Aller guten Dinge sind drei. Oder vielleicht doch fünf? Eine Handvoll Einakter schrieb der blutjunge Gioachino Rossini jedenfalls, ehe er sich mit Blockbustern wie „Il barbiere di Siviglia“ oder „La Cenerentola“ in die ewigen Bestenlisten des Opernrepertoires eintrug. Wiewohl erst 36 Jahre alt, verkündete er schließlich 1828, dass „Guillaume Tell“ seine letzte Oper sein sollte, und leistete dieser überraschenden Mitteilung tatsächlich Folge.

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„L’occasione fa il ladro“ zählt wahrlich nicht zu den bekanntesten Werken des italienischen Komponisten und ist somit wie geschaffen für das Theater an der Wien, das die Hebung rarer Musikschätze als eine wichtige Säule seines Tuns etabliert hat.

Regisseur Marcos Darbyshire kannte die 1812 im Venediger Teatro San Moisè uraufgeführte Komödie dennoch, wurde er für die Inszenierung derselben doch schon vor zehn Jahren aus Luxemburg angefragt. „Das Projekt kam damals wegen fehlender Fördergelder zwar nicht zustande, ich habe mich aber bereits mit dem Stück beschäftigt. 2024 durfte ich dann an der niederländischen Opera Zuid mit ‚La scala di seta‘ und ‚Il signor Bruschino‘ zwei der fünf Rossini-Einakter inszenieren, woraufhin mir das Theater an der Wien ‚L’occasione fa il ladro‘ für die Kammeroper angeboten hat.“

Die mit atemberaubender Rasanz gestaltete Verwechslungsfarce wird am 23.September die neue Saison eröffnen.

„Ich finde die frühen Rossini-Komödien allesamt genial, weil er seine Werkzeuge von Anfang an beherrscht hat. Anders als zum Beispiel Wagner, dessen erste Stücke ‚Die Feen‘ und ‚Das Liebesverbot‘ dilettantisch erscheinen, weil ihre musi-

„Ich finde die frühen Rossini-Komödien allesamt genial, weil er seine Werkzeuge von Anfang an beherrscht hat. Anders als zum Beispiel Wagner, dessen erste Stücke ‚Die Feen‘ und ‚Das Liebesverbot‘ dilettantisch erscheinen, weil ihre musikalischen Proportionen überhaupt nicht stimmen, haben Rossinis Anfängerwerke eine ausgezeichnete Struktur und Form, die den späteren ‚großen‘ Komponisten bereits deutlich erkennen lassen“, erklärt Marcos Darbyshire sein Interesse.

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„Etwa in der Mitte von ‚L’occasione fa il ladro‘ gibt es ein Quintett, das Rossinis berühmtenQuintettenin‚LaCenerentola‘ und ‚Il barbiere di Siviglia‘ schon sehr nahe kommt. Und in der Ouvertüre findet sich zum ersten Mal das charakteristische Element des Sturms, das der Komponist in weiterer Folge immer wieder in seine Opern eingebaut hat.“ Anders als bei Vorspielen üblich, wird man den Sturm in der Kammeroper auch physisch in Szene gesetzt erleben können.

Mit italienischer Oper bin ich aufgewachsen, dazu habe ich einen seelischen Bezug.

Marcos Darbyshire, Regisseur

Reich und tablettensüchtig

Die größte Challenge dieser Arbeit sei die Komödie an sich, die sich in der Oper sozusagen potenziere. „Denn man kann sich nicht am Libretto festhalten, das in der Regel über hundert Jahre alt ist, weil das Publikum einen Bezug zur Gegenwart braucht, um darüber lachen zu können. Also muss man alles über die physische Komödie entwickeln, die, genauso wie die Musik selbst, Timing bedeutet. Die Aufgabe lautet also, diese beiden Ebenen der zeitlichen Präzision exakt aufeinander abzustimmen. Rossinis Musik, die wie ein Uhrwerk funktioniert, muss sich in der Handlung spiegeln. Und das ist nicht einfach.“

Aber für Marcos Darbyshire auch kein Grund zu jammern, hat er doch längst eine theatrale Möglichkeit gefunden, um die Beziehungen der einzelnen Figuren zueinander und das komödiantische Element des Identitätstransfers zu verdeutlichen. Was das sein wird, sei aber noch nicht verraten. An ein bestimmtes Milieu wird er seine Regie jedenfalls nicht binden, weil eine solche Verortung keine Relevanz habe.

Wichtiger sei es, dem Publikum einen direkten Zugang zu den Charakteren zu ermöglichen. „Wir haben die Archetypen der Commedia dell’arte studiert und sie in moderne kollektive Deutungsmuster übersetzt. Wie zum Beispiel die reiche Hausbesitzerin, die tablettensüchtig und Alkoholikerin ist.“

Der gebürtige Argentinier, der schon als Kind zwei Jahre in Deutschland gelebt hat und mehr über CD-Aufnahmen denn durch Live-Erlebnisse mit klassischer Musik in Berührung kam, schätzt auch in seiner Arbeit Diversität. Seinem künstlerischen Interesse gelten Belcanto-Opern und zeitgenössische Werke gleichermaßen.

„Ich habe auch als Konsument einen vielfältigen Geschmack und schaue Comedyserien ebenso gerne wie Horrorfilme. Mit italienischer Oper bin ich aufgewachsen, dazu habe ich einen seelischen Bezug. Und zu moderner Musik, die oft noch referenzlos ist, habe ich einen direkten Zugang, weil ich sie als Musiker über die Partitur schnell einordnen kann.“

Zur Person: Marcos Darbyshire

absolvierte eine Ausbildung zum Pianisten und studierte anschließend Opernregie. Er inszenierte u. a. „Lucia di Lammermoor“, „L’elisir d’amore“, „Nabucco“, die Rossini-Einakter „Il signor Bruschino“ und „La scala di seta“ sowie die österreichische Erstaufführung von Georg Friedrich Haas’ „Liebesgesang“. An der Kammeroper übernahm er zuletzt 2023 die Regie der Oper „Denis & Katya“ von Philip Venables. Im Juni 2025 feierte er mit Puccinis „Tosca“ in St. Gallen einen großen Erfolg bei Kritik und Publikum.

