Kunst-Trip Neapel: Highlights zwischen Geschichte und Untergrund
Eine Stadt mit Improvisationstalent, die am Rande des Vulkans tanzt und voll und ganz im Moment lebt. Neapel ist ein Schmelztiegel der Kulturen, in dem 2600 Jahre Geschichte mit gierigem Lebenshunger kollidieren. Ein Ort, an dem die Kunst Funken sprüht.
Wild und anarchisch, überbordend und chaotisch – und auch ein bisschen gefährlich. Das ist nur eine Handvoll der Assoziationen, die wohl so mancher mit der Hafenstadt Neapel hat. Gut, noch mindestens eine Handvoll kulinarischer Assoziationen kommt noch dazu. Aber zeitgenössische Kunst? Das erwartet man hier nicht unbedingt, zwischen römischen Spuren, barocken Kirchen und Palazzi, deren Fassaden geschwärzt sind von den Abgasen zahlloser Mofas. Aber genau dort findet sie sich, und das reichlich: In alten Gemäuern versteckt, elektrisiert von der Spannung des Temporären, das immer auf der Kippe zu stehen scheint, und immer wieder am Überleben gehalten wird vom großartigen Improvisationstalent der Neapolitaner:innen.
Man findet die Kunst auch im Untergrund, in den atemberaubenden Stationen der Metro, die von der Stadtverwaltung als regelrechte Kulturinstallationen errichtet wurden – mit den besten Namen aus Architektur, Kunst und Design. Und natürlich finden wir die Kunst immer im Dialog mit den Spuren der 2.600 Jahre alten Geschichte und ihrer Glanzzeiten und Katastrophen, der Archäologie, der Skulpturen, der katholischen Prunksucht. Und man findet sie in den Lebensadern dieser Stadt, die immer am Rande des Vulkans tanzt, die jeden Moment zur Gänze auslebt.
Neues im Alten finden an Tag 1
Jede Gegenwart beginnt mit den Spuren und Einflüssen der Vergangenheit. Wo also könnte man in Neapel anders beginnen als mit der Archäologie? Erst recht, wenn es sich um einen so unvergleichlichen Schatz menschlicher Kulturgeschichte handelt wie das Nationale Archäologiemuseum. Die wie gestern gemalt wirkenden Fresken aus Pompeji und Herculaneum berühren noch heute, ebenso wie die griechischen und römischen Artefakte aus der Sammlung Farnese, die den Kern der hier versammelten Werke ausmacht, darunter der Toro Farnese, die größte antike Skulptur überhaupt.
Etwa dreihundert Meter weiter, im Palazzo Donnaregina, überschreiten wir die Schwelle in die Gegenwart, denn hier ist das Museo Madre zuhause, für das der portugiesische Pritzker-Preisträger Álvaro Siza den Palazzo 2005 adaptierte. Die großen Namen des 20. und 21. Jahrhunderts wie Jeff Koons, Olafur Eliasson oder Damien Hirst sind hier fast alle vertreten, und die Wechselausstellungen lassen auch weniger bekannte Künstler:innen entdecken. Auf dem Dach thront die Skulptur »Cavallo« von Mimmo Paladino.
Nicht nur hier versteckt sich das Neue im Alten, auch die Fondazione Made in Cloister ist ein solcher Fall. Das restaurierte Kloster Santa Caterina a Formiello aus dem 16. Jahrhundert bildet den Rahmen für diesen noch jungen Art Space, der sich auch kuratorisch der Wiederbelebung der Kulturgeschichte verschrieben hat. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Handwerklichen, ein Schlüssel zur noch lebendigen Handwerkstradition von Neapel mit seinen zahllosen
kleinen Werkstätten und Betrieben.
Tag 2 von Versailles bis Wien
Auch heute vollführen wir einen Tanz zwischen Damals und Heute und beginnen im Museo di Capodimonte, das im gleichnamigen Palazzo zuhause ist und zu den größten Museen Italiens zählt, ein wahres Versailles der Kunst. Hier stoßen wir auf die vielen Verbindungen zwischen der Antike und der Gegenwart, mit den Gemälden der Schule von Neapel und den großen Werken von Caravaggio, Raffael, Tizian, El Greco und Bellini. Hier könnte man ein ganzes Wochenende verbringen und sich in den prunkvollen Raumfluchten verlieren.
Doch auf uns wartet ein ganz anderes und ganz spezielles Museum. Dieses widmet sich alleine einem Künstler, der uns ziemlich bekannt vorkommt und den wir in Italien nicht unbedingt erwarten würden: Hermann Nitsch. Dieses existiert dank des unermüdlichen Engagements des Nitsch-Freunds Giuseppe Morra, der in einer ehemaligen Fabrik im Stadtviertel Pontecorvo eine Art Nitsch-Forschungszentrum aufbaute, das den Diskurs über Kunst am Leben hält und einen (katholisch grundierten) Dialog zwischen Wien und Neapel eröffnet. Es ist nicht der einzige Dialog, der sich in dieser redefreudigen und extrovertierten Metropole entfaltet. Viele Biografien haben sich mit dieser weltoffenen Hafenstadt verschlungen, viele Ideen sind aus diesen Begegnungen entstanden. Einigen davon lässt sich in der Shazar Gallery nachspüren, die sich genreübergreifend der jungen Künstlergeneration widmet – viele von ihnen sind in Neapel geboren und leben woanders, andere sind woanders geboren und leben heute hier. Ihre Werke erzählen somit auch vom Schmelztiegel dieser Stadt.