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(c) Johannes Kernmayer

Dietmar Feistel und Christoph Steinbrener: »Bei der Konzeptpräsentation von Francis waren wir alle ziemlich nervös«

Interview

Zwei Menschen, zwei Meinungen: Demnächst wird der Wiener Franz-Josefs-Bahnhof wiedereröffnet. Er präsentiert sich als schimmernde Edelstahllandschaft mit einem auffälligen Kunst-am-Bau-­Projekt. Doch wie genau gestaltet sich so eine Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen? Ein Gespräch mit Architekt Dietmar Feistel und Künstler Christoph Steinbrener.

Residences: Welche konkreten Erinnerungen verbinden Sie mit dem Franz-Josefs-Bahnhof?

Dietmar Feistel: Ich bin 1986 zum Studieren von Vorarlberg nach Wien gekommen, ich hatte eine Wohnung ganz in der Nähe, und dann bin ich eines Tages hierhergekommen, um in der Bank ein Konto zu eröffnen. Ich kann mich noch gut an den ersten Eindruck erinnern: die Fahrt hinauf auf der Rolltreppe, die ver­spiegelte, abweisende Fassade, eine Mischung aus Faszination und Grauen.

Christoph Steinbrener: Mein erster Eindruck war: was für ein absolut grauen­volles, anonymes Gebäude! Die einen lieben den Franz-Josefs-Bahnhof, die anderen hassen ihn.

Wie kommt es, dass ein Bauwerk in der Bevölkerung so stark polarisieren kann?

Feistel: Weil es ein großes, autistisches Gebäude ist, das etwas sehr Intransparentes, Geheimnisvolles hat und sich nicht schon auf den ersten Blick erschließt.

Steinbrener: Was ja an sich nichts Schlechtes ist! Eine Stadt braucht dieses Rauschen, dieses Anecken. Wenn ich mich durch eine Stadt bewege, dann will ich mich auch ärgern und aufregen können, dann will ich Gesprächsstoff haben, Konfliktpotenzial!

Die Wiener Immobilienentwicklerin Michaela Mischek-Lainer hat den Franz-Josefs-Bahnhof einmal als »großen, stinkenden Wal, der hier gestrandet ist und den neunten Bezirk entzweit«, bezeichnet. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Feistel: Das ist schon etwas hart formuliert, mich überzeugt vielmehr das Bild eines gestrandeten Kreuzfahrtschiffs.

Wie würden Sie, wenn wir die polemische Ebene verlassen, die architektonische, baukulturelle Qualität einschätzen? Immerhin waren sogar die Architekten Harry Glück und Karl ­Schwanzer sehr unglücklich mit dem Bau und haben sich von diesem Projekt nach der ­Eröffnung 1978 öffentlich distanziert.

Feistel: Karl Schwanzer wollte an den vier Ecken ursprünglich vier Hochhäuser errichten, was ihm allerdings verwehrt wurde. Um die nötige Fläche dennoch unterzubringen, wurde das Haus dann immer breiter und breiter. ­Unterm Strich ist das Gebäude ein Kompromiss, den so niemand wollte.

Herr Steinbrener, Sie scheinen sich für den Komplex schon lange zu begeistern. 2016 haben Sie auf der Baustelle im Althan Quartier die Skulptur »Lunch Atop« realisiert.

Steinbrener: Der Franz-Josefs-Bahnhof steht ja nicht alleine da, sondern ist Teil eines riesengroßen Komplexes. Der Immobilienentwickler 6B47 hat uns damals gebeten, hier am Areal ein Kunstwerk zu realisieren. Also haben wir auf dem Dach des ehemaligen Postgebäudes einen zwölf Meter langen Stahlträger über die ­Straße auskragen lassen – mit fünf lebensgroßen Figuren, die da draufsitzen und gerade Pause machen.

Ein bekanntes Motiv!

Steinbrener: Ja, die Skulptur »Lunch Atop« war ein Zitat auf eine sehr berühmte Schwarz-Weiß-Fotografie aus dem Jahr 1932, und zwar auf die Bauarbeiter, die auf der Baustelle des Rockefeller Center gerade Mittagspause machen. Dieses Motiv wollten wir aufgreifen: Wir wollten den Bauarbeitern am Franz-Josefs-Areal ein temporäres Denkmal setzen.

Feistel: Man hat dieses Ding von überall ­gesehen! Wirklich eine schöne Arbeit.

Steinbrener: Dankeschön!

Herr Feistel, 2016 haben Sie gemeinsam mit Josef Weichenberger und querkraft architekten an einem kooperativen Verfahren teilgenommen. Was kam dabei heraus?

