Zum Inhalt springen
© Chris Singer

LIVING Salon Gespräch: »Wo und wie wollen wir arbeiten?«

Interview

Die einen setzen auf Präsenz im Büro, die anderen fördern Teleworking und Home-Office. Doch worauf muss man achten, wenn man die Arbeit mit auf Reisen oder mit nach Hause nehmen will? Darüber diskutieren Architekt Christian Kircher, Bauträgerin Antonia Roither-Voigt und Consulterin Sabine Zinke.

LIVING: Was ist der schönste Ort, an dem Sie je gearbeitet haben?

Antonia Roither-Voigt: Ich liebe es, im Zug zu arbeiten. Der Blick hinaus in die Landschaft, die Streckenetappen mit den Tunnels und Funklöchern, die mich zeitlich strukturieren. Zu wissen, dass ich noch vor dem Flachgau alle E-Mails abgeschickt haben muss, denn dann ist es aus mit dem Signal.

Christian Kircher: Auch ich liebe es, im Zug zu arbeiten. Aber nicht unbedingt am Computer, sondern vielmehr das Nachdenken, Sinnieren, Skizzieren. Der zweitschönste Nachdenkort ist, mit dem E-Bike durch die Landschaft zu fahren.

Sabine Zinke: Ich habe mehrere Orte, abhängig von der jeweiligen Arbeit. Ich arbeite gerne im Café Florianihof. Im Sommer gerne auch im Garten, auch wenn das nicht immer ergonomisch ist. Und einmal musste ich sogar schon mal eine Zoom-Konferenz im Wohnmobil meiner Schwiegereltern abhalten.

Hat das gut funktioniert?

Zinke: Grandios! Wir leben in einer spannenden Zeit, denn mit der nötigen Kommunikationstechnologie geht heute fast alles.

Was braucht es, damit Sie sich an einem Ort gut konzentrieren und fokussiert arbeiten können?

Zinke: Ich brauche einen Tisch. Ein bisschen Raum für den Computer, eine Tasse Tee, das Handy neben mir. Und natürlich ein gutes, starkes WLAN.

Roither-Voigt: Für mich ist es die Definition eines örtlichen und zeitlichen Rahmens.

Kircher: Ich brauche mein Team. Das ist die beste Inspiration, um fokussiert zu arbeiten.

Zinke: Natürlich! Für das gemeinsame Arbeiten braucht es unbedingt die Menschen rundherum. Das Home-Office wiederum ist perfekt für Arbeiten, die man konzentriert erledigen muss. Aber mit jedem Tag, den ich nicht im Büro bin, habe ich das Gefühl, etwas Wichtiges zu versäumen.

Roither-Voigt: Die Nebenbei-Ereignisse, die Sozialisation in der Teeküche, das ungeplante, zufällige Plauscherl zwischendurch – das alles ist viel wert!

Die Macherin. Bauträgerin Antonia Roither-Voigt beobachtet schon lange die Entwicklung von Wohnen und Arbeiten. In ihren Wohnbauprojekten setzt sie daher auf zusätzlich anmietbare Office-Flächen.
arwag.at

© Chris Singer

Manche Berufe und Arbeitsprozesse ermöglichen es, dezentral und ortsungebunden zu arbeiten. Seit wann ist es üblich, Teile der Arbeit heimzunehmen?

Roither-Voigt: Ich finde, man muss die Frage anders formulieren: Wohnen und Arbeiten waren in der vorindustriellen Zeit niemals örtlich voneinander getrennt, das war immer eine Einheit – ganz gleich, ob man Schuster, Weberin oder Milchbauer war. Erst mit dem Aufkommen der Industrie wurden diese Tätigkeiten des täglichen Lebens voneinander getrennt.

Kircher: Das ist der Fluch der Moderne. In der Charta von Athen 1933 wurde festgehalten, Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Mobilität voneinander zu trennen. Damals noch aus guten, nachvollziehbaren Gründen, was etwa Lärm, Staub und Abgase betrifft. Aber diese Zeiten sind vorbei. Wir leben heute in einer leisen, sauberen Hightech-Welt, die eine Rückführung und Vermischung der Funktionen dringend benötigen würde.

Zinke: Man darf nicht vergessen, dass die Arbeitsbiografien früher eine große Kontinuität hatten. Menschen haben ein Leben lang meist nur einen einzigen Beruf ausgeübt. In manchen Kulturkreisen und ökonomischen Schichten ist das bis heute noch üblich.

