaffen. Eine Reduktion bei gleichzeitig steigender Zufriedenheit. 

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Eine noch viel radikalere Mischung baut der deutsch-amerikanische Architekt Matthias Hollwich mit seinem »WorkResort« in London. Im Rahmen der Quartiersentwicklung Canada Water Dockside entwarf Hollwich ein Bürogebäude, das Büro als inspirierenden Lebensraum irgendwo zwischen Hotel, Leisure und Event-Arbeitsflächen ansiedelt. Ein Concierge-Team kuratiert Events und Freizeitangebote, die Erdgeschoßzone ist öffentlich zugänglich und bietet Coworking, Gastronomie, Markthalle und Sportangebote – das WorkResort wird so zum sozialen Knotenpunkt im Quartier. Es gibt Maker-Spaces, Virtual-Reality-Studios, Sport- und Wellnessbereiche, ein Gewächshaus, eine Community-Küche und Angebote für Familien und Haustiere. Die Nutzung ist rund um die Uhr möglich, was die Ressourceneffizienz steigert und den unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsrhythmen gerecht wird. 9 to 5 war gestern. Das WorkResort zeigt in diesem Zusammenhang vor allem eines: Suffizienz ist nicht plumpe Flächenreduktion, sie ist die Grundlage für eine wirklich lebenswerte und zukunftsfähige Arbeitswelt. Das zeigt auch der NWS, der sogenannte New Work Score, der die Reife moderner Arbeitswelten misst und erstmals in der Untersuchung von teamgnesda erhoben wurde. Unternehmen mit hohem NWS sind agiler, produktiver und effizienter. Ihr Flächenverbrauch liegt bei durchschnittlich 12,5 Quadratmetern pro Mitarbeitenden, bei den Vorreitern sogar unter zehn Quadratmetern. Große Unternehmen setzen die Prinzipien der Suffizienz besonders konsequent um und benötigen 38 Prozent weniger Fläche pro Kopf als kleine Betriebe.

Office Report 2025
Die Studie von teamgnesda zeigt: Büroflächen werden massiv übernutzt – Oliver Bertram und Andreas Gnesda fordern ein radikales Umdenken.

WorkResort
Ein völlig neues Bürokonzept aus London verbindet Arbeiten, Freizeit und Erholung – und macht das Office zum urlaubsartigen Lebensraum.

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Erschienen in
LIVING 06/2025

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Heimo Rollett
Heimo Rollett
Print-Redakteur
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