Feistel: Von Anfang an gab es den Wunsch, das Areal aufzulockern und zu durchbrechen –nicht nur optisch, sondern auch funktional, mit Möglichkeiten, das Grundstück zu durchqueren und die Fußwege in diesem Teil des neunten Bezirks zu verkürzen. Gemeinsam mit Bür­ger:innen-Vertreter:innen und Vertreter:in­nen der Stadt Wien wurde damals ein städte­bauliches Leitbild erstellt. 2018 wurde dann ein Hochhaus-Wettbewerb ausgeschrieben, den das Wiener Büro Artec gewonnen hat, allerdings wurde das Projekt nie realisiert. In der ­Zwischenzeit haben wir für den Kopfbau am Julius-­Tandler-Platz mit Josef Weichenberger unterschiedliche Varianten der Revitalisierung erarbeitet – und dabei die großen Potenziale des Bestandsgebäudes entdeckt.

2021 haben Sie für das Projekt dann ein Kunst-am-Bau-Projekt erarbeitet. Wie kam es dazu?

Steinbrener: Wir hatten den Bau schon lange unter Beobachtung, und je mehr er Gestalt angenommen hat, desto mehr hat es uns gekitzelt, hier auch einen künstlerischen Beitrag zu leisten. Also haben wir den Developer 6B47 kontaktiert, der uns daraufhin beauftragt hat, ein Konzept zu machen.

Herr Feistel, wurden Sie in den Prozess von ­Anfang an involviert?

Feistel: Nein. Die erste Anbahnung war zwischen Bauherr und den Künstlern. Wir wurden danach involviert, als klar war, dass es nun zu einer Zusammenarbeit kommen wird.

Steinbrener: Natürlich ist so ein Prozess vor allem am Anfang sehr delikat, denn solange der Bauherr keine endgültige Entscheidung gefällt hat, muss die Kommunikation sehr diskret sein.

Hatten Sie einander davor schon gekannt?

Feistel: Vom Namen und von den Projekten her schon, aber nicht persönlich.

Steinbrener: War schon spannend, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Ich habe den Austausch als schön und befruchtend erlebt. Irgendwie hat die Chemie von Anfang an gepasst. Und als es dann so weit war, euch das Konzept zu präsentieren, war ich ziemlich nervös.

Feistel: Na und ich erst!

Warum waren Sie beide nervös?

Steinbrener: Weil die Balance zwischen Rücksichtnahme auf bestehende Architektur und die Einflussnahme durch einen persönlichen Kommentar, durch eine künstlerische ­Intervention immer eine Gratwanderung ist.

Feistel: Ich kann mich erinnern: Unmittelbar vor dem Präsentationstermin habe ich mir gedacht: »Hoffentlich passt’s!«

Und? Hat’s gepasst?

Feistel: Ja, voll! Als Steinbrener/Dempf & Huber das Modell enthüllt haben, hat sich in mir eine Mischung aus Erleichterung und Begeisterung breitgemacht.

Wieso denn das?

Feistel: Weil es ein lustiges und auch intelligentes Konzept war, das das Projekt um eine ganz neue Facette bereichert, ohne es zu stören. Wirklich feine Klinge!

Steinbrener: Genau das war unsere Absicht. Perfekt.

Wie genau haben Sie denn interveniert?

Steinbrener: Wir haben uns zunächst mit der Geschichte des Ortes beschäftigt. Vor einigen Jahrhunderten stand hier – ­anstelle des »Francis« – ein Jagdschloss mit großen Jagdgründen rundherum. Doch schon in unmittelbarer Nähe floss die ­damals noch unregulierte Donau vorbei. Die Gegend war geprägt von Sumpfgebieten, und wir hatten zu dieser Zeit gerade historische Bilder entdeckt – von Menschen, die sich bei Hochwasser auf Stelzen über Land ­bewegen. Dieses Element haben wir über­nommen – indem nun vier Figuren auf Stelzen an der Fassade hochklettern oder in luftigen Höhen an den Baumassen hängen. Feistel Und das Tolle daran ist, dass hier nicht etwas Fremdes zum Gebäude addiert ­wurde, sondern dass die vier Figuren, die ihr geschaffen habt, mit dem Haus in eine sehr ­lustvolle Interaktion treten. Durch die Kunstam Bau wirkt das neue »Francis« noch offener, noch zugänglicher.

Die Figuren haben Lebensgröße, wirken aber auch ziemlich deformiert. Was ist da passiert?

Steinbrener: Wir haben zunächst einmal mit kleinen Modellfiguren gearbeitet, die üblicherweise in Architekturmodellen verwendet werden, Maßstab eins zu 20 oder eins zu 50. Wir haben sie zerschnitten und mit Superkleber neu zusammengefügt. Diese neu arrangierten Figuren haben wir dann gescannt und in Lebensgröße im Maßstab eins zu eins in Aluminium gegossen.

