Der Popstar unter den Planer:innen: Bjarke Ingels im Architekturporträt
Mit seinen Projekten schafft er es, die Grenzen des Machbaren und scheinbar Gewohnten um ein paar Milli- oder auch Kilometer zu verrücken. LIVING hat den » Gewohnheitsverschieber« in seinem neuen Büro in Kopenhagen besucht.
Beton, Lichtlinien, düsteres Grau, diagonal abgesägte Galerien, dazwischen immer wieder stählerne Treppenkörper, die schräg und windschief im Raum liegen und scheinbar ungeordnet eine Ebene mit der anderen verbinden. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine dunkle, farblich entsättigte Zeichnung von M. C. Escher, ist in Wahrheit das neue Headquarter und damit die neue Denk- und Zeichenzentrale des dänischen Architekturbüros BIG. Das Akronym steht nicht nur für die nach dem Gründer benannte Bjarke Ingels Group, sondern impliziert – mit einem frechen Augenzwinkern – auch die Größe und Großartigkeit des Masterminds, respektive des mittlerweile 50-jährigen Enfant terrible.
Bjarke Ingels, der Backstreet oder auch Pet Shop Boy unter den Architekten, legte vor etwa 15 Jahren einen raketenartigen Start hin und arbeitete sich mit seinen Projekten in kurzer Zeit zu einem der bekanntesten, gefragtesten Architekturbüros der Welt hoch. Er baute Hochhäuser in Frankfurt, New York, Vancouver, Quito und Singapur, er zauberte Museen an den entlegensten Orten dieses Planeten, und er schaffte es, mit Programm und Provokation namhafte Auftraggeber aus aller Welt für sich zu gewinnen – ob Lego, Google oder den Schweizer Uhrenhersteller Audemars Piguet.
Ein verstecktes Juwel
Und nun kreierte er an der Spitze von Sundmolen im Hafengebiet Kopenhagen sein eigenes Büro. Die 4.500 Quadratmeter Nutzfläche inmitten von Lagerhäusern und maritimer Infrastruktur, umzingelt von Schiffen und Kränen, sind nicht nur eine Arbeitsstätte, sondern auch eine dreidimensionale Visitenkarte für den mittlerweile weltbekannten Superstar. Hinter der siebenstöckigen Kreativmaschine verbirgt sich grüner, CO2-reduzierter Beton, der in Zusammenarbeit mit Unicon entwickelt und bei dem der Zement zum Teil durch Kalk und kalzinierten Ton ersetzt wurde, sowie jede Menge kluger Technologien wie etwa Solarkraft, Geothermie und Betonkernaktivierung. Unterm Strich können auf diese Weise 84 Prozent des Wärmebedarfs und sogar 100 Prozent des Kühlbedarfs abgedeckt werden. »Dieses Grundstück ist ein verstecktes Juwel in der Stadt«, sagt Bjarke Ingels. »Was früher ein Parkplatz war, ist nun ein Impuls, eine begehbare Skulptur, die von den wunderschönen Küstenlandschaften Dänemarks und innen von meinem Lieblingsarchitekten, vom barocken Meister Giovanni Battista Piranesi, inspiriert ist. Die Pflanzen am Dach und im Park rundherum spiegeln wider, was hier einmal natürlich gewachsen ist, bevor die Menschen den Hafen errichtet haben. Für mich ist dieses Gebäude eine Hommage an Kunst und Natur, an Vergangenheit und Zukunft, an Bodenständigkeit und neue Technologien.«

BIG-Headquarter, Kopenhagen: In dieser kreativen Zentrale, die seit wenigen Monaten in Betrieb ist, entstehen jene Projekte, mit denen die Bjarke Ingels Group die Grenzen des Machbaren nach außen verschiebt. Das Projekt ist nicht zuletzt ein Impulsgeber für den gesamten Hafen. big.dk
(c) Laurian GhinițoiuDer höchste Berg des Landes
Eines der innovativsten Projekte aus seiner Feder ist ohne Zweifel die Müllverbrennungsanlage CopenHill im Kopenhagener Stadtteil Amager. Obwohl 15 Prozent der dänischen Bevölkerung begeisterte Skifahrer:innen sind, misst der höchste Berg des Landes gerade mal 170 Meter. CopenHill soll Abhilfe schaffen: Während in den darunterliegenden Hallen täglich Müll aus rund 150.000 Haushalten verbrannt und in Wärmeenergie transformiert wird, kann man mit dem Schlepplift in 90 Meter Höhe hinauffahren und dann eine 400 Meter lange Piste hinunterwedeln. »Menschen werden von Gewohnheiten regiert«, sagt Bjarke Ingels. »Doch wir bei BIG versuchen, mit jedem Projekt die Grenzen des Normalen zu verschieben und das Außergewöhnliche aus dem Gewöhnlichen zu holen. Es geht darum, die Welt besser zu machen – und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch.« Ein schöner Ansatz. Bald auch schon in Prag, wenn sich in den Wogen der Moldau, wie mit zarten Saiten in den Himmel hochgestemmt, die neue tschechische Philharmonie spiegeln wird.