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© XENIA TRAMPUSCH

LIVING SALON Gespräch: Wie grün und gesund ist Holzbau?

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Holz ist ein unverzichtbarer Rohstoff im Bauen und Wohnen, der dazu beitragen kann, die Klimakrise und die immer größeren Umweltprobleme in den Griff zu bekommen. Über die Liebe zu Holz und Naturnähe – auch bekannt als Biophilie –sprechen Holzforscherin Sylvia Polleres, der Grüne-Erde-Chef Reinhard Kepplinger und der Kärntner Holzbau-Unternehmer Christof Weissenseer.

Am richtigen Holzweg

Ein Trio, um über die Vorzüge und Besonderheiten des Baustoffs Holz zu diskutieren: Reinhard Kepplinger, Geschäftsführer und Co-Eigentümer von Grüne Erde, Sylvia Polleres, Bereichsleiterin Holzhausbau in der Holzforschung Austria, sowie Christof Weissenseer, Gründer und CEO von Weissenseer Holz-System-Bau.

© XENIA TRAMPUSCH

Was ist der schönste und wichtigste Holzgegenstand, den Sie besitzen?

Christof Weissenseer Bei uns im Büro steht ein fünf Meter langer Tisch aus Donauesche. Man kann nicht anders, als einfach hinzugreifen.

Sylvia Polleres Bei mir sind es zwei Bretter aus einem alten Stadl vom Semmering, so richtig abgewittert, die nun bei mir im Wohnzimmer an der Wand hängen.

Reinhard Kepplinger Der Holzboden bei mir zu Hause. Drei Zentimeter dicke Holzbohlen! Das spürt man, da bin ich am liebsten bloßfüßig unterwegs.

Was strahlt das Material Holz für Sie persönlich aus?

Kepplinger Die Haptik, die Farbe, der Geruch, die Erdverbundenheit, einfach wunderschön!

Polleres Wärme, Leben, eine spürbare Nähe zum Wald.

Weissenseer Ich bezeichne mich in meinem Job als Lebenstraumerfüller, und ich finde, die Träume der Menschen lassen sich mit Holz leichter erfüllen als mit jedem anderen Material.

Holz ist einer der ältesten Baustoffe der Menschheit. Seit wann genau bauen wir denn mit Holz?

Polleres Ich habe das tatsächlich mal recherchiert, und der erste Fund, der eine technische, strukturelle Holzverarbeitung erkennen lässt, indem zwei Holzbalken ineinandergreifen, stammt aus Sambia in Afrika und ist circa 470.000 Jahre alt. Das muss man sich einmal vorstellen! Und um das mal in eine Relation zu setzen: Der Homo Sapiens kam erst 200.000 Jahre später.

Wie hat sich das Holz über so viele Tausend Jahre gehalten?

Polleres In Kontakt mit Sauerstoff hätte sich das Holz längst zersetzt, aber wenn es in Salz, Kohle oder hoch verdichteter Erde konserviert ist, dann bleibt es über einen ewig langen Zeitraum erhalten.

Im 20. Jahrhundert wurde Holz in vielen Bereichen verdrängt – von Stahl, Glas, Beton in der Architektur, aber auch von Kunststoff und Verbundwerkstoffen wie etwa im Bereich Möbelbau und Haushaltsgegenstände.

Weissenseer Das trifft aber nicht auf alle Kulturräume zu! Im ländlichen Raum wurde Holz intensiv weiterverwendet, und auch in Regionen, die von der Globalisierungzunächst einmal verschont geblieben sind,
wurde die Holzkultur im Bauen und Wohnen fortgeführt.

Kepplinger In der Möbelindustrie wurde das Holz von Kunststoff und anderen künstlich hergestellten, petrochemischen Werkstoffen verdrängt. In der Nachkriegszeit war alles aus Plastik und Polyester! Aber parallel dazu
ist auch eine gewisse Sehnsucht nach Natürlichkeit entstanden. Ich denke da nur an die Grünen, die sich als politische Kraft Anfang der Achtzigerjahre formiert haben.

