Fast wie ein Anfang. Wenn Stefan Herheim im Herbst die dritte Saison seiner Amtszeit einläutet, startet er in eine neue Ära. Denn nach zwei Spielzeiten im Ausweichquartier Halle E wird das Theater an der Wien nach umfangreicher Renovierung glanzvoll wiedereröffnet.

Anzeige
Anzeige

Auf dem Programm am 12.Oktober steht ein feierlicher Festakt um elf Uhr mit Werken von Ludwig van Beethoven und Johann Strauss, die dem Haus künstlerisch eng verbunden waren. Tickets à 15 Euro hierfür sind ab 16. September verfügbar. Zur Galapremiere am selben Abend wartet Mozarts „Idomeneo“ auf ein illustres Publikum. Warum – und vieles mehr zur Saison 2024/25 –, erklärt Stefan Herheim im Interview.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie dem neu sanierten Opernhaus entgegen?

Ich freue mich, dort quasi zum zweiten Mal in Wien anzukommen, und bin mit dem Verlauf der Übergangsphase zufrieden. Die Generalsanierung war dringend nötig, und alle freuen sich, dass die Zukunft nicht nur dieses historischen Ortes gesichert ist, sondern auch die Möglichkeiten, zeitgemäßes Musiktheater hier zu gestalten. Jeder merkt an diesem Ort, in welcher Kontinuität man sich bewegt, und selbst in der Begrenzung der möglichen Modernisierung, etwa durch den Denkmalschutz, zeigt sich hier das Meisterliche.

Den Auftakt machen Sie in eigener Regie mit Mozarts „Idomeneo“. Warum gerade damit?

Schon mein Vorgänger Roland Geyer hat zur Eröffnung des Theaters an der Wien als neues Opernhaus im Jahr 2006 „Idomeneo“ auf den Spielplan gesetzt, denn es handelt sich um ein Haus, das im Jahr 1801 im Geiste Mozarts errichtet wurde. Auf den Auftrag zu dieser Oper hat Mozart fünf Jahre lang gewartet, sie war seine letzte, bevor er fest nach Wien übersiedelte, und in ihr ist bereits alles enthalten, was Mozarts Musiktheater kennzeichnet. Zudem ist „Idomeneo“ eine Anti-Kriegs-Oper, in der Mozarts Liebesbotschaft mit einer bestechenden Klarheit und Schönheit zum Ausdruck kommt.

Anzeige
Anzeige
Asmik Grigorian
Asmik Grigorian gibt in der Regie von Vasily Barkhatov, nach pandemiebedingter Absage 2020, nun ihr Debüt in der Titelrolle von Vincenzo Bellinis „Norma“. Zur Seite stehen ihr dabei Freddie De Tommaso als Pollione und Aigul Akhmetshina als Adalgisa.

Foto: Lukas Gansterer

Elsa Dreisig
Elsa Dreisig. Die französisch-dänische Sopranistin singt in Schumanns „Das Paradies und die Peri“ die verzweifelte Peri sowie die Titelrolle in Händels konzertant aufgeführter Zauberoper „Alcina“.

Foto: Simon Fowler

Sie werden auch bei „Der Prozess“ und „Voice Killer“ die Regie übernehmen. Was zeichnet diese beiden Stücke aus?

Wir bleiben unserer bisherigen programmatischen Vielfalt treu, gehen an alte Werke neu heran und setzen in dieser Spielzeit Schwerpunkte mit modernem und zeitgenössischem Musiktheater. Mit der Rückkehr in unser Stammhaus, das nicht zufällig Theater an der Wien heißt, wollen wir auch einen Fokus auf diese Stadt im Fluss der Zeit durch Stücke mit starkem Wien-Bezug setzen. Gottfried von Einem war dieser Stadt sehr verbunden, und mit der Aufführung einer seiner erfolgreichsten Opern, „Der Prozess“, gedenken wir zugleich Franz Kafkas, dessen Todestag sich heuer zum hundertsten Mal jährt. Wir spielen das Werk in der Kammeroper in einer Bearbeitung für kleines Orchester, die ganz andere Farben dieser Romanvertonung hörbar werden lässt.

„Voice Killer“ ist ein Werk, das wir schon 2018 dem Komponisten Miroslav Srnka in Auftrag gegeben haben. Gemeinsam mit seinem Librettisten Tom Holloway stieß er auf einen Kriminalfall auf einem
amerikanischen Stützpunkt in Australien während des Zweiten Weltkriegs, wo ein von der Stimme seiner Mutter besessener Soldat Frauen zum Singen gezwungen und getötet hat. Indem er aus der Per- spektive des Mörders erzählt, verwandelt Miroslav Srnka die Ereignisse in einen Fluss sich überlagernder Zeit-, Raum- und Bewusstseinsebenen.

Christof Loy
Christof Loy. Der deutsche Regisseur war jahrelang eine fixe Größe des Theaters an der Wien und kehrt nach einer Pause nun mit Schumanns „Das Paradies und die Peri“ zurück. Am Pult: Dirigentin Giedrė Šlekytė.

