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Die Kunst der Materialwahl für außergewöhnliche Interiors

Nachhaltigkeit
Interior Design

Mal natürlich und rau, mal glatt und hochverfeinert, mal technisch präzise. Bei Luxusinteriors ist die Auswahl des richtigen Materials das A und O. Dabei stehen Atmosphäre, Storytelling, Dauerhaftigkeit und überraschende Kontraste im Mittelpunkt.

Ein bisschen schwindelfrei muss man sein, um hier zu wohnen, denn der Name ist Programm: »The Ledge«. Dramatisch spitz läuft das Bündel aus Baumstämmen zu und ragt weit in die hügelige Waldlandschaft der südindischen Wildnis von Peeremedu. Ehrlich gesagt sieht es eher nach Forstwirtschaft aus als nach Luxusvilla, und doch ist es Letzteres. Hier haben die Architekt:innen von Wallmakers aus dem Bundesstaat Kerala sich tief in die Natur eingelassen und das Haus wieder aus ihr herauswachsen lassen.

Natur als Luxus

Dafür verwendeten sie Stämme des Casuarina-­Baums, der aufgrund seines schnellen Wachstums sonst für eher wenig luxuriöse Zwecke wie Baustellenzäune und Gerüste verwendet wird. Doch hier ist es gerade der Kontrast zwischen dem fast rohen Material und der kristallinen Glasfassade,
die sich dazwischen wie eine Kanzel in den ­Bergnebel schiebt, der die Natur zum Luxus macht. Auch die Innenwände sind Teil dieser Urwüchsigkeit, sie wurden mit Bruchmaterial angereichert, das während des Baus anfiel. Weniger ruppig, aber ebenso naturnah ­gestaltet sich das Wohnumfeld in einer Villa westlich von São Paulo, dem von Bernardes Arquitetura in klassisch-moderner Gerad­linigkeit entworfenen »CLL House«. Mit ­einem luftigen Atrium werden Flora, Fauna und Wetter hier ganz nah hineingelassen, und die Baustoffe übernehmen in bester Weise die Vermittlungsarbeit zwischen Mensch und Natur. Eine sorgfältig ausgesuchte Kombina­tion aus Holz und weißem Piracema-Granit, die mit ihrer Dauerhaftigkeit eine wohnliche und warme Ruhe vermittelt. Man spürt: Diese Materialien altern in Würde, und so kann man wohnend in Würde zusammen mit ihnen alt werden.

Wenn es im Luxusbereich um die Auswahl von Materialien geht, ist eine Kenntnis natür­licher Prozesse für jede:n Designer:in Pflicht. Es gilt, jeden Baustoff und jede Zutat richtig auszuwählen, richtig zuzuschneiden, richtig zu behandeln. Das gilt für indische Baumstämme ebenso wie für Carrara-Marmor, Onyx, Messing oder Sichtbeton. Denn aus gedankenloser Materialverschwendung ist noch nie eine ­dauerhafte Schönheit entstanden.

Tropische Tanzbewegung:
In dieser Villa in Indien lassen Wallmakers Architects den Ziegelstein luftige Pirouetten drehen. wallmakers.org

Tropische Tanzbewegung: In dieser Villa in Indien lassen Wallmakers Architects den Ziegelstein luftige Pirouetten drehen. wallmakers.org

(c) wallmakers.org

(c) wallmakers.org
Waldwildnis: Das Haus »The Ledge« in 
Kerala

Waldwildnis: Das Haus »The Ledge« in Kerala

(c) wallmakers.org
Hier schaffen rohe Baumstämme und Bruchsteine 
eine tiefe Verbindung zum Ort.
wallmakers.org

Hier schaffen rohe Baumstämme und Bruchsteine eine tiefe Verbindung zum Ort. wallmakers.org

(c) wallmakers.org
Alles im Rahmen
In dieser Wohnung in 
Manhattan summt das Holz den ruhigen Grundton, wilde Tapeten setzen Akzente.
lewhit.com

Alles im Rahmen In dieser Wohnung in Manhattan summt das Holz den ruhigen Grundton, wilde Tapeten setzen Akzente. lewhit.com

