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(c) Stefan Gergely

Von Vanillekipferl bis Beton: Der Einfluss von Düften auf Architektur und Alltag

Interview
Architektur

Der Geruchssinn ist nicht nur in der zwischenmenschlichen Liebe und Kommunikation, sondern auch in der Architektur und in der Lebens­raum­gestaltung präsent. Über die olfaktorische Komponente und die Grenzen zwischen Wohl­befinden und Manipulation sprechen Food-Designer Martin Hablesreiter, Pharmazeut Alexander Ehrmann und der Immobilienvermittler Thomas Hopfgartner.

Düfte begleiten uns überall – sie wecken Erinnerungen, beeinflussen unsere Stimmung und spielen sogar in Liebe und Architektur eine Rolle. Doch wie wichtig ist der Geruchssinn heute wirklich? Und wie unterscheiden sich unsere Duftvorlieben kulturell und geografisch? Thomas Hopfgartner, Martin Hablesreiter und Alexander Ehrmann sprechen über ihre Lieblingsdüfte, die Bedeutung von Gerüchen im Alltag und warum dieser oft unterschätzte Sinn unsere Wahrnehmung so intensiv prägt.

LIVING: Haben Sie ein Lieblingsparfum?

Thomas Hopfgartner: Mein Lieblingsparfum aktuell ist Tom Ford, »Fucking Fabulous«. Der Duft ist großartig. Auch der Flakon und die Aufmachung sind sehr ansprechend.

Martin Hablesreiter: Ich habe ehrlich gesagt kein Lieblingsparfum. Das ändert sich täglich, wöchentlich, monatlich – und ist von ganz vielen Faktoren wie Wetter, Jahreszeit, Stimmung und persönlicher Verfassung abhängig.

Alexander Ehrmann: Mein Lieblingsparfum rieche ich am liebsten an meiner Frau, und zwar »Chanel N°19«. Das ist der schönste und beste Duft der Welt!

Gibt es ganz generell einen Duft in Ihrem ­Alltag, den Sie gerne haben? Ich beispielsweise muss jedes Mal ein paar tiefe Atemzüge nehmen, wenn ich an einem Schuster vorbeigehe.

Ehrmann: Seit Corona gehe ich viel ­spazieren. Und was mir damals, als die Stadt leer und verkehrsberuhigt war, besonders aufgefallen ist, war der Duft von Linden. Der Burggarten und Franz-Josefs-Kai riechen diesbezüglich besonders gut.

Hopfgartner: Ich bin italienisch und ­südländisch angehaucht: Amalfiküste und Zitronen!

Hablesreiter: Ich mag den Geruch des Burgtheaters. Und ganz nebenbei finde ich es toll, dass es in Wien nicht mehr nach ­Hundekacke riecht. Hoffentlich wird der Abgas­gestank auch bald verschwinden. Der Geruch ist ein sehr wichtiger, archaischer Wahrnehmungssinn, der die gesamte Fauna und Flora prägt.

Welche Rolle spielen Duft und Geruch beim heutigen Menschen?

Hablesreiter: Der Geruch ist die intensivste und an Reizen dichteste Wahrnehmung, die wir haben. Und sie ist auch die erste, letzte und nachhaltigste. Der Geruch von Vanillekipferln und Weihnachts­bäckerei ganz allgemein ist deshalb so sehr von Geborgenheit und Wohlbefinden geprägt, weil auch die Muttermilch, die wir als Baby zu uns nehmen, einen vanilligen Geruch hat. Und ich finde es faszinierend, dass auch am anderen Ende des Lebensspektrums der Geruch eine große Rolle spielt: Wenn wir an Demenz erkranken, sind die Dufterinnerungen die allerletzten, die verschwinden.

Hopfgartner: Duft ist auch ein wichtiger Lebens- und Liebesindikator. Bei der Nahrungsaufnahme ist der Duft oft entscheidend über Leben oder Tod, um es mal dramatisch zu formulieren, und auch in der Liebe und beim Sex ist dieser Sinn zentral und ­omnipräsent.

Ehrmann: Die Tatsache, dass wir Achsel- und Schamhaare haben, hat vor allem sexuelle Gründe. Auf diese Weise kommunizieren wir miteinander, auf diese Weise wissen wir, wen wir als attraktiv erachten und wen nicht. Wenn es nun Mode ist, sich die Intimbehaarung wegzurasieren, dann hat das dramatische Konsequenzen, denn damit verändert sich das gesamte olfaktorische System.