Dann muss ich die Frage anders formulieren: Seit wann ist es üblich, Büroarbeit mit nach Hause zu nehmen?

Zinke: Jedenfalls nicht mit der Erfindung des Büros. Die ersten großen Büros kennen wir aus der Jahrhundertwende um 1900. In den Goldenen Zwanzigern und in der Nachkriegszeit hat das Büro als Arbeitsstätte eine Image- und technische Effizienzentwicklung erlebt. Es reicht nur ein Blick auf die Filmkultur, um sich davon ein repräsentatives Bild zu machen. Bis zum Home-Office mussten aber noch viele Jahrzehnte vergehen.

Wann war es dann so weit?

Zinke: Das mobile Arbeiten hat erst mit der Evolution der Telekommunikation und der digitalen Kommunikationsmittel begonnen. In den besonders modernen, innovativen Branchen hat das in den 1990er-Jahren begonnen – mit dem Internet und den ersten großen Mobiltelefonen.

Roither-Voigt: Wir erinnern uns noch alle an die Wählscheiben und dieses nervenaufreibende Internet-Knattern beim Einwählen ins Telefonnetz. Ich meine, dass das Arbeiten von unterwegs oder von zu Hause damals noch etwas sehr Seltenes und Privilegiertes war.

Zinke: Natürlich. So richtig aufgekommen ist das erst Mitte der 2000er-Jahre mit dem Blackberry, dem Smartphone und der VPN-Technologie. Und mit einer entsprechenden Evolution der Unternehmenskultur und des Vertrauensbegriffs in der Gesellschaft.

Das bedeutet?

Zinke: Um das dezentrale Arbeiten zu ermöglichen und zu fördern, braucht es auf der kulturellen Ebene eine gute Vertrauensbasis zwischen dem Unternehmen und den Mitarbeiter:innen. Es braucht eine gewisse Verantwortung, Emanzipation und Selbstregulation. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen, so etwas muss gut vorbereitet und auf der Führungsebene authentisch gelebt werden.

Kircher: Spannend, Ihnen beiden zuzuhören. Für mich ist das ganz anders. Ich habe keinen Arbeitsplatz in der Wohnung, und ich nehme so gut wie nie den Laptop mit nach Hause.

Warum denn das?

Kircher: Ich liebe meinen Job. Ich habe als Architekt und Lebensraumgestalter einen der schönsten Berufe, die man sich vorstellen kann. Aber es gibt auch noch ein Leben abseits der Arbeit, und dort will ich ganz einfach keine physische Präsenz des Jobs haben – keinen Laptop, keinen Drucker, kein Home-Office.

Roither-Voigt: Das geht natürlich auch ohne Home-Office-Ecke und ohne Drucker, denn – ganz ehrlich – zum Arbeiten zu Hause reicht auch ein Handy am Sofa. Aber ich verstehe genau, was Sie meinen!

Der Skeptiker. Architekt Christian Kircher schätzt die intensive Zusammenarbeit mit seinem Team. Obwohl er seinen Job liebt, ist die private Wohnung aber arbeitsfreie Zone. Der Laptop bleibt im Büro.

© Chris Singer

Sie sind alle drei in Ihren Unternehmen in leitenden Positionen tätig. Unter welchen Bedingungen erlauben Sie Ihren Mitarbeiter:innen das Arbeiten im Home-Office?

Kircher: Home-Office ist bei uns zwar eine Option, aber de facto nimmt das kaum jemand jemals in Anspruch. Architektur ist kreative Teamarbeit.

Roither-Voigt: Es gibt keine klassischen Vorgaben, aber in der Regel arbeiten unsere Leute im Büro. Ab und zu gibt es jemanden, der ein oder zwei Tage von zu Hause aus tätig ist. Abgesehen davon: Die ARWAG ist ein Bauträger, und Bauaufsicht, Spatenstiche und Behördengespräche lassen sich nur schwer von daheim erledigen.

Zinke: Wir stellen das unseren Mitarbeiter:innen komplett frei. Das Resultat ist, dass rund zwei Drittel der Leute die meiste Zeit im Büro verbringen. Die restlichen 33 Prozent mischen das, sind mal da und mal dort. Und es gibt ein paar vereinzelte Personen, die überhaupt wenig Zeit im Büro verbringen. Wir bei M.O.O.CON setzen auf Eigenverantwortung. Und ja, das hat sich bewährt.

Wie hoch ist die Home-Office-Rate unterm Strich?

Zinke: Schwer zu sagen, denn oft sind die Mitarbeiter:innen ja auch auf Reisen, bei Kund:innen oder in Workshops. Ich würde sagen: 40 Prozent.