Rossinis Ghostwriter

Mit Pedro Beriso verbindet Marcos Darbyshire übrigens eine lang andauernde freundschaftliche Verbundenheit. Die aktuelle Fassung von „L’occasione fa il ladro“ haben beide gemeinsam und – wie sie betonen – gleichberechtigt erarbeitet.

Der spanische Dirigent kennt das Theater an der Wien bereits von früheren Assistenztätigkeiten und gibt mit dem Rossini-Einakter, dessen saloppe Titel- Übersetzung „Gelegenheit macht Diebe“ sich auf die amüsanten Identitätsaneignungen bezieht, nun sein Hausdebüt als musikalischer Leiter. Auch er lobt Rossinis frühe Komposition, die dieser mit nur zwanzig Jahren geschrieben hat, in höchsten Tönen.

„Die Musik ist elegant und kraftvoll. Rossini war zwar jung an Jahren, aber nicht an Erfahrung, denn das war bereits seine achte Oper. Von einem Anfänger hört man hier jedenfalls nichts, vielmehr sind alle für ihn typischen Indikatoren schon ausgeprägt vorhanden“, so Pedro Beriso.

Weitaus herausfordernder sei die Arbeit an den Rezitativen gewesen. „Denn diese stammen nicht von Gioachino Rossini. Es war damals durchaus üblich, die Rezitative an musikalische Assistenten, die uns heute nicht einmal mehr namentlich bekannt sind, zu vergeben. Rossini, der zweifellos sehr beschäftigt war und innerhalb von zwanzig Jahren 39 Opern schrieb, hat das in den meisten Fällen auch so gehandhabt. Bei ‚L’occasione fa il ladro‘ be!nden sich die Rezitative in keinem finalen Zustand, sondern erinnern mehr an das Material eines Workshops. Wir mussten intensiv daran arbeiten, um den dramaturgischen Fluss zu verfeinern.“

Rossini war zwar jung an Jahren, aber nicht an Erfahrung, denn das war bereits seine achte Oper.

Pedro Beriso, Dirigent

Einakter wie dieser seien im 19. Jahr- hundert sehr populär gewesen, meist habe man sie gemeinsam mit einem zweiten Stück gezeigt, um ein abendfüllendes Programm zu gewährleisten. So stand bei der Uraufführung von „L’occasione fa il ladro“ auch „Un avvertimento ai gelosi“ von Manuel García auf dem Programm.

„Ein Opernbesuch war speziell in Venedig viel mehr ein gesellschaftliches Ereignis denn ein kulturelles und erstreckte sich über viele Stunden“, erklärt Pedro Beriso lächelnd. „In den Pausen sind Balletttänzer und Zauberer aufgetreten, um die Zuschauer zu unterhalten.“ In Wien gibt es indes neunzig Minuten Rossini pur.

Nicht unerwähnt sollte auch bleiben, dass es sich bei dieser Produktion um eine Campus-Kooperation mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und dem Mozarteum Salzburg handelt. Drei der sechs Solistinnen und Solisten sind also, wie auch Rossini zur Zeit der Entstehung es war, junge Professionisten am Beginn ihrer Laufbahn.

Musikalisch polyamourös

Pedro Berisos erste Liebe gilt der Stimme, denn seine Großmutter, die er öfter am Klavier begleitete, sang gut und gerne. Er nahm selbst Gesangsunterricht, trat aber nie professionell auf und studierte später Klavier und Dirigieren. „Dass ich nun mit Sängerinnen wie Cecilia Bartoli, die zu meinen Idolen zählt, arbeiten darf, lässt meine Kindheitsträume wahr werden“, gerät er ins Schwärmen. Nach wie vor tritt er auch als Klaviersolist auf, spielte 2023 in der Neuproduktion von „Le nozze di Figaro“ in Salzburg den Continuo-Part am Hammerklavier und wird bei „L’occasione fa il ladro“ nicht nur dirigieren, sondern auch die Rezitative pianistisch begleiten.

2024 wurden Pedro Beriso und der Regisseur Mart van Berckel für ihr Musiktheaterprojekt „Ändere die Welt!“ in den Niederlanden ausgezeichnet. „Wir haben mit Musik von Schumann über Beethoven bis hin zu Eisler und Weill gearbeitet und diese in eine neue Geschichte transferiert.“

Das Grundthema dieses künstlerischen Pasticcios bleibt wohl ewig zeitlos: die Revolution.

Zur Person: Pedro Beriso

studierte Dirigieren, Klavier und Gesang und war u.!a. Mitglied im Internationalen Opernstudio am Opernhaus Zürich. 2022 debütierte er mit „Così fan tutte“ als Dirigent beim Opera Ballet Vlaanderen, 2023 als Continuospieler in „Le nozze di Figaro“ bei den Salzburger Festspielen. Im selben Jahr entwickelten er und Regisseur Mart van Berckel an der Dutch National Opera das Musiktheaterprojekt „Ändere die Welt!“, das 2024 – ebenfalls unter seiner musikalischen Leitung – an der Semperoper Dresden erfolgreich wiederaufgenommen wurde.

Hier zu den Spielterminen von L’occasione fa il ladro in der Kammeroper!