Vier-, fünfmal haben wir Elīna Garanča in den vergangenen zwei Jahren zu langen Gesprächen getroffen. Immer wieder kreisten diese auch um ihr Rollendebüt als Amneris in der „Aida“. Gemeinsam mit Anna Netrebko und Jonas Kaufmann wird sie die vier Opernabende der Wiederaufnahme bestreiten. Es ist für Garanča der selbst gesteckte Höhepunkt ihrer Karriere. Jahre hat sie sich darauf vorbereitet. Aber lassen wir die Diva selbst zu Wort kommen …

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Ist es nicht schön für Sie, wenn Sie sehen, dass es außer Netrebko und Ihnen in der Wahrnehmung der Menschen keine wirklichen Diven mehr gibt? Das nimmt doch den Druck – oder irre ich mich da? Und was ist das überhaupt für eine Beziehung, die Sie mit Anna Netrebko haben?

Die Menschen mögen dieses Duell der Diven. Das ist die mediale Wahrnehmung. Ich sehe es so: Wenn ich mit großen Kollegen auf der Bühne stehe, dann genießen wir die gesunde Rivalität, um Erfolg zu haben. Es ist ein Spaß, wenn ich mit Jonas (Anm.: Jonas Kaufmann) oder Anna auf der Bühne stehe – da wird dann sozusagen Tennis auf höchstem Niveau gespielt. Das sind dann die absoluten Glücksstunden. Da ist man nicht nur Sänger, da ist man Künstler, da bin ich dann ein freier Mensch auf der Bühne. Das ist etwas ganz Besonderes.

Warum wollten Sie die Rolle der Amneris immer singen?

Ich finde, das ist eine der besten Verdi-Opern. Die Ouvertüre, die Chöre. Zwar hat die Amneris keine Solo-Arie, aber alles, was um sie und mit ihr passiert, ist so stark. Liebe, Eifersucht, Verzweiflung.

Die Amneris steht schon immer auf meiner Bucket List. Ich habe mich jetzt fast drei Jahre stimmlich auf die Rolle vorbereitet. Die erste Vorstellung von der Amneris wird etwas Besonderes, ein sehr emotionaler Moment für mich. Also die Amneris ist dann mein Mount Everest. Wenn ich diese Partie endlich hinter mich gebracht habe, dann habe ich ziemlich viel richtig gemacht.

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Wie ist das, wenn man auf dem Gipfel des Mount Everest steht, runterschaut und vielleicht noch ein wenig oben bleiben möchte?

Die Luft ist recht dünn, und man ist auch sehr einsam da oben. Und: Weiter geht es nicht mehr. Ab dann sollte man wissen, wie man von diesem Berg wieder möglichst graziös und elegant runtersteigt.

Anna Netrebko
Anna Netrebko singt die Aida. Eigentlich war auch ein Interview mit Anna Netrebko angefragt – aber dann sagte das Management kurz­ fristig ab. „Netrebko gibt derzeit keine Interviews.“ Wir finden das schade.

Foto: Julian Hargreaves

Aida Verdi Burg Gars

Aida von Giuseppe Verdi

Eine unmögliche Liebesgeschichte in Zeiten des Krieges: Verdis Oper „Aida“ ist sehr viel mehr als nur der berühmte Triumphmarsch. Sie handelt vom Scheitern junger Menschen an einer festgefahrenen gesellschaftlichen Ordnung. Eine Zusammenfassung. Weiterlesen...

Sind das erste sentimentale Gedanken an den Abschied? Denken Sie wirklich ernsthaft über das Aufhören nach?

Es beschäftigt mich schon. Ich überlege oft: Wie werde ich meinen Ausklang machen? Singe ich und sage dann am nächsten Tag „Das war’s“? Oder mache ich noch eine letzte Tournee? Wissen Sie: Ich schaue nie zurück, sondern immer nur nach vorn. Vielleicht entsteht aus dem ZukunftsStimmen-Projekt eine neue Herausforderung, und ich kümmere mich um den Nachwuchs – wer weiß. Wenn ich die Amneris gesungen habe, dann kann ich aufhören. Das ist mein Everest – obwohl die Kundry einem technisch mehr abverlangt. Die Frage ist: Wenn ich diese Rolle geschafft habe, wie kann ich mich dann noch selbst motivieren? Ab dann kommt alles als Extrabonus dazu.

Die Amneris ist eigentlich eine echte – lassen Sie es mich auf Englisch sagen – Bitch. Richtig?