Gibt es Arbeiten, die im Home-Office nicht gestattet sind?

Zinke: Bei uns nicht.

Roither-Voigt: Das hängt sehr stark vom jeweiligen Unternehmen ab. Manchmal ist es zum Beispiel untersagt, zu Hause Dokumente auszudrucken oder Online-Log-ins und Transaktionen mit Firmen-Passwörtern zu tätigen.

Was ist wichtig, wenn man sich daheim ein Home-Office einrichtet?

Kircher: Zu den wichtigsten Gestaltungskriterien zählen Raum, Licht und Ergonomie. Ich erlebe immer wieder, dass die Arbeitsbereiche viel zu eng sind – kleine Tischchen, auf denen neben dem Laptop kaum noch irgendwas Platz hat. Auch bei der Beleuchtung gibt es Verbesserungspotenzial, denn häufig ist das Licht zu kalt, zu schwach und zu gering in der Ausleuchtung des Arbeitsplatzes. Und natürlich muss der Arbeitsplatz – egal wo – ergonomisch sein und ein aufrechtes, bequemes und auch gesundes Sitzen ermöglichen.

Zinke: Außer man arbeitet gern auch mal am Sofa so wie ich! Die gemütlichen Lümmelplätze wie Sofa, Fauteuil oder Kaffeehaus werden übrigens gerne auch im Büro genutzt. Die Leute lieben die Abwechslung.

Kircher: Wir bei Smartvoll achten bei unseren Projekten natürlich auch darauf, dass die Lounge, die Kantinen und die Pausenbereiche, wenn wir ein Büro gestalten, eine gewisse Wärme, Geborgenheit und Gemütlichkeit ausstrahlen. Ein bisschen wie in einer Hotellobby. Letztendlich aber geht es oft um beinharte Pragmatik. In den meisten Fällen bekommen wir eine Zahl vorgelegt, was ein Arbeitsplatz in der Möblierung maximal kosten darf. Da bleibt nicht viel Spielraum.

Die Innovatorin. Sabine Zinke hat schon viele Unternehmen strategisch beraten und in Change-Prozessen begleitet. Entsprechend zukunftsorientiert ist sie auch bei M.O.O.CON: Home-Office ist Teil der Firmenkultur.
moo-con.com

© Chris Singer

Inwiefern spielt das Thema Home-Office im Wohnbau eine Rolle? Schlägt sich das auch in den Wohnungsgrundrissen nieder?

Kircher: Das kommt auf die Sparte, Rechtsform und Preisklasse an. Die Corona-Pandemie hat das Arbeiten nach Hause gebracht, und kurzfristig war das Thema natürlich in allen Gesellschaftsschichten sehr präsent. Heute nehme ich wahr, dass es eine gewisse Sensibilisierung gibt, dass das Thema Arbeit im Wohnkontext nicht mehr komplett ausgeklammert wird – aber direkte Auswirkungen auf Grundrisse hat das nicht. Wie ist da Ihre Wahrnehmung?

Roither-Voigt: Ich sehe das ähnlich. Das gewünschte Arbeitszimmer geht sich für viele finanziell nicht aus. Die Realität ist, dass man im Wohnzimmer oder am Küchentisch arbeitet. In den allerbesten Fällen gibt es irgendwo in der Wohnung eine kleine Nische oder einen etwas abgetrennten Bereich, der sich für einen Schreibtisch eignet.

Kircher: Am spannendsten finde ich, wenn es irgendwo im Wohnverband – und sei es im Vorzimmer – eine Nische, eine Aufweitung, einen eigenen Bereich gibt, den man vielleicht mit einem Vorhang separieren kann. Solche abtrennbaren Jokerflächen sind wichtig und werden gerne zum Arbeiten genutzt.

Im Stadterweiterungsprojekt Village im Dritten baut die ARWAG gerade das sogenannte Stadtregal mit individuell anmietbaren Home-Office-Einheiten. Wie genau funktioniert das System?

Roither-Voigt: Das ist ein Projekt, das wir gemeinsam mit Gerner Gerner Plus und Heri & Salli Architekten machen. Und in einem der Trakte gibt es entlang des Ganges nicht nur Wohnungen, sondern auch kleine, anmietbare Büros mit 20 bis fast 40 Quadratmetern. Das Angebot richtet sich natürlich an die Mieter:innen im Haus, aber nicht nur! Auch Interessenten aus dem Grätzel sind gerne willkommen. Jede Mieteinheit besteht aus einem Büro mit WC und Anschlussmöglichkeit für eine kleine Teeküche.

