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© BAUWENS/Max Kißler

Stadtreparatur mit grünem Daumen

Immobilien
Nachhaltigkeit

Das Berliner Architekturbüro Grüntuch Ernst hat sich auf die Reparatur unserer Städte fokussiert – mit Umbauten, Entsiegelungen und grünen, üppig blühenden Parkflächen an meist unerwarteter Stelle. Ein Spaziergang zu versteckten Dschungeln und aussichtsreichen Gärten.   

Blumen, Gräser, Kräuter, Stauden, diverse kleinere Gehölze, dazwischen immer wieder Kiefern, Ahornbäume und chinesische Birnen. Die Wildbienen und die fetten Hummeln, so scheint es, haben die neuen, im Basaltkies dicht gepflanzten Gewächse längst in Besitz genommen. Ab und zu landen Amseln und Spatzen auf den Ästen oder spazieren über eines der unzähligen Holzdecks. Und als wäre das alles nicht schon genug, finde man im Winter, erzählt Almut Grüntuch-Ernst, immer wieder Spuren von irgendwelchen Nagetieren im Schnee. »Das ist der beste Beweis dafür, dass der Park funktioniert!« 

Und besagter Park ist nicht irgendwo, sondern befindet sich auf der Mierendorff-Insel im Berliner Bezirk Charlottenburg, genauer gesagt auf dem Dach des Bürohauses AERA, beginnend im ersten Stock und dann treppauf, treppauf, treppauf bis hinauf in
die neunte Etage. Das Besondere daran: -Während die Gartenterrassen in den unteren Stockwerken den insgesamt 12.000 Quadratmetern Bürofläche vorbehalten sind, -ausgestattet mit WLAN, Steckdosen und Arbeitsplätzen an der frischen Luft, dienen die obersten zwei Etagen als barrierefrei zugänglicher Park für alle. 

»Bislang gab es hier nur Industrie und Elektrizitätswerke«, erklärt Grüntuch-Ernst, die gemeinsam mit ihrem Partner Armand Grüntuch seit 1991 das Büro Grüntuch Ernst Architekten betreibt. »Doch mit der nun stattfindenden Transformation erlebt die Mierendorff-Insel einen Aufschwung, und man kann davon ausgehen, dass die umliegenden Grundstücke in den kommenden Jahren entwickelt und bebaut werden. Umso wichtiger war es, die versiegelte Fläche von etwa 2.200 Quadratmetern auf den Dachflächen zu kompensieren und der Stadt einen grünen Park zu geben.« 

Grüntuch Ernst Architekten
1991 haben Almut Grüntuch-Ernst und ihr Partner Armand Grüntuch ihr gemeinsames Büro gegründet. Heute haben sie 35 Mitarbeiter:innen – und arbeiten nebenbei sogar als Hoteliers.
gruentuchernst.de

© FRANZ GRUENEWALD

Hotel »Wilmina«
Das ehemalige Frauengefängnis in Berlin-Charlottenburg wurde in ein Hotel mit 44 Zimmern umgebaut.
wilmina.com

© Wilmina/Patricia Parinejad

Die technischen Rahmenbedingungen für einen Park mit Bäumen in dieser Größe sind alles andere als einfach. Damit sich ein Baum mit seinen Wurzeln ungehindert entwickeln kann, braucht man eine Substrat-schicht von mindestens 70 Zentimetern, im Bereich der Baumstämme sogar von bis zu zwei Metern. Damit die Bäume bei hohen Windlasten nicht umknicken, müssen sie in sogenannten Stahlstühlen verankert werden. Unter den Gehwegen sind alle Wurzelbe-reiche und Substrataufbauten im Sinne der Schwammstadt mit unterschiedlich gekörnten Kiesschichten miteinander verbunden. Das Konzept wurde in Kooperation mit dem Berliner Landschaftsplanungsbüro capattistaubach entwickelt.

»Ja, der Aufwand ist enorm, aber er zahlt sich aus«, meint die Architektin, »nicht nur in ökologischer und stadtklimatischer Hinsicht, sondern auch, was den sozialen, kulturellen und arbeitsökonomischem Mehrwert betrifft. Wir haben hier wertvolle Nutzfläche geschaffen, und von so einem inspirierenden Umraum, vom Arbeiten im Grünen zwischen Bäumen und summenden Wildbienen profitiert man am Ende in vielfacher Hinsicht – letztendlich auch mit Zufriedenheit am Arbeitsplatz und mit einem entsprechend höheren Output für die:den Arbeitgeber:in.«

Townhouse O21
Auf dem Areal Friedrichswerder entstand auf Initiative des Berliner Senats ein neues Stadtquartier mit 47 Townhouses. Jenes in der Oberwallstraße 21 – mit metallisch spiegelnder Glasfassade – entstammt der Feder von Grüntuch Ernst Architekten.

© Grüntuch Ernst Architekten/Jan Bitter

Karstadt Müllerstraße
Mit dem Untergang der klassischen Handelsriesen werden auf einmal enorme Flächenressourcen frei. Der Wettbewerbs-beitrag sieht für das ehemalige Karstadt-Kaufhaus in Berlin-Wedding Platz für Wohnen und Arbeiten vor. 

Foto beigestellt

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Almut Grüntuch-Ernst, die an der TU Braunschweig unterrichtet und 2014 die -Veranstaltungsreihe »Hortitecture« ins Leben gerufen hat, mit intensiver Begrünung im städtischen Raum beschäftigt. Das schönste und vielleicht auch symbolisch stärkste Projekt ist der Umbau des alten Gerichtsgebäudes und der angrenzenden Strafvollzugsanstalt in der Berliner Kantstraße. Das 1896 errichtete, denkmal-geschützte Gebäudeensemble wurde 2022 zu einem Hotel mit 44 Zimmern und Suiten umgebaut – und dient heute als grüne Lunge im dicht verbauten Charlottenburg.

»Sehen Sie die Gräser und Stauden, die Farne und das dicke, üppige Gebüsch? Und spüren Sie die angenehm kühle Temperatur? Das, wo wir hier stehen, war 100 Jahre lang ein komplett versiegelter Innenhof. Wir haben dieses Stück Stadt mit Baggern und Presslufthämmern entsiegelt und wieder in einen grünen Dschungel verwandelt.« Almut Grüntuch-Ernst spaziert zwischen Tausenden von Kräutern und Unkräutern auf das von ihrem Büro transformierte Hotel »Wilmina« zu, von der Lobby und der Rezeption ist es ein kurzer, aber erkenntnisreicher Spaziergang: Das Potenzial von intelligent gesetztem Stadtgrün ist enorm, so kann die Stadt wieder aufblühen.

Deutsche Schule, Madrid
Die Deutsche Schule in Madrid, 1896 gegründet, zählt zu den ältesten und mit 1.800 Schüler:innen auch zu den größten deutschen Auslandsschulen.
dsmadrid.org

© Celia De Coca

Erschienen in
LIVING 06/2025

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Wojciech Czaja
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