 

Wo steht der Baustoff Holz heute?

Polleres In den letzten 20, 30 Jahren hat sich in der Holzentwicklung extrem viel getan – ob das nun neue Konstruktionen, Optimierungen in der Holzverarbeitung oder ganz neu entwickelte Holzwerkstoffe sind. Früher gab es Spanplatten, später dann MDF-Platten für zu Hause und OSB-Platten für die Baustelle, das war’s. Heute haben wir es mit einer Vielzahl von Produkten zu tun.

Weissenseer Neue Produkte wie Brettschichtholz haben den Holzbau nach vorne katapultiert. Durch das Verleimen von Brettern konnte man auf einmal lange Träger bauen und große Spannweiten erzielen. Und durch Cross Laminated Timber konnten stabförmige Elemente auf einmal flächig eingesetzt werden. Heute sind wir so weit, dass wir damit schon 20-stöckige Hochhäuser und mehr bauen können!

Polleres Ja, aber es ist noch ein weiter Weg zu gehen.

Wie meinen Sie das?

Polleres Es hat sich schon viel bewegt in der Politik, in den Normen, in der Gesetzgebung, in den Förderstrukturen und natürlich auch in der Forschung und Holzbauindustrie. Aber wenn ich mir manche Normen und Rechtsvorschriften anschaue, dann steht uns noch eine große Transformation bevor.

Weissenseer Während man anderswo schon ganze Hochhäuser in Holz bauen und auch mit Holz verkleiden kann, sind Holzbauten in Österreich in den OIB-Richtlinien nur bis zu sechs Geschoßen geregelt. Darüber hinaus braucht man Sonderzulassungen.

Kepplinger Warum eigentlich?

Weissenseer Das hat vor allem mit Brandschutz und Brandüberschlag zu tun. Nicht alle baurechtlichen Bestimmungen sind auch wirklich nachvollziehbar.

Die Wohnungen werden immer kleiner. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Möbelindustrie. Wir sind gerade dabei, eine günstige Möbelserie für kleine Wohnungen zu entwickeln.«

REINHARD KEPPLINGER, Geschäftsführer und Co-Eigentümer von Grüne Erde

48 Prozent Österreichs sind bewaldet. Die Ressource Holz ist also ausreichend vorhanden. Der Holzbauanteil in der Architektur kann ohne Weiteres noch weiter gesteigert werden!

SYLVIA POLLERES, Bereichsleiterin Holzhausbau in der Holzforschung Austria

Sie haben jetzt den technischen Fortschritt angesprochen. Wo verorten Sie Österreich im internationalen Vergleich?

Polleres Ganz weit vorne! Die großen Betriebe in Kärnten, Salzburg, Oberösterreich und der Steiermark haben hier die Nase vorn, zumal sie viel in Forschung investieren und einige wichtige Pilotprojekte realisiert haben.

Und wie ist das im Möbelbau?

Kepplinger Im Möbelbau ist die DACH-Region ohne jeden Zweifel sehr weit entwickelt, mit wirklich tollen, engagierten Betrieben, die auch sehr innovativ arbeiten, aber die Vorbilder im Holzmöbelbau sind für mich definitiv in Skandinavien und Japan – vor allem hinsichtlich Design und Holzverbindungen.

Weissenseer Was die sogenannten Holz-Holz-Verbindungen betrifft, war Japan immer schon unschlagbar. Manche Tempelanlagen sind 1.200 Jahre alt, mit wunderbaren Dachstühlen ohne einen einzigen Nagel, ohne eine einzige Schraube, und sie stehen bis heute! Da spürt man so richtig die Kraft der Natur.

Apropos Kraft der Natur: Als Gegentrend zu den vielen, innovativen Technologien ist in den letzten Jahren immer wieder von Biophilie die Rede. Was genau versteht man darunter?

