Perfekte Materialien für jeden Einsatz: Profis im Gespräch über die Vorteile von Natur- und Kunststoff
Ob Holz, Lehm oder synthetische Materialien – wir umgeben uns täglich mit einer Vielzahl an Baustoffen. Interior-Architektin Sophie Pfeffer, Produktdesigner Matthias Ritschl und Materialentwickler Christoph Egger verraten im Interview, wann natürliche Baustoffe ideal sind und wo synthetische Materialien ihre Stärken gekonnt ausspielen.
Ob in der Architektur, im Design oder bei alltäglichen Gegenständen – die Wahl des richtigen Materials spielt eine entscheidende Rolle. Dabei geht es nicht nur um Ästhetik, sondern auch um Funktionalität und Nachhaltigkeit. Sophie Pfeffer legt ihren Fokus auf die Konzeption und Einrichtung von stark beanspruchten öffentlichen Räumen wie Hotels, Büroräumen und Restaurants mit hoher Besucherfrequenz (destilat.at). Christoph Egger erschafft seit 14 Jahren wunderschöne Platten und Tapeten aus natürlichen Materialien wie Schafwolle, Heu, Kaffee, Kakao und Rosenblüten, die oft nach Jahren noch feine Düfte verströmen (organoids.com). Matthias Ritschl hingegen kümmert sich um Hygiene, Tragekomfort und Atmungsaktivität – insbesondere in Bereichen, die empfindlich auf Gewicht reagieren, wie Knie, Schulter und Wirbelsäule (produktive.at). Die drei Expert:innen teilen ihre Expertise mit LIVING und geben Einblicke, welche Werkstoffe ihre Arbeit prägen und welche Kriterien bei der Materialwahl besonders wichtig sind.
Manche haben eine -Lieblingsfarbe, andere haben ein Lieblingsmöbel, haben Sie ein -Lieblingsmaterial?
Sophie Pfeffer: Ich habe vor zwei Jahren ein altes Bauernhaus im Burgenland gekauft, und da haben wir neben Kalkfarben aus raumklimatischen Gründen vor allem mit Lehm gearbeitet. Großartig!
Matthias Ritschl: Für mich ist es Holz. Ein spannendes Material, das sich gut bearbeiten lässt. Ich saniere gerade alte Holzkastenfenster, eine echt wunderschöne Arbeit, da merkt man erst, wie langlebig so ein Fenster ist.
Christoph Egger: Bei mir sind es alle Arten von natürlichen Baustoffen: Holz, Stein, Lehm, Stroh und Heu.
Wie sommertauglich sind diese Baustoffe?
Pfeffer: Lehm ist ein guter Temperatur-Regulator und Feuchtigkeitsspeicher. Wir haben im Haus wirklich angenehme Raumtemperaturen, keine Spur von Schwitzen!
Ritschl: Bei Holz kommt es sehr auf das -Einsatzgebiet an. Gebäude, die komplett in Holzleichtbau errichtet sind, haben zu wenig speicherfähige Masse für die sehr kalte und die sehr heiße Jahreszeit. Aber abgesehen davon funktioniert Holz natürlich auch im Sommer wunderbar.
Egger: Wenn man einmal über natürliche, nachwachsende Materialien nachgedacht und festgestellt hat, unter welchen Bedingungen sie gedeihen, dann weiß man auch, dass sie sehr hitze- und feuchtigkeitsresistent sind.
Pfeffer: Wobei Resistenz und Resilienz nicht heißen, dass sich die Baustoffe nicht verändern dürfen!
Wie meinen Sie das?
Pfeffer: In Österreich und Deutschland neigen wir zur Perfektion. Alles muss immer gleich schön sein, darf sich nicht verändern, darf keine Patina und Gebrauchsspuren aufweisen. Daher wird bei uns tendenziell alles lackiert und zugespachtelt. Ganz anders etwa in Italien, Spanien oder Japan, wo Materialien auch wirklich schön altern dürfen und wo es ein Verständnis dafür gibt, dass eine Küche nach 30 Jahren einfach anders ausschaut als am Tag eins. In Japan hat diese Imperfektion sogar einen eigenen Namen: Wabi-Sabi.
Was ist Ihnen lieber?
Pfeffer: Im Geiste bin ich ein Wabi-Sabi-Mensch. Aber wir haben das große Glück, dass wir Kund:innen haben, die ähnlich denken und eine ähnliche Vorliebe für Patina und Gebrauchsspuren haben.
Egger: Bei Organoid arbeiten wir mit nachwachsenden Rohstoffen und Pflanzenfasern wie etwa Heu, Gras und Blumen. Natürlich sind die Produkte nicht so strapazierfähig wie Kunststoffoberflächen oder Holz, das liegt in der Natur der Stoffe.
Bislang haben wir vor allem über natürliche, naturbelassene Materialien gesprochen. Doch Fakt ist, dass wir uns in unserem Alltag vor allem mit synthetischen Baustoffen umgeben.
Ritschl: Das stimmt! Dabei hat der Einsatz von synthetischen oder auch industriell gefertigten Materialien wie etwa Kunststoff, Aluminium oder Kohlefaser in vielen Einsatzbereichen große Berechtigung – und zwar überall dort, wo Naturfasern nicht die nötige Stabilität und auch nicht die nötige Hygiene aufweisen.
Also durchaus wichtige Themen!
