„Alma": Das Drama der begabten Frau
Talentierte Komponistin. Populäre Ehefrau. Glücklose Mutter. Üble Antisemitin: Alma Mahler-Werfel. Die israelische Komponistin Ella Milch-Sheriff übersetzte den Mythos der Skandalmuse in eine zeitgenössische Oper. Musikalisch so versatil wie die Titelfigur. Schwarzhumorig wie das Leben.
La femme fascinante. Für jemanden, dessen eigene Produktivität in der generierten Aufmerksamkeitsökonomie nur eine untergeordnete Rolle spielte, hat es Alma Margaretha Maria Schindler außerordentlich weit gebracht. Ihr Leben wurde in zahlreichen Briefen, Biografien, Filmen und Theaterstücken dokumentiert, auch mehrere Ballette und zwei Musicals versuchten eine Annäherung an diese vergötterte und verabscheute öffentliche Figur, die Ende des 19. Jahrhunderts zum It-Girl der Wiener Gesellschaft avancierte.
Dafür musste die selbstbewusste junge Frau, deren untrügliches Sensorium für künstlerische Talente sie in die Nähe der größten Komponisten, Maler, Architekten und Schriftsteller ihrer Zeit brachte, allerdings einen hohen Preis zahlen. Denn ihr eigenes Schaffen als Komponistin wurde beharrlich in den Hintergrund gedrängt. Gustav Mahler, ihr erster Ehemann, verbot ihr sogar, weiterhin als Schöpferin musikalischer Werke in Erscheinung zu treten. Sie betrog ihn mit dem späteren Bauhaus- Gründer und Architekten Walter Gropius, den sie nach Mahlers Tod und einer zwischenzeitlichen Affäre mit Oskar Kokoschka heiratete. Doch die Beziehung war nicht von Dauer, und nach der Scheidung von Gropius ehelichte sie den Schriftsteller Franz Werfel. Insgesamt hatte sie vier Kinder, von denen drei früh starben. Lediglich Tochter Anna, mit der sie ein friktionsreiches Verhältnis pflegte, überlebte.
Man könnte meinen, dass über Alma Mahler-Werfel alles gesagt sei. Nun wird ihr ebenso kompliziertes wie schillerndes Leben besungen.
Rätsel ohne Lösung
Komponistin Ella Milch-Sheriff stellt in ihrer Oper Alma Mahler-Werfels Rolle als Mutter in den Mittelpunkt. Jeder der fünf Akte ist einem Kind gewidmet – darunter auch jenes von Oskar Kokoschka, das sie abtreiben ließ. „Da nur eines ihrer vier geborenen Kinder überlebte, hat sie sich gefühlt wie Medea, die ihre eigenen Kinder getötet hat“, erklärt Ella Milch-Sheriff ihr spezielles Interesse für diesen Aspekt der Alma-Biografie.
