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POLDER- MANHATTAN: STÄDTEPORTRÄT AMSTERDAM

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Das beschauliche Amsterdam wächst nach Jahren der Immobilienkrise mit Schwung in die Höhe und in die Breite. Im Süden der Stadt entsteht ein zweites Zentrum, das die Grachten-Metropole grundlegend verändert.

Die Niederlande sind bekanntlich ein flaches Land, doch seine Immobilienwirtschaft vollführte in den letzten 20 Jahren eine wilde Berg-und-Tal-Fahrt aus Glanzzeit, Krise und Aufschwung. Daran erinnert sich die Stadtplanerin Tess Broekmans noch gut. Mit ihrem Büro Urhahn Urban Design war sie 2011 für den Plan für die Insel Oostenburg verantwortlich. Das bis dahin industriell genutzte Areal östlich des Hauptbahnhofs ist zentrumsnah, war bis dahin aber für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. »Damals dachten wir alle, es würde das letzte große Entwicklungsgebiet in Amsterdam bleiben.« Der Plan schuf daher den flexiblen Rahmen für eine langsame Entwicklung mit unbekanntem Verlauf.

Vor Anker gegangen
Wie der Teil eines Kreuzfahrt­schiffes wirkt das Terrassen­haus »The George« mit seinen 47 Wohnungen in Amsterdam-Süd. Mehr dazu

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LAGEGUNST IM SÜDEN

Doch es sollte anders kommen. Schon drei Jahre später standen die Developer Schlange, heute sind die Wohnungen fertiggestellt, die enorme Bebauungsdichte und die vielen Türme erinnern an Manhattan, und doch machen das umlie­gende Wasser und die alten Fabrikhallen das Quartier atmosphärisch und lebenswert. Da der Plan von Urhahn Urban Design und den Co-­Planer:innen von Studioninedots auf kleinen Parzellen basiert, sieht Oostenburg heute aus, als sei es organisch gewachsen, auch wenn die Developer ganze Baublöcke en gros entwickelten. Der große Maßstab findet sich in Amsterdam, dessen Bild immer noch von schmalen Grachtenhäusern geprägt wird, heute an vielen Orten. Allen voran im Süden der Stadt: Die Zuidas (Südachse) ist ein Boulevard der Giganten, an dem sich Bürokomplexe und Wohntürme abwechseln. Die Lagegunst ist hier mit Händen zu greifen: beste Anbindung an Schiene und Straße, der Flughafen Schiphol ist nur neun Kilometer entfernt. Mit den Hauptquartieren der wichtigsten Banken gilt die Zuidas heute als Finanzzentrum der Niederlande und als London-Alternative nach dem Brexit.

Leben in Freiheit
Das gemischt genutzte Bajes Kwartier entsteht derzeit nach dem Masterplan von OMA auf dem Areal eines ehemaligen Gefängnisses. Mehr dazu

© Courtesy OMA

Doch ein steriles Büroviertel soll der Süden nicht sein. Der aktuelle Strategieplan der Gemeinde sieht bis zum Jahr 2030 ­insgesamt3,4 Millionen Quadratmeter Nutzfläche vor, davon 800.000 für Wohnungen. In Zukunft sollen auch die Fernzüge hier halten anstatt im beengten Hauptbahnhof im Zentrum, das rund zwei Milliarden Euro teure Megaprojekt »Zuidasdok« wird die Autobahn A10, die heute das Quartier durchschneidet, in den Untergrund verlegen und dem ­Amsterdamer Süden ein tatsächliches leben­diges Stadtzentrum verleihen. Architektonisch gibt es hier heute schon einiges zu sehen: das wild zerklüftete Wohngebirge »Valley« von MVRDV mit seinen grünen Terrassen und die musikalisch benannten Großkomplexe »Gershwin«, »Vivaldi« und »Mahler 4«.

Symphonische Wucht
Der über viele Jahre gewachsene Bürokomplex »Mahler 4« ist einer der größten in der Amsterdamer Zuidas. Mehr dazu

Foto beigestellt

LOFTS STATT ZELLEN

Heute ist der Verwertungsdruck in Amsterdam so hoch, dass neben Oostenburg auch andere bislang unattraktive Gebiete attraktiv werden. Das 7,5 Hektar große Bajes Kwartier im Südosten entsteht derzeit nach dem Masterplan von Rem Koolhaas’ Büro OMA auf dem Areal eines ehemaligen Gefängnisses. Teile davon wurden erhalten und umgenutzt. Aus der alten Gefängnismauer wachsen verglaste Loftwohnungen, das ehemalige Verwaltungsgebäude wird Zentrum für Kultur und Kreativ­industrie, und ein bereits bezogener Wohnturm ist den früheren Zellentürmen nachgebildet. Klingt zynisch, ist aber erstaunlich wohnlich. »Das Quartier besteht aus vier Clustern mit eigener Identität, die durch eine Wohnstraße verbunden werden«, erklärt OMA-Projektleiter Mariano Sagasta, während sich die Kräne über ihm drehen. Neue Türme wachsen in die Höhe, neue Brücken über ehemalige Barrieren. Alles in Bewegung in Amsterdam.

Dynamische Entwicklung
Das Bürohaus »Atrium« neben der Verkehrsachse, die künftig unterirdisch verlaufen soll. Mehr dazu

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Erschienen in
LIVING 05/2025

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Maik Novotny
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