Auf den richtigen Stein gesetzt: Baumaterial Stein
Stein ist eines der ältesten Baumaterialien der Menschheitsgeschichte. Im Zeitalter der Globalisierung und Technologisierung, so scheint es, erlebt der mineralische Baustoff heute eine regelrechte Renaissance – in der traditionellen Architektur, aber auch als innovatives High-Tech-Produkt.
Puerto Escondido, so viel wie der versteckte, geheimnisvolle Hafen in deutscher Übersetzung, ist ein schönes, intaktes und von Massentourismus weitestgehend verschont gebliebenes Stückchen Mexiko direkt am Pazifischen Ozean. Genau hier, umgeben von Palmen, Sandstrand und salziger Meeresbrise, errichtete das Architekturbüro Materia ein luftiges, lockeres Ensemble aus Atriumgebäuden, sogenannten Palapas, die mit ihren Natursteinmauern und palmgedeckten Satteldächern eine kontemplative Ruhe versprühen. Vom Haupttor zu den einzelnen Wohnpavillons führt – vorbei an Kakteen und blühender Aloe Vera – am nicht immer kürzesten Weg ein befestigter Pfad von A nach B.
»Wir wollten ein Projekt ganz im Sinne der lokalen Handwerkskunst«, sagt Architekt Gustavo Carmona, der gemeinsam mit seiner Partnerin Lisa Beltrán 2006 sein eigenes Büro Materia mit Sitz in Mexiko-Stadt gegründet hat. »Die einzelnen Materialien erzeugen einen visuellen Rhythmus und rahmen die Landschaft, das Meer auf der einen, die Berge von Oaxaca auf der anderen Seite. Zudem umfasst der Entwurf drei Gärten – einer davon ein botanischer Wüstengarten mit endemischen Arten. Die Natursteinmauer ist der perfekte Hintergrund, natürlich in Baustoff und Atmosphäre, architektonisch in der räumlichen Komposition. Das Ortsgefühl ist einzigartig.« Stein ist einer der ältesten Baustoffe der Menschheitsgeschichte. Einerseits robust, langlebig und schwer belastbar, andererseits mit entsprechenden Werkzeugen leicht zu verarbeiten und mit der Kraft von ein bis zwei Mann vor Ort in vielerlei Varianten – als geschlichtetes Mauerwerk, als stützender Sturzbalken, als selbsttragender Gewölbebogen – effizient zu verlegen. Im Zeitalter der Globalisierung, Technologisierung und der sich immer schneller drehenden Kreisläufe, so scheint es, erlebt der mineralische Baustoff heute wieder ein Revival. Große und kleine Projekte in Stadt und Land zeugen davon, dass sich die Menschen zwischen all den normativen Stahl-Glas-Beton-Hochburgen wieder nach einer gewissen Erdung und Naturverbundenheit sehnen. In Kalogeros, Kreta, beispielsweise haben sich Uri Regev und seine Frau Aliza Ashkenazi ihren Traum eines revitalisierten Steinhauses erfüllt. »Begonnen hat alles im Sommer 2021, zwischen all den Corona-Lockdowns, als wir beschlossen haben, uns auf Kreta eine Ruine zu suchen und diese zu neuem Leben zu erwecken«, erzählt Regev. »In einem Bergdorf in der Mitte der Insel sind wir dann auf dieses 200 Jahre alte, verwunschene Häuschen gestoßen – zum Teil eingestürzt und zerstört, zum Teil aber noch mit intaktem Mauerwerk und schönen Bögen und Architraven, mit alten Reliefs und immer noch gut lesbaren Gravuren.«

Steinhaus, Menorca. Auf der Nordküste der kleinen Baleareninsel kombiniert Nomo Studio Bezüge zur Volksarchitektur mit modernen Bausystemen. Der gesamte Stein stammt aus den Ausgrabungen direkt vor Ort.
nomostudio.eu
klassisch bis innovativ
Kurze Zeit später haben die Renovierungsarbeiten begonnen: Die Mauern wurden ausgebessert, repariert, neu aufgebaut, mit Kalkputz verspachtelt und mit einer Stahlbürste gereinigt, hinzu kamen neue Bögen, neue Balken, neue Architrave hie und da, und was früher mal eine Olivenpresse war, fristet nun ein neues Leben als Waschbecken und Waschtrog in den Badezimmern. Nach zwei Jahren intensiver Arbeit kann die einstige Ruine – heute unter dem Namen »Blue Daisy House« gelistet – über eine Buchungsplattform wochen- und monatsweise angemietet werden.
Nicht nur in der klassischen, traditionellen Architektur kommt Stein zum Einsatz, sondern auch in innovativer, hochtechnologischer Manier: In Gwanggyo, Südkorea, hat OMA einen Shoppingcenter-Würfel in eine parametrisch entworfene, vielfärbig gepixelte Mosaikstein-Fassade gehüllt. Und in Toronto wurde erst unlängst ein neuer Rolex-Store eröffnet. Die Fassade aus Kalkstein wurde mithilfe parametrischer Modellierung und CNC-Technologie gefertigt – mit eleganten Konturen und sanften, augenscheinlich weichen Faltenwürfen. Der ultimative Beweis, dass der Baustoff Stein in der Zukunft angekommen ist.

Galleria, Gwanggyo. In Südkorea hat das niederländische Office for Metropolitan Architecture (OMA) diesen zwölfgeschoßigen Steinwürfel errichtet. Das gepixelte Mosaikmuster soll an die Natur des benachbarten Suwon-Gwanggyo-Seeparks erinnern.
oma.com

Rolex Boutique, Toronto. Weich, wie die Zeit verrinnt: Bei dieser Royal-de-Versailles-Boutique haben die Partisans Architects parametrische Rechenmodelle und modernste CNC-Technologie eingesetzt. Die Komposition stammt von Computerdesigner Arturo Tedeschi.
partisans.com,arturotedeschi.com, royaldeversailles.com