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Venedig und der Welten Untergang: Die Architektur Biennale 2025

Architektur
Venedig
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Die Architektur-Biennale in der Lagunenstadt ist heuer so düster und provokant wie noch nie. Im Fokus stehen Steinzeit, Apokalypse und künstlich intelligente Roboter, die uns früh genug das Denken und Arbeiten abnehmen sollen. Ein Spaziergang durch Giardini und Arsenale.

Ein Brummen, ein Summen, ein Vibrieren, extrem hohe Luftfeuchtigkeit und eine Innenraumtemperatur von rund 42 Grad Celsius. Die heiße, schweißtreibende Installation ist alles andere als willkürlich, sie hat einen programmatischen Hintergrund: Mit »Terms and Conditions. The Third Paradise Perspective« – so der offizielle Titel der Arbeit – wollen der italienische Objektkünstler Michelangelo Pistoletto und das deutsche Klimatechnik-Institut Transsolar jene Temperatur simulieren, die im Jahr 2100 in Venedig Standard sein wird. Die 70 Zentimeter hohen Wasserbecken, in denen sich die lauten Klimageräte in all ihrer Hässlichkeit spiegeln, sind zudem ein Hinweis auf den Anstieg des Meeresspiegels, der die Lagunenstadt wissenschaftlichen Berechnungen zufolge bis zum Ende des Jahrhunderts unter Wasser setzen wird.

Der Auftakt der Architektur-Biennale 2025 in Venedig ist so düster und dystopisch wie noch nie – nicht nur in der ersten Halle des Arsenale, sondern auch in den danach folgenden Ausstellungsräumen, die der diesjährige Kommissär Carlo Ratti mit seinem Team kuratiert hat. Ein Teil der beteiligten Kreativen flüchtet sich in eine alles andere als schöne Zukunft und präsentiert Maschinen, Marssonden, Exoskelette, Roboterhunde, Nuklearreaktoren aus Designerhand und künstliche Intelligenz als Heilmittel aller Probleme. Die anderen wiederum stecken den Kopf in den Sand und reisen zurück in die Steinzeit, indem sie Häuser aus Holz und Stein, aus Lehm und Stroh, aus Kuhdung und Elefantenmist präsentieren. Ein solch provokantes Objekt ist auch die sogenannte »Elephant Chapel« des thailändischen Architekten Boonserm Premthada. Die vier Meter hohen Parabelbögen, die manim Hindurchmarschieren neugierig berührt, bestehen nämlich nicht aus Ziegel, sondern aus getrocknetem Kot der asiatischen Dickhäuter. »Wir müssen endlich weg vom Anthropozän und vom ausschließlich menschenzentrierten Planen und Bauen«, so Premthada. »Dieses Projekt ist eine Ode an die Weisheit der Fauna und Flora und versinnbildlicht eine längst verloren geglaubte Mensch-Natur-Beziehung, die wir im Bauen unbedingt wieder zurückgewinnen müssen.«

Elephant Chapel, Thailand
Der thailändische Architekt Boonserm Premthada fokussiert sich auf das archaische Narrativ – und baut im Arsenale eine Kapelle aus getrocknetem Elefantendung.

© Marco Zorzanello/Courtesy La Biennale di Venezia

Kriegsgebiet, Lettland
Im lettischen Pavillon unter dem Titel »Landscape of Defence« wird die 450 Kilometer lange EU- und NATO-Außengrenze unter die Lupe genommen und in Zeiten russischer Kriegsführung einer kritischen Betrachtung unterzogen. Starker Beitrag!
latvianpavilion.lv

Foto: Wojciech Czaja

DER SUPER-ORGANISMUS
Oder, wie Carlo Ratti über sein kuratorisches Motto »Intelligens. Natural. Artificial. Collective« selbst meint: »Früher haben wir in Kategorien von ›Entweder‹ und ›Oder‹ gedacht. Aber das ist vorbei. Heute ist Architektur so etwas wie ein intelligenter Super-Organismus, in dem die Grenzen zwischen organischen, digitalen und gemeinschaftlichen Disziplinen mehr und mehr verschwimmen. Wir müssen der Natur denselben Spielraum einräumen wie den neuen, innovativen Technologien. Nur so können wir die Zukunft meistern.« Ebenfalls im Arsenale, nur wenige Schritte weiter, sieht man zwei Männer, die mit Meißel und Beitel einem großen Holzträger an den Kragen gehen. Yeshi Gyeltshen und Sangay Tshering nämlich sind traditionelle Holzschnitzmeister aus Bhutan, Asien, und ihre Aufgabe ist es, das künftige Holztragwerk des Mega-Airports Gelephu zu behauen und eine dreidimensionale Vorlage für die Schnitzroboter zu erstellen. »In ganz Bhutan gibt es nicht genügend Holzschnitzer, um diese XXL-Aufgabe zu stemmen«, sagt Filippo Cartapani, Projektleiter bei BIG Architecture, »also mussten wir einen Weg finden, wie wir künstliche Intelligenz einsetzen können

Arbeiten für den Gelephu Airport, Bhutan
Bis 2029 soll in Bhutan ein neuer Flughafen nach Plänen von BIG Architecture entstehen. Das Schnitzen der Holzträger sollen Roboter und KI-gespeiste CNC-Fräsen übernehmen.
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POETISCHE PARABELN
Weniger konstruktiv als vielmehr destruktiv vollzieht sich der Spaziergang durch die einzelnen Länderpavillons. Im Pavillon der nordischen Länder gehen Architektin Kaisa Karvinen und Künstler Teo Ala-Ruona unter dem Titel »Industry Muscle« der Frage nach, welches Erbe uns das fossile Zeitalter mit Autos, Beton und tonnenweiser CO2-Produktion hinterlassen hat. Kein gutes!

Noch kritischer präsentiert sich der serbische Pavillon, wo sich die zuständige Kommissärin Jelena Mitrović die Frage stellt, ob wir überhaupt noch bauen sollen – oder ob die permanente Schaffenskraft von uns allen nicht lieber den Rückwärtsgang einlegen sollte. Unter dem Titel »Unraveling: New Spaces« werden gestrickte Fäden langsam wieder aufgelöst und aufgewickelt – so lange, bis sich die 400 Quadratmeter Stoff, die in poetischen Parabeln von der Decke hängen, in Luft aufgelöst haben. Das geht unter die Haut.

Auflösung des Bauens, Serbien
Unter dem Titel »Unraveling: New Spaces« wird sich die 400 Quadratmeter große Textilinstallation, die in Zusammenarbeit mit Ivko Woman entstanden ist, bis zum Ende der Biennale ganz aufgelöst haben.
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Fossile Wracks, nordische Länder
Ein Mahnmal dunkler Zeiten: »Industry Muscle« ist eine alles andere als optimistische Analyse des fossilen Zeitalters.
kaisakarvinen.com, teoalaruona.net

© Wojciech Czaja

Erschienen in
LIVING 05/2025

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Wojciech Czaja
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