(c) Jino Sam
Italienisches Drama:
Dimore Studio aus Mailand setzt bei seinen Interiors 
auf Theatralik, wie hier in 
der Dimore Gallery.
dimorestudio.eu

Italienisches Drama: Dimore Studio aus Mailand setzt bei seinen Interiors auf Theatralik, wie hier in der Dimore Gallery. dimorestudio.eu

(c) dimorestudio.eu
Einzelstück:
Die frei stehende »Tiffany 
Bathtub« vom Hersteller Lusso wird aus einem Stück brasilianischem Marmor handgefertigt.
lussostone.com

Einzelstück: Die frei stehende »Tiffany Bathtub« vom Hersteller Lusso wird aus einem Stück brasilianischem Marmor handgefertigt. lussostone.com

(c) dimorestudio.eu
Retro-Chic mit Überraschungen
Jungstar Hugo Toro setzte beim 
Redesign eines Pariser Appartements auf ungewöhnliche Kontraste.
hugotoro.com

Retro-Chic mit Überraschungen Jungstar Hugo Toro setzte beim Redesign eines Pariser Appartements auf ungewöhnliche Kontraste. hugotoro.com

(c) Jerome Galland

Konzentrierte Mischung

All das trifft nicht nur auf die Villa mitten in der Natur zu, sondern auch auf erlesene Interiors in urbanen Wohnungen, wo es für Designer:in­nen gilt, eine hochkonzentrierte Mischung von Materialien stilvoll auszubalancieren. Ein wahrer Material-Virtuoso ist das 34-jährige französisch-­mexikanische Jungtalent Hugo Toro. Er versteht sich als Geschichtenerzähler mit Liebe zum Theatralischen. Unbehandelte ganze Baumstämme wird man bei ihm also eher nicht finden, dafür viel Wärme ausstrahlendes Holz, das aber stets mit Ungewöhnlichem kontrastiert wird. Für das Redesign seines Pariser Appartements aus den 1970er-Jahren kombinierte er die erlesenen Holz­sorten Walnuss, Amberbaum und Ziricote mit rotem Travertin und eigens entworfenen ­Möbeln zu einem einzigartigen Ensemble aus Mid-Century Modern und Opernloge.

Bei einer anderen Pariser Wohnung liefern Oberflächen aus Eichenholz die Wohnlichkeit und goldene Akzente die Theatralik. Eine ähnlich effektive Kontrastwirkung ­erzeugten die Designerin Corey Kingston und ihr Studio Le Whit bei der Zusammenlegung zweier Wohnungen in Manhattan. Auch hier bilden maßgeschneiderte Einbauten aus ­hellem Holz den Grundton, der sich durch alle Räume zieht, während darin wie Kunstwerke gerahmte Tapeten mit eigens entworfenen Motiven jedem Bereich einen ganz eigenen Charakter verleihen. Wer sich der Natur weniger verpflichtet fühlt als dem Theatralischen, dürfte sich in den Wohnräumen und Restaurants der extravaganten Italiener:innen von Dimore Studio wohlfühlen. Auch hier kommen Tapeten und Textilien zum Einsatz, mal mit sinnlichen Art-déco-Prints, fast immer in den für Dimore typischen tiefdunklen Farbtönen, die einen Kontrast zu den Möbeln bilden, die wie surreale Objekte in einem Tableau arrangiert werden. Hier geht es bei der Materialwahl nicht um das Erzeugen vertrauter Authenti­zität, sondern um eine geradezu vibrierende Atmosphäre.

Fazit: Mit dem richtig inszenierten Kontrast lassen sich die Qualitäten jedes Materials ­besonders unterstreichen. Und wer sich einen besonderen Luxus gönnen will und einen sechsstelligen Betrag zur Hand hat, kann sich eine frei stehende Marmorbadewanne von Lusso leisten und dafür den passenden Kontrast suchen. Vielleicht sogar einen Wald in Indien.

Erschienen in
Ausgabe 02/2024

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Maik Novotny
Autor
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