Ein Blick in die Geschichte: Seit wann sind Duft und Geruch kulturell erfasst? Seit wann gibt es so etwas wie eine Duftkultur?

Hablesreiter: Seit Jahrtausenden! Alle Arten von Gewürzen sind mehr oder weniger geschmacklos, sie zeichnen sich in erster Linie durch den Duft aus. Und wenn man bedenkt, welches Risiko die Menschen früher auf sich genommen haben, um über Land und über Wasser an neue Gewürze zu gelangen, dann kriegt man eine vage Idee von diesen historischen Ausmaßen: Zimt, Muskat, Kardamom. Es wurden sogar Kriege darum geführt!

Gibt es geografische, klimatische und kultu­relle Unterschiede in dem, was wir als ­angenehmen Geruch auffassen?

Ehrmann: Und wie! Die herben, intensiven Düfte wie Zimt, Muskat und Kardamom kennen wir aus dem arabischen und ­indischen Raum. Der arabische Raum ist zudem sehr bekannt für süße, blumige Düfte wie etwa Rosenwasser. Europa und der Norden hingegen sind in ihren Düften wesentlich kühler, trockener, harziger und holziger. In der Regel haben die kulturellen Vorlieben mit dem ­Klima und den einheimischen Pflanzen vor Ort zu tun. Daraus hat sich eine jahrtausendelange Duft- und Geschmackskultur gespeist. Aber natürlich haben sich unsere Vorlieben durch die Handelsrouten zunehmend ­durchmischt.

Hopfgartner: Wobei es spannend ist, dass manche Düfte und Duftfamilien fast global beliebt sind. Ich denke da nur an Nuancen von Basilikum oder etwa an die
riesige Welt rund um die Zitrusfrüchte.

Interessant, dass Düfte eine verbindende Wirkung haben können. Und auch eine trennende! Manchmal birgt der Geruch sogar soziales, kulturelles Konfliktpotenzial. In der U6 in Wien wurden zu Beginn Pizza und Kebab verboten, in vielen Wohnhausanlagen herrschen regelrechte Koch- und Geruchskriege zwischen den Nachbar:innen.

Hablesreiter: Knoblauch, Kümmel, Curry, Sauerkraut oder etwa fermentierte Produkte – das ist ein sehr heikles und auch gefährliches Thema. Ich denke, es ist wichtig, in der Begegnung gewisse Spielräume auszuhandeln. Und manchmal bleibt nur noch übrig, einander aus dem Weg zu gehen. Die Redewendung »Man kann sich nicht riechen« kommt nicht von ungefähr!

Gemeinsam mit Ihrer Partnerin Sonja ­Stummerer betreiben Sie das Büro honey & bunny und forschen schon seit vielen Jahren im Bereich Essen, Schmecken, Riechen.

Hablesreiter: Wir forschen und verstehen uns als Künstler:innen. Es ist faszinierend, wie viel man mit Riechen erreichen kann! Manchmal machen wir Performances in einem eher gehobenen Ambiente, aber sobald man beispielsweise Essen auf Erde platziert und sich der Duft von Erde im Raum ausbreitet, wird das eben noch steife Publikum mit einem Schlag sanft und sinnlich. Faszinierend!

Bleiben wir beim Raum. Architektur arbeitet vor allem mit den Sinnen Sehen, Tasten und Hören. Riechen und Schmecken spielen eine untergeordnete Rolle. Warum ist das so?

Hopfgartner: Ich denke, das hängt auch damit zusammen, wie wir über Räume denken und sprechen und wie wir sie in den Medien kommunizieren. Etwas schaut toll aus, in der Stadt ist es laut, in der Luxusvilla am Land ist es leise, Stoffe sind flauschig, Beton ist hart und kalt – und Zeitungen, Zeitschriften, Instagram und viele andere Onlinemedien fokussieren sich überhaupt nur auf das Bild.

Ehrmann: Mit der Coronakrise hat sich das meiner Meinung nach stark verändert. Wir hatten Masken auf, die Nasen waren verstopft, und viele von uns haben temporär für ein paar Tage oder Wochen sogar den kompletten Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Zum allerersten Mal haben wir uns intensiv über das Riechen ausgetauscht und uns gedacht: »Wow! Riechen ist aber schon wichtig!« Seit der Pandemie hat dieser Wahrnehmungssinn deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen.