Foto: Monika Rittershaus

Ilaria Lanzino
Ilaria Lanzino. Hamlet anno 1705. Gemeinsam mit dem Ensemble La Lira di Orfeo rekonstruiert die italienische Regisseurin Francesco Gasparinis fragmentarisch überlieferte Oper „Ambleto“.

Foto: Lena Faye

Insgesamt umfasst das Programm 401 Jahre Operngeschichte. Dazu zählen neben den angeführten drei szenischen Werken sechs weitere. Können Sie uns diese im Schnelldurchlauf näher bringen?

Ich werde es vielleicht nicht ganz chronologisch schaffen (lacht), aber am Anfang steht das Projekt „Combattimenti“ mit Musik von Claudio Monteverdi, dessen Madrigale als Wiege des Musiktheaters gelten. Der Wien-Bezug setzt sich fort mit Marianna von Martines, einer gefeierten Sängerin, Cembalistin und Komponistin, die wie so viele andere zu Unrecht im Schatten Mozarts steht. Joseph Haydn und Pietro Metastasio waren ihre Mäzene, und ihr Oratorium „Isacco figura del redentore“ ist insofern inhaltlich ein Pendant zu „Idomeneo“, als es auch hier um ein Menschenopfer geht. Von Johann Strauss’ insgesamt 15 Operetten wurden 13 im Theater an der Wien uraufgeführt. Das Jubiläumsjahr 2025 läuten wir mit einem seiner heute unbekanntesten Werke ein, das aber zu seinen Lebzeiten zu seinen erfolgreichsten zählte, bis es in der Schublade verschwand.

Denn „Das Spitzentuch der Königin“ ist eine Parodie auf Kronprinz Rudolf, und nach dessen Selbstmord in Mayerling war es unmöglich, das Stück weiter zu spielen. Jetzt ist es aber an der Zeit, dieses Füllhorn an musikalischen Einfällen wiederzuentdecken. Für Robert Schumanns wunderschönes romantisches Oratorium „Das Paradies und die Peri“ kehren Regisseur Christof Loy und Dirigentin Giedrė Šlekytė ans Haus zurück. Lange sah Bellinis „Norma“ das Bühnenlicht nicht mehr in Wien. Roland Geyer wollte das Meisterwerk schon 2020 mit Asmik Grigorian in der Titelrolle und in Vasily Barkhatovs Regie herausbringen, Kostüme und Kulissen wurden bereits hergestellt, doch dann kam die Pandemie. Um diese Produktion nachzuholen, brauchten wir die Bühne des Theaters an der Wien, wo wir nun mit „Norma“ unsere Programmsäule Belcanto fortsetzen.

Eine weitere Programmsäule ist die Familienoper – in der Spielzeit 2024/25 spielen wir „Der kleine Prinz“ von Pierangelo Valtinoni, der Antoine de Saint-Exupérys berühmtes Buch vor zwei Jahren für die Mailänder Scala vertonte. Also ein weiterer Anlauf, das junge Publikum mit zeitgenössischer Oper vertraut zu machen. Francesco Gasparinis „Ambleto“ setzt sich als eine der ersten Opern überhaupt mit dem Hamletsujet auseinander, wofür Ilaria Lanzino als Regisseurin zurückkehrt. Sergej Prokofjews 1940 komponierte Oper „Die Verlobung im Kloster“ ist eine turbulente Verwechslungskomödie, deren Figuren der Commedia dell’arte entsprungen scheinen, jedoch 1940 in der Sowjetunion entstand. Schließlich findet sich mit „María de Buenos Aires“ die Wiederaufnahme eines Publikumsrenners im Programm. Schon Wochen vor der Premiere in der letzten Saison gab es dafür keine Karten mehr.

Attilio Glaser
Attilio Glaser. Der deutsche Tenor singt in Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Idomeneo“ zur Wiedereröffnung des Theaters an der Wien die Titelrolle. Die musikalische Leitung übernimmt David Bates.

Foto: Simon Pauly

Luisa Muller
Louisa Muller. Die in Wien beheimatete amerikanisch-deutsche Regisseurin gibt mit Pierangelo Valtinonis „Il piccolo principe“ nach der Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry ihr Debüt am Theater an der Wien.

Foto: Eric Melear

Welche Bewandtnis hat es mit dem Musical „Briefe von Ruth“?

Das Stück des erfolgreichen norwegischen Musical-Duos Gisle Kverndokk und Aksel-Otto Bull wurde 2023 in Gmunden uraufgeführt. Es erzählt die Geschichte der Wienerin Ruth Maier, die vor den Nazis nach Norwegen flüchtete, wo sie eine Liebesbeziehung mit der Schriftstellerin Gunvor Hofmo begann. Als das Land okkupiert wurde, ist Meier nach Auschwitz deportiert und ermordet worden. Ihre Briefe und Tagebücher, die von Liebe und Leben in Zeiten des Hasses berichten, haben die Macher des Musicals zu einem tiefgründigen Werk inspiriert.