Fesistel: Ich finde diese Verfremdungen mit diesen wulstartigen Klebespuren sehr interessant. Es entsteht ein sehr surrealer Eindruck.

Steinbrener: Genau darum ist es uns ­gegangen. Wir wollten das Modellhafte inszenieren, und nun ist das neue »Francis« wie ein hochskaliertes Architekturmodell, an dem nun vier lebensgroße Figuren herumturnen.

Gab es in der Zusammenarbeit je einen schwierigen Moment?

Feistel: Nein, nicht wirklich. Bloß an einem Punkt hat die Kommunikationsqualität ­zwischen uns etwas nachgelassen.

Und zwar?

Feistel: Die Künstler hatten die ganze Zeit von einem dunklen, gedeckten Rostrot gesprochen. Doch dann, ein paar Wochen vor der Produktion, hat sich die Oberflächenfarbe geändert. Plötzlich waren die Figuren nicht mehr rostrot, sondern hatten einen Grünspan

Steinbrener: Haben wir das euch nicht kommuniziert?

Feistel: Doch, doch, aber es war weniger ein aktives Einbinden als vielmehr eine Information über bereits vollendete Tatsachen.

Steinbrener: Als wir realisiert haben, dass nicht nur die ÖBB, sondern auch andere Unternehmen Rot in ihrem Logo verwenden und wir zudem der neuen, glatten Hochglanzoberfläche etwas entgegensetzen wollten, kam die Idee auf, stattdessen mit Patina-Grün zu arbeiten, also eine Grünspananmutung zu verwenden.

Was sind die Learnings aus diesem Projekt?

Feistel: Wir haben wirklich gut zusammen­gearbeitet, und ich bin mit dem künstlerischen Beitrag von Steinbrener/Dempf & Huber mehr als glücklich. Für die Zukunft jedoch würde ich mir aber wünschen, dass Bauherr, Architekt:in­nen und Künstler:innen noch früher zusammenkommen und dass der Kunstbeitrag noch früher ins Projekt eingebunden wird.

Steinbrener: Guter Punkt!

Was nehmen Sie aus dieser Zusammenarbeit mit?

Feistel: Ich hatte zuvor noch nie mit einem Kollektiv zu tun. Das waren spannende Gespräche – und auch ein guter, wohltuender Einblick in eure Prozesse! In gewisser Weise habt ihr mehr Freiheiten als wir Architekt:innen, und darum beneide ich euch!

Steinbrener: Ich wiederum freue mich, dass wir endlich mal mit DMAA zusammenarbeiten konnten. Ich kenne eure Projekte schon seit langer Zeit, und nun konnten wir in einem ­davon einen Beitrag leisten.

Bitte vervollständigen Sie diesen Satz: ­Steinbrener/Dempf & Huber ist für mich …

Feistel: … eine schöne Mischung aus ­Ernsthaftigkeit und Humor, kombiniert mit allergrößtem Engagement und null Eitelkeit.

DMAA Delugan Meissl Associated Architects ist für mich …

Steinbrener: Ich wollte dir das gleiche ­Kompliment aussprechen! DMAA ist für mich ein Büro, das eine sensible, bescheidene und wohldurchdachte Arbeit an der Stadt leistet.

Dietmar Feistel (57)

studierte Architektur an der TU Wien. Seit 1998 arbeitet er für das Wiener Architekturbüro DMAA Delugan Meissl Associated Architects, seit 2004 ist er Partner. Zu den bekanntesten Projekten zählen das Festspielhaus in Erl, das Porsche Museum in Stuttgart, das Eye Film Institute in Amsterdam und der Zoologische und Botanische Garten in Taiyuan, China. Aktuell widmet sich das Büro den Themen ­Energiegewinnung und Kreislaufwirtschaft. dmaa.at

Christoph Steinbrener (64)

studierte ­Bildhauerei bei Bruno Gironcoli an der ­Akademie der bildenden Künste und arbeitet als Künstler und Bildhauer. Gemeinsam mit Rainer Dempf und Martin Huber leitet er das Wiener Künstlerkollektiv Steinbrener/ Dempf & Huber. Der Fokus richtet sich auf Arbeiten und Installationen im öffentlichen Raum, u. a. »Delete!« in Wien (2005), »­Capricorn Two« in Hamburg (2015), »­Cliffhanger« in den Ötschergräben (2020) und »Victory Spikes« in München (2022). steinbrener-dempf.com

Erschienen in
Ausgabe 02/2024

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Wojciech Czaja
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