Der Kuchenbäcker: Thomas Hopfgartner glaubt an die Kraft des Duftes und bereitet für Besichtigungstermine 
in hochpreisigen Immobilien in der Küche einen Gugelhupf zu. Zudem werden die Häuser mit einem eigens kreierten Raumparfum besprüht.
livingdeluxe.com

Der Kuchenbäcker: Thomas Hopfgartner glaubt an die Kraft des Duftes und bereitet für Besichtigungstermine in hochpreisigen Immobilien in der Küche einen Gugelhupf zu. Zudem werden die Häuser mit einem eigens kreierten Raumparfum besprüht. livingdeluxe.com

(c) Stefan Gergely
Der Geruchskünstler: Martin Hablesreiter beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Schmecken und Riechen von Nahrungsmitteln. Dass die Vanillekipferln zu Weihnachten so wohlig duften, sagt er, hat vor allem mit frühkindlichen Prägungen zu tun. 
honeyandbunny.com

Der Geruchskünstler: Martin Hablesreiter beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Schmecken und Riechen von Nahrungsmitteln. Dass die Vanillekipferln zu Weihnachten so wohlig duften, sagt er, hat vor allem mit frühkindlichen Prägungen zu tun. honeyandbunny.com

(c) Stefan Gergely
Der Parfummacher: Alexander Ehrmann ist Pharmazeut und 
Kosmetiker und hat schon die ungewöhnlichsten Raumdüfte entwickelt. Was wir gerne 
riechen und was nicht, hat dabei vor allem mit dem Klima und den heimischen Pflanzen zu tun.
saint-charles.eu

Der Parfummacher: Alexander Ehrmann ist Pharmazeut und Kosmetiker und hat schon die ungewöhnlichsten Raumdüfte entwickelt. Was wir gerne riechen und was nicht, hat dabei vor allem mit dem Klima und den heimischen Pflanzen zu tun. saint-charles.eu

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Und? Wie riechen denn nun Räume?

Hopfgartner: Komplett unterschiedlich! Das kommt darauf an, welche Materialien ­verbaut sind: Holz, Stahl, Beton, Stoffe, diverse Naturprodukte. Das kommt aber auch auf das Wetter, die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit an, und, und, und. Geruch ist immer da.

Riechen billige Wohnungen mit Laminat­böden, Kunststofffenstern und Dispersions­farbe an den Wänden anders als hochwertige Wohnungen im Luxussegment?

Hopfgartner: Selbstverständlich. Wenn hochwertige Hölzer, Lehmputz, Kalkfarbe und andere natürliche Baustoffe zum Einsatz ­kommen, dann schlägt sich das natürlich auch auf den Geruch nieder.

Hablesreiter: Und natürlich riechen Räume auch nach den Menschen, die sie nutzen und bewohnen. Die Wohnung meiner Oma hat nach Oma gerochen. Und ich habe diesen Geruch geliebt. Und als die Oma krank geworden ist und Medikamente zu sich genommen hat, hat sich ihr Körpergeruch verändert – und damit auch der Geruch der Wohnung. Und plötzlich ist das Wohlig-Vertraute weg, und dann stellt sich sogar ein gewisses Unbehagen ein.

Ehrmann: Hier sind wir dann wieder bei den Parfums oder beim Überlappen mit Raum­düften, denn in der Kosmetik befassen wir uns unter anderem damit: Wie kann man den Eigengeruch eines Menschen oder auch den Duft eines Raumes mitgestalten und positiv beeinflussen?

Wie leicht ist das?

Ehrmann: Sehr schwer! Es ist eine Grat­wanderung.

Hablesreiter: Das Überdecken von Düften ist eine ganze Industrie! Ich denke da nur an die künstlichen Raumdüfte, die heute im Fernsehen beworben werden. Und ich finde es zum Kotzen, dass uns die Putzmittelindustrie eingeredet hat, dass Sauberkeit riecht – nach Limette, nach Lavendel, nach Aloe vera. So ein Blödsinn!

Manche Brands, Geschäfte, Shoppingcenter und Hotelketten haben einen eigens entwickelten Geruch. Scent-Branding nennt sich das im Fachjargon. Seit wann wird das praktiziert?

Hopfgartner: In Asien und im ­amerikanischen Raum schon länger, bei uns erst seit kürzerer Zeit. Mittlerweile gibt es fast keine Marke mehr, die nicht damit ­arbeitet. Doch die Gratwanderung zwischen Wow und Ekel ist mitunter sehr schmal, man kann mit Signature-Düften auch wirklich viel zerstören. Es gibt eine Luxusmodemarke, die ich sehr schätze, allerdings kann ich die Shops momentan nicht betreten. Es stinkt!