Ja, es gibt sehr viele Bitches im Sopranrepertoire. Die Carmen steht im Ruf, eine zu sein; die Dalila, die Kundry und viele andere in der Stimmlage sind Witches.

Und viele dieser Rollen haben Sie gesungen …

(Lacht.) Ja, einige. Ich suche noch den Schlüssel zu diesem Charakter und dieser Rolle. Sie ist eine Frau, die von Eifersucht sehr getrieben ist, aber das als einzige Idee stehen zu lassen ist mir zu wenig. Bei der Amneris spielt ja auch ihre Herkunft eine nicht unwesentliche Rolle. Sie ist in einer männlichen Gesellschaft groß geworden. Die Mutter existiert nicht, sie hat auch keine Schwester. Sie wurde sicher allein ob ihres Geschlechts emotional vernachlässigt. Und dann trifft dieser Charakter auf eine Person wie Aida, die so schillernd ist. Amneris wird durch dieses Aufeinandertreffen aus der Bahn geworfen, und sie muss vermutlich zum ersten Mal hinterfragen, wer sie ist.

Ich glaube, dass es gerade im Charakter der Amneris noch viel zu entdecken gibt. Ich glaube, dass man, wenn man auf der Bühne steht, da noch sehr viele Finessen hineinbringen kann. Ich denke auch, dass viele Reaktionen von Amneris impulsiver Natur sind und gar nicht so kalkuliert. Das sind die Facetten, die mich am meisten interessieren.

Liebt Amneris Radamès wirklich, oder will sie ihn nur besitzen?

Ich glaube, dass sie ihn am Anfang besitzen will, weil sie gewohnt ist, alles haben zu können. Als sie jedoch sieht, dass Radamès und Aida einander lieben, will sie das Gefühl auch kennenlernen. Aber da ist es dann zu spät, und sie kann ihr Besitzdenken nicht mehr in Richtung Liebe drehen. Sie hat einfach die falsche Reihenfolge gewählt. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn sie zuerst geliebt hätte …

Jonas Kaufmann
Jonas Kaufmann singt den Radamès. Über Auftritte mit Superstars wie ihm sagt Garanča: „Da wird dann Tennis auf höchstem Niveau gespielt. Das sind absolute Glücksstunden. Das ist etwas ganz Besonderes!“

Foto: Gregor Hohenberg/Sony Music

Weil sie Radamès nicht haben kann, opfert sie ihn …

Das ist doch wie in der Ukraine jetzt: Wenn ich es nicht haben kann, dann zerstöre ich es.

Können Sie diesen Zugang nachvollziehen? Haben Sie auch schon einmal so verrückt geliebt?

Jetzt wäre es mir zu blöd, aber vor fünfundzwanzig Jahren wahrscheinlich nicht. (Lacht.) Das ist dieser maximalistische jugendliche Zugang. Wenn Romeo und Julia zwanzig Jahre älter gewesen wären, wäre auch nicht alles derart eskaliert. (Lacht.)

Sie haben die Kundry gesungen, jetzt die Amneris. Wo liegt der Unterschied für Sie als Sängerin, wenn Sie Wagner oder Verdi singen? Wie ändern sich die Anforderungen an Ihre Stimme?

Verdi schrieb mit Blick auf die Sänger, bei ihm kann man seine Fähigkeiten präsentieren, die schönen, hochfliegenden Melodien genießen – während Wagner die Sänger als gleichwertig mit einem Orchester ansah und daher mehr Kraft, Ausdauer und Volumen einfordert. Bei Wagner, finde ich, wird die Stimme wie eine Schraube in die Weltuhr eingesetzt.

Sie suchen mit Ihrer Aktion ZukunftsStimmen nach neuen Talenten: Was sollten junge Sängerinnen und Sänger zum Casting mitbringen?

Als junger Sänger musst du erst einmal die Technik beherrschen; wenn du weißt, wie man ein Auto steuert, dann kannst du auch bei Regen oder Schnee fahren.

Viel wichtiger ist aber die Mischung aus Potenzial und Authentizität. Heutzutage gibt es so viele Wunderkinder mit unglaublichen technischen Fähigkeiten, aber oft bringen sie nicht mehr zustande als eine Abfolge von perfekten lauten und hohen Tönen. Technik ist schon wichtig, aber eine überzeugende Geschichte voller Emotionen ist viel interessanter. Am Ende macht einen die Virtuosität müde. Irgendwann willst du den Menschen kennenlernen und sehen.

Zu den Spielterminen von „Aida“ in der Wiener Staatsoper!