Zinke: Ein schönes, spannendes Konzept! Wie stark reglementiert ist die Nutzung dieser Mini-Büros?

Roither-Voigt: An sich sind diese Einheiten wirklich als Arbeitsräume gedacht. Aber wenn jemand den Raum als Lagerfläche oder als Erweiterung der eigenen Wohnung nutzt, dann ist das seine freie Entscheidung.

Was sind die Trends und Marktentwicklungen für die Zukunft?

Zinke: Wir sehen, dass das Arbeiten – ob im Büro, zu Hause oder irgendwo unterwegs – immer mehr die Qualität eines gemütlichen Wohnens annimmt. Natürlich braucht es nach wie vor ergonomische und gut ausgestattete Arbeitsplätze, aber die Räume für Pausen, Meetings und informelle Begegnungen werden immer wohnlicher.

Kircher: In unseren Städten erleben wir derzeit enorme Leerstände in den Erdgeschoßen. Ich denke, dass wir in den Erdgeschoßlokalen, in denen wir früher noch eingekauft haben, vielleicht schon bald in Gemeinschaft arbeiten werden. Erste Projekte gibt es bereits.

Roither-Voigt: Und was das Wohnen betrifft, so geht der Trend eindeutig in Richtung Flexibilität: Mehr Freiheit im Wohnen, im Arbeiten, im Gestalten der Räume, die man benötigt, und auch im Anmieten und oder nur Nutzen von zusätzlichen Flächen.

Zu den wichtigsten Gestaltungskriterien eines Arbeitsplatzes zählen Raum, Licht und Ergonomie. Zudem müssen Lounge, Kantinen und Pausenbereiche eine gewisse Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlen – ein bisschen wie in einer Hotellobby. – Christian Kircher, Partner bei Smartvoll

Wo auf der Welt würden Sie sich gerne einen Arbeitsplatz einrichten? Gibt es einen Traum?

Roither-Voigt: Ich bin begeisterte Seglerin, und ich würde gerne länger auf einer Segelyacht arbeiten und mich im Raum-Zeit-Kontinuum verlieren.

Zinke: Eine Woche lang allein auf einer Almhütte wohnen, kochen, essen, schlafen, arbeiten …

Kircher: Wir wollen unser Büro einmal für einen ganzen Sommer nach Kopenhagen verlegen.

Welchen Teil der Arbeit würden Sie niemals mit nach Hause nehmen?

Roither-Voigt: Protokolle schreiben.

Kircher: Den Designprozess. Da brauche ich meine Leute dazu.

Zinke: Meine Leute.

 

Die Gesprächspartner:innen

Sabine Zinke (53) studierte Psychologie in Wien und arbeitete zunächst in der Finanz- und Baubranche in Österreich und in der Ukraine, u. a. bei Raiffeisen und Alpine Bau. Seit 2015 ist sie für das Consulting-Unternehmen M.O.O.CON tätig, das sich als Begleiter für Mensch, Organisation und Objekt versteht. Seit 2025 ist sie Co-Geschäftsführerin. Projekte: Daimler,
Voestalpine, Wien Energie, ÖAMTC,
Mediashop, Deutsche Bahn, Adidas u. a.
moo-con.com

Antonia Roither-Voigt (47) studierte Landschaftsplanung in Wien. Sie war zunächst im öffentlichen Dienst in der Stadtplanung und dann bei BIP Immobilien Development und der Bauträger ARWAG Holding AG tätig. Seit 2024 ist sie Geschäftsführerin der ARWAG Bauträger Gesellschaft. Im Village im Dritten in Wien baut die ARWAG aktuell das »Stadtregal«, ein Wohnhaus mit anmietbaren Office-Einheiten, Fertigstellung im Juni 2025.
arwag.at

Christian Kircher (47) studierte Architektur an der TU Wien und gründete 2013 mit
seinem Partner Philipp Buxbaum das Büro Smartvoll Architekten. Zu den bekanntesten Projekten zählen die Panzerhalle Salzburg (2015), der Service-Treff Wiener Stadtwerke (2020) und die Großwärmepumpe Wien-Simmering (2023). Für das Projekt Handelszentrum 16 in Bergheim wurde er mit dem Architekturpreis des Landes Salzburg ausgezeichnet.
smartvoll.com

Erschienen in
LIVING 01/2025

Zum Magazin

Wojciech Czaja
Mehr zum Thema
1 / 11