Daneben wird es konzertantes Musiktheater geben. Alte Musik – neu interpretiert. Worauf darf sich das Publikum in dieser Sparte freuen?

Wir haben mit „The Triumph of Time and Truth“, „Rodelinda“ und „Alcina“ drei der schönsten Werke von Georg Friedrich Händel im Programm. Christophe Rousset bringt mit seinem Ensemble Les Talens Lyriques die selten gespielte Barockoper „Proserpine“ von Jean-Baptiste Lully nach Wien, und der Countertenor Max Emanuel Cenčić gemeinsam mit dem Dirigenten Benjamin Bayl die Oper „Griselda“ von Giovanni Bononcini. Als Repräsentant des englischen Musiktheaters ist Matthew Locke mit seiner 1675 entstandenen Semi-Opera „Psyche“ dabei, und ein Gastspiel, auf das ich mich ebenfalls sehr freue, ist jenes er Akademie für Alte Musik Berlin unter Francesco Corti mit Domènech Terradellas’ „Merope“. Auch Christina Pluhar kommt wieder mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata, allerdings gestalten sie keinen herkömmlichen Barockabend, sondern widmen ihr neues Programm „Balkanroute“ Menschen auf der Flucht.

Das musikdidaktische Angebot der Kulturvermittlung wird um die Schiene „Bravissimo“ erweitert. Was können Besucher hierbei erleben?

Hierbei handelt es sich nicht nur um eine einstündige Führung durch das Haus, sondern um einen kunterbunten Streifzug durch die klingenden Räume des Theaters an der Wien. Wir verbinden Wissenswertes rund um die Architektur und Geschichte des über 220 Jahre alten Hauses mit einem Spiel, zu dem so manche Geister der Oper und der Operette sowohl vor als auch hinter den Kulissen leibhaftig erwachen und Auszüge ihrer Kunst zum Besten geben.

Miroslav Srnka
Als Auftragswerk liefert der tschechische Komponist, gemeinsam mit Librettist Tom Holloway, die einzige Uraufführung der Spielzeit 24/25: „Voice Killer“ ist eine in Australien angesiedelte True-Crime-Oper.

Foto: Kaupo Kikkas

Chiara Cattani
Chiara Cattani. Bei Marianna von Martines’ „Isacco figura del redentore“ übernimmt die italienische Dirigentin und Cembalistin die musikalische Leitung. Regie führt Eva-Maria Höckmayr – für beide das Theater an der Wien-Debüt.

Foto. Francesco Bondi

In unserem Interview zur Saison 2023/24 meinten Sie: „Als inszenierender Intendant ist meine ‚Berufung‘ von der Hoffnung getragen, Gefühl und Vernunft vereint zur Geltung kommen lassen zu können, wo sonst berechnender Stumpfsinn waltet und Leere hinterlässt.“ Ist Ihnen diese Hoffnung im letzten Jahr abhanden gekommen, oder ist sie vielmehr gewachsen?

Überall, wo diese Hoffnung herausgefordert oder angegriffen wird, kann sie nur sterben oder stärker werden. Bei mir wird sie immer stärker, sei es auch aus Trotz, Wut, Verzweiflung, Naivität oder schlichtweg wegen der Unfähigkeit, manche Dinge zu verstehen. Ich möchte gemeinsam mit Menschen etwas schaf- fen, das uns als Visionäre einer besseren Welt ausweist und Freude und Hoffnung macht. Das Leben ist zu kurz, um es in den Dienst der Angst zu stellen oder dem Argwohn zu frönen, der sprichwörtlich mit dem Teufel aus einer Schüssel isst. Und der weltweite Rechtsruck motiviert mich, Geschichten wie „Briefe von Ruth“ auf die Bühne zu bringen, die viel über das Menschsein erzählen, gerade weil sie nichts ausschließen.

Emily Mrosek
Emily Mrosek. Im Musical „Briefe von Ruth“, das sich mit dem Schicksal der aus Wien stammenden Ruth Maier im Zweiten Weltkrieg und ihrer Liebe zu Gunvor Hofmo beschäftigt, ist die Newcomerin in der Titelpartie zu erleben.

Foto: Saskia Allers

Nikolaus Habjan
Nikolaus Habjan. In der ebenfalls wiedereröffneten „Hölle“ im Souterrain des Theaters an der Wien zeigen Künstler*innen außergewöhnliche Facetten ihres Könnens. Der Regisseur und Puppenspieler tritt z. B. als Kunstpfeifer auf.

Foto: Victoria Nazarova

Christina Pluhar
Christina Pluhar. Die Grazer Barockmusikexpertin und Dirigentin widmet mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata der humanitären Tragödie der Flüchtlingskrise das berührende musikalische Programm „Balkanroute“.

Foto: Michal Novak

Hier zum Programm des Theater an der Wien!