Kepplinger Die technologischen Entwicklungen haben eine große Sehnsucht nach
Verbindung mit der Natur verursacht, zum Natürlichen, zum Weichen und Organischen. Biophilie ist eine Art Nähebedürfnis zu
Pflanzen und Tieren.

Polleres Ich hatte vor Kurzem ein Gespräch mit einer Anthropologin, und tatsächlich führt die Präsenz von Pflanzen und natürlichen Materialien und Erscheinungsformen im Arbeitskontext dazu, dass man sich besser
konzentrieren kann.

Weissenseer Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass es auch gewisse Kontraste braucht. Ein hundertprozentiger Holzraum mit Böden, Wänden, Decken und Möbeln aus
Holz wirkt sich auf den Menschen gar nicht
so positiv aus! Ideal ist ein Holzanteil von etwa 40 bis 60 Prozent.

Kepplinger Das kann ich gut nachvollziehen. Mit einer reinen Vollholz-Ästhetik und abgerundeten Ecken und Kanten à la Rudolf Steiner, und »Jetzt umarmen wir alle einen Baum« habe ich meine Probleme.

Herr Kepplinger, 1983 wurde in Scharnstein das Unternehmen Grüne Erde gegründet. Begonnen hat alles mit Matratzen, Bettwäsche und Holzbetten. Heute umfasst Ihr Portfolio ein riesiges Spektrum an Möbeln, Accessoires, Textilien und Kosmetik. Wie kam es zu dieser Expansion?

Kepplinger Das hat sich im Laufe der Zeit ergeben. Basis unseres Unternehmens war ja immer die Grundphilosophie, die Verbundenheit mit der Natur, erst dann kamen die Produkte. Es gab damals keine Matratzen aus Naturprodukten, die Holzmöbelkultur lag ziemlich im Argen, und es gab nicht einmal Kosmetik aus ausschließlich veganen Rohstoffen. Wir haben diese Marktlücken Schritt für Schritt geschlossen.

In den letzten 20 Jahren hat sich extrem viel getan – ob das nun neue Konstruktionen, Optimierungen in der Holz­verarbeitung oder ganz neu entwickelte Holzwerkstoffe sind.

SYLVIA POLLERES, Bereichsleiterin Holzhausbau in der Holzforschung Austria

Manche Tempelanlagen in Japan sind 1.200 Jahre alt, mit Dachstühlen ohne einen einzigen Nagel, ohne eine einzige Schraube, und sie stehen bis heute! Da spürt man die Kraft der Natur.

CHRISTOF WEISSENSEER, Gründer und CEO von Weissenseer Holz-System-Bau

Ein Blick in die Zukunft: Was sind aktuelle Trends und Entwicklungen am Markt?

Polleres Wir forschen gerade, wie wir uns im konstruktiven Holzbau mehr und mehr auf Laubholz verlagern können, denn die reinen Nadelwälder werden zukünftig weniger werden und sich zu Mischwäldern entwickeln. Die meisten Maschinen und Technologien jedoch sind aktuell nur auf Nadelhölzer ausgelegt.

Weissenseer Auch Recycling und Reuse werden immer wichtiger. Das umfasst Logistik, Zerlegbarkeit und die Rücknahme von Altholz am Ende des Lebenszyklus. Da brauchen wir als Holzbauer allerdings dringend Unterstützung von der Politik, was Normen, Gesetze und Förderungen betrifft.

Kepplinger Wir beobachten, dass die Leute sparsamer werden und weniger konsumieren. Zugleich werden die Wohnungen immer teurer und dadurch auch immer kleiner. Die schrumpfenden Wohn- und Schlafzimmer haben natürlich auch Auswirkungen auf die Möbelindustrie. Wir sind daher gerade dabei, eine günstige Möbelserie für kleine Wohnungen zu entwickeln.

Lesen Sie hier, wie nachhaltiger Holzbau die urbane Architektur revolutioniert.

Erschienen in
LIVING 03/2025

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Wojciech Czaja
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