Sie ist ständig präsent, aber nie da. Hat keinen einzigen Auftritt und ist dennoch die Titelfigur: Rebecca, jene sagenumwobene erste Frau des reichen Engländers Maxim de Winter, deren tragische Absenz auf dem mondänen Anwesen Manderley tiefe Lücken hinterließ.

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Vor allem bei Mrs. Danvers, der nur auf den ersten Blick gramgebeugten Haushälterin, die das neue Eheglück des Hausherrn entschlossen torpediert. Denn dieser hat in Monte Carlo die junge Gesellschafterin „Ich“ kennengelernt, rasch geheiratet und als Mrs. de Winter auf Manderley etabliert. Dort aber schwebt die Erinnerung an ihre unter ungeklärten Umständen verstorbene Vorgängerin wie ein Geist über dem Geschehen.

Am wachsenden Unglück der aktuellen Dame des Hauses schmiedet entschlossen Mrs. Danvers, die „Ich“ beinahe den gesellschaftlichen Todesstoß versetzt, indem sie ihr suggeriert, zum großen Ball ein Kleid anzulegen, das jenem von Rebecca im Vorjahr getragenen bis auf die Spitzen gleicht.

Ein Fauxpas, der auch Maxim de Winter aus der Fassung bringt. Als zum stürmischen Ende hin ein Bootswrack mit der Leiche Rebeccas auftaucht, nimmt die spannungsgeladene Geschichte noch einmal eine unerwartete Wendung.

Weltbestseller mit Musik

Die Geschichte zum von Michael Kunze und Sylvester Levay erschaffenen Musical basiert auf dem gleichnamigen Roman von Daphne du Maurier, dessen Verfilmung in der Regie von Alfred Hitchcock für elf Oscars nominiert war. 2020 nahm sich auch der Streamingdienst Netflix – mit Lily James, Armie Hammer und Kristin Scott Thomas in den Hauptrollen – erfolgreich der dramatischen Geschichte an.

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Kunze und Levay, davor schon als Autoren von „Elisabeth“ und „Mozart!“ eine Klasse für sich, feierten mit „Rebecca“ 2006 Premiere im Raimund Theater, wo es 449 Aufführungen erlebte. Später sahen mehr als zwei Millionen Menschen in 12 Ländern und 10 Sprachen den weltbekannten Stoff. Nun kehrt das Musical in einer Neuproduktion heim nach Wien. In den Hauptrollen als „Ich“ und Maxim de Winter ein Ereignis: die niederländische Neuentdeckung Nienke Latten und der routinierte Publikumsliebling Mark Seibert. „Es geht um das Mysterium Rebecca“, umreißt er das Bühnengeschehen aus seiner Sicht, „um ihren Tod und die Frage, wie viel Schuld er daran trägt. War es ein Unfall? War es kaltblütiger Mord? Dann tritt ‚Ich‘ als neue Liebe in sein Leben, und er gibt sich dem Irrtum hin, mit ihr alles hinter sich lassen zu können, was vorher war.“

Ein Trugschluss, denn „Ich“ erkennt schnell, dass auf Manderley vieles nicht stimmt, und decouvriert – zeitgleich mit dem Publikum – Gegenwart und Vergangenheit.

„Sie ist Anfang 20 und hat noch nicht allzu viel erlebt“, erklärt Nienke Latten ihre Rolle,

sie ist unerfahren, schüchtern, verlegen, als sie sich in Maxim verliebt. Im Laufe des Stücks findet sie allerdings immer mehr zu sich, sie durchläuft eine Entwicklung und reift zu einer selbstbewussten Frau heran. Das ist ein schöner Bogen, und ich denke, dass sich viele Menschen mit ihr identifizieren können.

Nienke Latten

Es ist auch ihre jugendliche, frische, unverbrauchte Art, die Maxim de Winter aus seiner Melancholie herausholen kann. Wobei seine charmante Eleganz, drückt man die falschen Knöpfe, schnell ins Gegenteil umschlägt. Was Mark Seibert als bereichernde Herausforderung ansieht: „Bei aller Höflichkeit blitzen immer wieder seine dunklen Seiten auf. Er kann in kürzester Zeit aggressiv werden, von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde, was für mich als Schauspieler ein Geschenk ist. Das Publikum merkt schnell, dass mit ihm etwas nicht stimmt, manches an ihm wirkt beinahe schizophren.“

Mehr soll allerdings nicht verraten werden, denn im Musical selbst bleibt – im Gegensatz zu den Verfilmungen, wo am Ende stets klar wird, was genau er getan hat – einiger Interpretationsspielraum, sodass die Zuschauer*innen den Thriller in den eigenen Köpfen finalisieren können.

Rebecca
Harmonie in Gesang und Spiel. Bei der Präsentation von „Rebecca“ im Raimund Theater konnte sich das Publikum einen ersten Eindruck davon verschaffen, wie sehr Mark Seibert und Nienke Latten künstlerisch konvenieren.

