Biophile Konzepte für die Dachnutzung: Unsere Städte atmen auf
Grüne Dächer sind mehr als bloßer Lifestyle-Trend – sie sind Ausdruck eines tieferen Bedürfnisses nach Verbindung zur Natur, nach Schönheit und Nachhaltigkeit im Alltag. Biophiles Design verändert die Architektur unserer Städte nun radikal.
Wie so oft war New York der Zeit voraus. Einzelne Freaks begannen schon vor gut vierzig Jahren, auf den mit Haustechnik vollgestopften Dächern des Big Apple nach und nach geheime Oasen zu errichten. Das »Green Thumb Program« ist das größte Netzwerk von Community Gardens in den USA und wurde bereits 1978 ins Leben gerufen. Kommerzielle Gebäudeentwickler fingen an, dem Trend zu folgen. Nicht allein, weil es Nachhaltigkeitspunkte bringt, sondern auch, weil es die Lebensqualität auf eine neue Ebene hievt – und wir Stadtbewohner:innen das zunehmend fordern. Aber natürlich kommt es dank üppiger Begrünung zu ganz wesentlichen Effekten, etwa der Reduktion des Wärmeinsel-Effekts. Dachgärten absorbieren Sonnenlicht und senken die Temperatur in städtischen Gebieten, und auch die Luftqualität verbessert sich, weil die Pflanzen Schadstoffe aus der Luft filtern und Sauerstoff produzieren. Grüne Dächer können zudem große Mengen Regenwasser aufnehmen, wodurch die Belastung der Abwassersysteme reduziert wird. Und sicher haben Sie in den letzten Jahren auch bei uns bemerkt, dass es immer mehr Stadthonig gibt. Auch das ist ein Effekt der urbanen Begrünung, mit der die Artenvielfalt in der Stadt dramatisch erhöht wird. Wussten Sie, dass Stadthonig wegen der Diversität und der nicht vorhandenen Spritzmittel der Landwirtschaft nachweislich gesünder ist als jener aus ländlichen Regionen?
Neue Architektur
Natur und Gebäude in Einklang zu bringen, das ist das Ziel des biophilen Designs. Stefano Boeri mit seinen vertikalen Wäldern, Thomas Heatherwick mit den begrünten Stadträumen und Neri Oxman, die für innovative Verknüpfungen von Technologie und biologischem Design steht, zeigen vor, wie die Zukunft aussehen könnte. Eine besonders spannende Vision verfolgt das Architekturbüro WOHA aus Singapur mit seinem Konzept der »50/50 City«. Die WOHA-Architekt:innen schlagen vor, Städte zu gestalten, in denen mindestens 50 Prozent der Fläche der Natur gewidmet sind, sowohl horizontal als auch vertikal. Gebäude sollen dabei nicht nur Lebensraum für Menschen sein, sondern gleichzeitig vielfältige ökologische Funktionen erfüllen – durch bepflanzte Fassaden, grüne Dächer und vertikale Gärten. In Wien ist das übrigens nichts Besonderes. 50 Prozent der Stadt sind ohnehin Grünflächen, das ist ein internationaler Spitzenwert, und Planungsdirektor Thomas Madreiter hat im April beim Immobilienforum Wien abermals bestätigt, dass dies auch trotz neuer Stadtentwicklungen so bleiben wird. Ein anderes beeindruckendes Beispiel findet man in Valencia. Dort wurde nach einer schweren Überschwemmung in den 1950er-Jahren der Fluss Turia aus der Stadt verlegt und das trockengelegte Flussbett in einen ausgedehnten, neun Kilometer langen grünen Park verwandelt – den Jardín del Turia. Heute ist er einer der wichtigsten urbanen Erholungsräume Valencias und verbindet verschiedene Stadtviertel miteinander. Auch die Stadtverwaltung des Vorreiters New York hat seine Strategie ganz in Richtung Begrünung geschwenkt und bietet Steuervergünstigungen für Betreiber von Dachgärten an. Die Organisation »We the Planet« fördert u. a. sogar ein Biotop über Manhattan. Schwammstädte, die unseren Lebensraum mit natürlichen und technischen Lösungen widerstandsfähiger gegen Starkregen und Überschwemmungen machen, müssen nicht allein unterirdisch gebaut werden.
Ungenutzte Ressource
Was auf Dächern sonst noch möglich ist, zeigt das Architekturbüro MVRDV mit seinem »Rooftop Catalogue«. Dieser Katalog präsentiert 130 innovative Ideen, um Rotterdams flache Dächer neu zu nutzen – von Start-up-Dörfern über Brücken, Hundeauslaufzonen bis zu Friedhöfen und Landebereichen für Heißluftballons und Drohnen. Das visionäre Projekt zeigt, welches Potenzial in Zeiten verknappter Flächen auf den Dächern liegt: In Rotterdam sind es 18,5 Quadratkilometer leere Dachflächen, hat MVRDV berechnet.