Herr Ehrmann, Sie haben für diverse Auftrag­geber schon etliche Düfte kreiert. Wie geht man bei so einem Projekt vor?

Ehrmann: Wie bei jedem anderen Projekt auch. Mit einem Auftragsklärungsgespräch, mit einem gemeinsamen Kennenlernen, mit dem Erfassen und Verstehen von Wünschen und Bedürfnissen. Das ist ein schöner, aber auch schwieriger, komplexer Prozess. Ich kann mich an einen Auftrag erinnern, als mich eine Bank kontaktiert hat und meinte: »Wir hätten gerne einen Duft, der Vertrauen schafft.«

Wow! Wir komponiert man Vertrauen?

Ehrmann: Abstrakt, oder? Wir haben mit ­Zitrusnoten – mit Orange und Grapefruit – und einem Hauch Lorbeer gearbeitet, also mit üblicherweise sehr vertrauten Duftnoten. Interessant in dieser Hinsicht ist, dass man bei intensiven Düften synthetisch arbeiten muss. In der Natur kommen diese Intensitäten nur selten vor.

Also kein Risiko beim Thema Vertrauen?

Ehrmann: Auf gar keinen Fall! Also bitte ­keine Rose, kein Lavendel, kein Sandelholz, kein Moschus! Das sind zwar wunderbare Düfte, aber sie treffen nicht immer den Geschmack der breiten Masse. Sie spalten die Menschen in ­Liebende und Hassende.

Herr Hopfgartner, auch Sie haben für Ihr Unternehmen Living Deluxe einen eigenen Duft kreiert, und zwar zusammen mit dem italienischen Parfümeur Culti Milano.

Hopfgartner: Ja, wir verwenden den Raumduft, um damit unsere Immobilien vor der Besichtigung zu besprühen. Wir haben mit Sandelholz und Zitrusfrüchten gearbeitet. Ich war mit einer sechsköpfigen Jury bei Culti Milano, und haben dort so lange gerochen und ­verkostet, bis wir eine Lösung gefunden haben.

Hablesreiter: Interessant! Wie reagieren denn die Besucher:innen darauf?

Hopfgartner: Sehr gut. Und wir geben unseren Kund:innen nach der Besichtigung auch einen Raumduft mit nach Hause. Es geht um die Schaffung einer angenehmen Rundumatmosphäre. Aber wir gehen sogar noch einen Schritt weiter.

Das heißt?

Hopfgartner: Frische Blumen, Kaffee und Tee. Und manchmal backen wir in der Küche vor Ort auch einen Kuchen.

Ehrmann: Sie backen echt einen Kuchen?

Hopfgartner:  Ja, meistens einen Gugelhupf.

Wo liegen denn die Grenzen zwischen Wohl­befinden und Manipulation?

Hopfgartner: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich manipuliere. Ich und meine Mitarbei­ter:innen, wir wollen einfach nur eine schöne, angenehme Gesprächs- und Besichtigungs­situation kreieren. Das ist mein Verständnis von Gastfreundschaft.

Hablesreiter: Als Designer und Künstler muss ich Ihnen widersprechen: Gestaltung ist immer Manipulation! Aber ich finde das auch gar nicht schlecht. Sie haben hier eine wunderbare Idee kreiert.

Hopfgartner: Interessant ist ja, dass uns das bislang noch niemand nachgemacht hat – und das, obwohl ich in den Medien offen darüber spreche.

Kommen wir zum Ende: Welchen Geruch vermissen Sie in der heutigen Stadt? In Ihrem Alltag?

Hopfgartner: Ich vermisse den Geruch von Brot in der Stadt.

Hablesreiter: Den Geruch von Regen und Schnee.

Ehrmann: Ich vermisse das Meer, die frische Meeresbrise.

Und welchen Geruch würden Sie selbst gern ­einmal kreieren?

Hablesreiter: Oh Mann, die Frage über­fordert mich. Ich denke gerade an Krapfen vom »Demel«. Aber danach will ich nun ­wirklich nicht riechen.

Ehrmann: Für mich wäre das ein Duft mit Sandelholz. Ich liebe Sandelholz.

Hopfgartner: Eindeutig und ohne jeden Zweifel: Zitrusfrüchte.

Erschienen in
LIVING 09/2024

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Wojciech Czaja
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