Foto: Andreas Jakwerth

Wien, Wien, nur du allein

Nienke Latten arbeitet zum ersten Mal in Wien. „Ich kenne die Stadt aber schon länger, weil ich vor ein paar Jahren zu Auditions hier war. Damals habe ich ein paar Tage drangehängt und mir vieles angeschaut. Die Atmosphäre ist angenehm, was mir besonders gefällt, ist, dass so viele Menschen das Theater lieben.“

Ist das tatsächlich so, oder bilden wir Wiener*innen uns nur ein, ein spezielles Publikum zu sein? „Nein, das stimmt!“, antwortet Mark Seibert, der sich als gebürtiger Deutscher seit vielen Jahren hier heimisch fühlt. „Ich durfte in den letzten 20 Jahren an verschiedenen Ecken der Welt – von Asien über Russland bis hin zum gesamten deutschsprachigen Raum – viele Theater und deren Besucher*innen kennenlernen. Das Wiener Publikum ist sehr anspruchsvoll, das muss man wissen, es ist aber auch leidenschaftlich und musikalisch gebildet. Man kann ihm nicht alles für gut verkaufen, insofern hat man auch eine Verantwortung, wenn man hier auf der Bühne steht. In dieser Stadt existiert Kultur, und diese Kultur ist über die Jahrhunderte Teil der Gesellschaft geworden.“ Jetzt nur nicht rot werden, geschätzte Leserinnen und Leser!

Mark Seibert ist zweifelsfrei ein Star des Genres Musical. Wie erarbeitet man sich Popularität? „Indem man nicht daran denkt. Wenn man auf die Bühne geht, um geliebt zu werden, ist man völlig falsch. Das wäre eine neurotische Berufswahl (lacht). Das gibt es zwar auch, es geht aber meistens schief.“

Bühnenreifer Dreikampf

Nienke Lattens Antrieb besteht vor allem darin, stolz auf ihre Leistungen sein zu können. „Das ist das schönste Gefühl, dafür macht man es doch in erster Linie. Wenn andere dann sagen, man habe sie berührt, ist man noch glücklicher.“ Ihr sei eigentlich gar keine andere Wahl geblieben, als die künstlerische Ausdrucksform des Musiktheaters zum Beruf zu machen. „Mein ganzes Leben hat diese Richtung genommen. Ich wollte als Kind Sängerin werden, und als ich ‚The Lion King‘ gesehen habe, dachte ich, okay, man kann dabei auch schauspielern und tanzen. Dieses Paket hat mich total angesprochen. Ich habe jahrelang sehr hart daran gearbeitet, um heute hier stehen zu können, und hoffe nun, noch länger in diesem Fach bleiben zu können“, erklärt sie gewitzt.

Bei Mark Seibert war es ein wenig anders. Er studierte Betriebswirtschaftslehre, machte nebenbei Musik, dachte aber nie daran, dass man damit auch Geld verdienen könnte. „Später habe ich überlegt, noch Medizin zu studieren, wie mein älterer Bruder. Als ich mit ihm darüber gesprochen habe, meinte ich in einem Nebensatz, dass ich, würde ich gar nicht an morgen denken, am liebsten Schauspiel studieren möchte. Und er hat mich dazu ermutigt, es zu probieren.“

Also bewarb er sich an drei Schauspielschulen, die auch Musical im Programm hatten, und bekam von allen eine Zusage. „Das gab mir den nötigen Rückenwind.“ Sein Metier sieht er als „Dreikampf aus Gesang, Tanz und Schauspiel“.

Welche Fertigkeiten sollte man denn mitbringen, um sich längerfristig an der Spitze zu halten? „Man darf Absagen bei Auditions nicht persönlich nehmen, sonst überlebt man nicht“, meint Nienke Latten, „denn man bekommt zehnmal ein Nein und beim elften Mal vielleicht ein Ja. Wenn man aber eine dicke Haut entwickelt und seine Leidenschaft beibehält, kann man sehr weit kommen.“

Fleiß, Flexibilität und Fitness sind für Mark Seibert Konstanten des Berufs. „Als ich begonnen habe, dachte ich, es wird mehr Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“, amüsiert er sich retrospektiv. „Aber dem ist nicht so, man muss sehr auf sich achten, um permanent auf hohem Niveau agieren zu können. Irgendwann einmal verzeihen einem Körper und Stimme einen gewissen Lebensstil nämlich nicht mehr.“

Selbst dann nicht, wenn man so jung ist wie Nienke Latten. „Es ist Leistungssport. Und da kann man nicht jeden Tag Junkfood essen und Party machen …“

Zur Person: Mark Seibert

studierte an der MUK Wien sowie am Lee Strasberg Institute New York und zählt seit 20 Jahren zu den Besten seines Fachs. Diesen exzellenten Ruf erarbeitete er sich mit Rollen wie dem Tod in „Elisabeth“, den Titel- partien in „Jesus Christ Superstar“ und „Schikaneder“, Graf von Krolock in „Tanz der Vampire“, Fürsterzbischof Colloredo in „Mozart!“ oder Edward Lewis in „Pretty Woman“.

Zur Person: Zur Person Nienke Latten

sang angeblich schon, bevor sie sprechen konnte, studierte
am Muziektheater Tilburg Musical und gab noch während der Ausbildung ihr Debüt als Maria in „West Side Story“. Von 2018 bis 2021 war sie die Erstbesetzung der Prinzessin Jasmin in Disneys „Aladdin“ (Hamburg und Stuttgart), danach war sie im niederländischen Aalsmeer als Mira in „One de Musical“ zu sehen.