Ritschl: Wichtige Themen, die in unserem Alltag von zentraler Bedeutung sind. Das betrifft beispielsweise den Einsatz in der Küche, im Labor, im Krankenhaus, aber auch Gegenstände, die großen dynamischen und sicherheitskritischen Belastungen ausgesetzt sind – ob das nun Werkzeuge, Flugzeuge oder Prothesen am menschlichen Körper sind. Bei einer Prothese muss ich mit Kunststoffen und Leichtmetall arbeiten. Naturprodukte kommen aus Gründen der Belastbarkeit, der Langlebigkeit und der Hygiene nicht infrage.
Pfeffer: Auch in der Architektur sind manche synthetische Materialien nicht mehr wegzudenken. Ich denke da nur an Brandschutz, an Beschichtungen, Dämmungen, Abdichtungen und an Elastomere im Brückenbau. Das sind alles hochstrapaziöse Anforderungen, die ein natürlicher Baustoff nicht erfüllen kann.
Egger: Dem kann ich nur zustimmen. Natürlichen Baustoffen sind da gewisse Grenzen gesetzt – zumindest dann, wenn man sie nicht chemisch oder physikalisch weiterbehandelt oder wenn man sie nicht beschichtet.
Welche Rolle spielen synthetische Materialien im Interior-Bereich?
Pfeffer: Eine sehr große, und sie werden immer mehr! Der dänische Produzent Kvadrat hat hier schon sehr viel Pionierarbeit geleistet und macht viel im Recyclingbereich, etwa Teppiche aus 100 Prozent PET-Flaschen-Rezyklaten. Da tut sich echt viel.
Ritschl: Bei Teppichen, Vorhängen und Sitzbezügen für Gastronomie, Hotellerie und öffentliche Verkehrsmittel macht das durchaus Sinn. Aber ich habe heute zufällig ein sogenanntes »kühlendes« T-Shirt an, das zu 40 Prozent aus rezyklierten PET-Flaschen besteht. Und glauben
Sie mir, das ist alles andere als perfekt atmungsaktiv! Außerdem sind Mischgewebe wie diese, sobald man mal PET-Flaschen mit Baumwolle verwoben hat, nur mehr mit sehr viel Aufwand sortenrein zu trennen.
Wo sind diese Materialien preismäßig angesiedelt?
Pfeffer: Leider noch viel zu teuer. Die PET-Rezyklate sind exklusive, hochwertig verarbeitete Produkte mit sehr komplexen Liefer- und Produktionsketten, die noch lange nicht im Preissegment von Otto Normalverbraucher angekommen sind. Man muss wirklich hinterfragen, inwiefern Nachhaltigkeit vom Gros der Gesellschaft überhaupt gelebt werden kann.
Herr Egger, wie geht es Ihnen mit der Verkunststofflichung und Versynthetisierung, in der wir uns heute befinden?
Egger: Das Phänomen, das Sie hier ansprechen, ist bei Weitem nicht neu. Ich komme aus dem ländlichen Raum, bin in einem sehr natürlichen Ambiente aufgewachsen, doch ich kann mich erinnern, dass auch meine Eltern und Großeltern schon auf Plastik abgefahren sind – ob das nun Tupperware, Plastiktischtücher oder Resopalmöbel waren. Der Kunststoff ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken, und das ist bis zu einem gewissen Grad auch legitim.
Ritschl Die Frage ist nur: Wo und wie ist der Einsatz von Kunststoff sinnvoll und zweckdienlich? Und wo nicht?
Wie wird’s weitergehen?
Egger: Ich habe unlängst eine Prognose gehört, und darin heißt es, dass man Ende des Jahrzehnts mehr Erdöl für die Herstellung von Plastik einsetzen werden wird als für die Mobilität. Spritzgussanlagen für Einwegverpackung sprießen leider aus dem Boden. In dieser disruptiven Zeit, in der wir uns befinden, weiß ich nicht, ob das eine Botschaft ist, über die ich mich freuen soll oder nicht.
Sie selbst verarbeiten mit Ihrem Unternehmen Organoid ausschließlich natürliche Rohstoffe. Wie kam es dazu?
Egger: Mein Partner Martin Jehart und ich haben das Unternehmen 2010 gegründet, wir stammen beide aus Tirol, sind umgeben von Almen, Wiesen und Wäldern und hatten eines Tages die Idee, aus schnell wachsenden Rohstoffen ökologische Platten, Tapeten und Werkstoffe für den Interior-Bereich zu entwickeln – ganz einfach aus einem tiefen Bedürfnis heraus.
Welche Stoffe verarbeiten Sie ganz konkret?
Egger: Heu, Kornblumen, Rosenblüten, Lavendel, Kaffee, Kakao, Flachs, aber auch tierische Produkte wie etwa Schafwolle. Manche davon kaufen wir von Bäuer:innen und Almbesitzer:innen an, andere Stoffe, wie etwa Kaffee und Kakao, übernehmen wir als Abfälle aus der Lebensmittelproduktion.
Wie viele verschiedene Produkte haben Sie im Sortiment?
Egger: Die Standardpalette umfasst rund 40 zertifizierte Rezepturen. Insgesamt haben wir rund 500 verschiedene Produktmischungen im Portfolio.
Und was ist das Einsatzgebiet?
Egger: Es ist ein vor allem ästhetisches und atmosphärisches Material. Das Heu ist sehr atmungsaktiv, kann Luftfeuchtigkeit aufnehmen und abgeben und hat einen guten Duft. Wir setzen das Material vor allem in Ladenbau, in der Gastronomie und in der Hotellerie ein.
Ritschl: Wie lange bleibt denn der Geruch bestehen?
Egger: Das kommt auf die Pflanze an. Der Rosenduft ist nach einigen Monaten verflogen. Aber Heu beispielsweise kann so gut Luftfeuchtigkeit aufnehmen und auch wieder abgeben, dass es nach zehn Jahren immer noch duftet.