„Sie dachte, sie habe ihre eigene Seele vergiftet, weshalb ein Kind nach dem anderen gestorben ist.“
Sie war scharfzüngig, hochintelligent und eine ausgezeichnete Musikerin. Aber liebenswürdig war sie nicht.“
Ella Milch-Sheriff, Komponistin
Gleich zu Beginn der Oper erklingt süßliche Heurigenmusik, ehe das Publikum in Almas Tragödie einsteigt, die Ella Milch-Sheriff trotz aller Dramatik mit tiefschwarzem Humor auskleidet. Manon Gropius, die schöne und beliebte Tochter, ist gestorben. Am Tag ihres Begräbnisses drängen die Mitglieder der feinen Gesellschaft Wiens zum Friedhof, um einen Blick auf die trauernde Mutter zu erhaschen. Sie schaffen es durch den Stau in letzter Minute ans offene Grab, erblicken eine Frau mit Schleier, doch als sich dieser hebt, kommt darunter Anna Mahler zum Vorschein. „Diese Szene ist wirklich tragisch und komisch zugleich, denn die Menschen werden böse, sie fühlen sich betrogen, haben sie doch alles dafür getan, um auf diesen Friedhof zu kommen. Und nun ist Alma nicht da.“
Ella Milch-Sheriff schätzt Gustav Mahler in besonderem Maße und lernte durch die Beschäftigung mit seinem Werk auch Alma Mahler-Werfel näher kennen. „Ich war sofort fasziniert von ihrer diffizilen Persönlichkeit. Sie ist ein Rätsel ohne Lösung. Ich sehe sie auch als Opfer ihrer Zeit. Ende des 19. Jahrhunderts war das Leben junger Damen vor allem auf Schönheit ausgerichtet, sie sollten heiraten und Kinder bekommen. Aber sie war hochintelligent und sehr begabt, sie studierte Komposition bei Alexander von Zemlinsky und wollte mit ihrer Musik berühmt werden. Als sie den 19 Jahre älteren Gustav Mahler kennenlernte, musste sie ihre Kunst aufgeben, wofür sie ein Leben lang bezahlt hat.“
Persönliche Parallelen
Warum hat sich diese selbstbestimmte moderne Frau das überhaupt gefallen lassen? „Ich kann das mit meiner eigenen Geschichte vergleichen. Mein zweiter Ehemann, Noam Sheriff, war nicht nur zwanzig Jahre älter als ich, sondern auch der vielleicht bekannteste klassische Komponist Israels. Ich war 28 Jahre alt, als ich ihn kennenlernte, und vor allem als Sängerin aktiv, obwohl ich seit meinem zwölften Lebensjahr komponiert und auch ein entsprechendes Studium absolviert habe.
Anders als bei Alma hat mein Mann nie von mir verlangt, das Komponieren aufzugeben, aber sein Talent und sein Status haben mich lange daran gehindert. Ich tendierte zum Gesang, weil es dabei keinen direkten Wettbewerb mit ihm gab. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich als Sängerin nie so gut sein würde wie mein Idol Christa Ludwig, und die Komposition wieder aufgenommen.
Basierend auf dem Tagebuch meines Vaters habe ich ‚Ist der Himmel leer?‘ geschrieben – ein Werk für Mezzosopran, Sprecher und Orchester, das erst in Israel, später auch in Deutschland und anderen Ländern ein enormer Erfolg wurde. Das war nicht leicht für meinen Mann. Plötzlich komponiert diese kleine Frau, jeder spricht über sie – das war ein bisschen zu viel. Wir hatten Schwierigkeiten, aber er war letztendlich klug genug, mich zu unterstützen und meine Fähigkeiten zu schätzen.“
Zur Person: Ella Milch-Sheriff
studierte Gesang & Komposition in Tel Aviv und war zunächst als Sängerin erfolgreich. Heute zählt sie zu den international erfolgreichsten Komponist*innen Israels – ihr Schaffen reicht von Opern über Orchesterwerke bis hin zu Kammer- und Vokalmusik. Zu ihren bekanntesten Arbeiten zählen „Ist der Himmel leer?“, „Die Ratte lacht“, „Baruchs Schweigen“, „Der ewige Fremde“ und „Die Banalität der Liebe“.
Zu den von ihr komponierten Opern trugen namhafte Autor*innen wie Savyon Liebrecht, Yael Ronen oder Nava Semel die Libretti bei, das Textbuch für „Alma“ stammt von Ido Ricklin. 2022 wurde sie von der Society of Authors, Composers and Music Publishers (ACUM) in Israel mit dem Lebenswerk-Preis ausgezeichnet.
Alma Mahler-Werfel war nach Einschätzung von Ella Milch-Sheriff eine begabte Komponistin, die es mit wachsender Erfahrung ebenfalls zur anerkannten Künstlerin hätte bringen können.
Aber wäre sie ihr auch sympathisch gewesen? „Nein“, lacht sie, „das glaube ich nicht. Sie versuchte erst gar nicht, nett zu sein, sondern liebte es, zu provozieren. Sie war scharfzüngig, hochintelligent und eine ausgezeichnete Musikerin, die mit Mahler vierhändig Klavier spielen konnte. Aber liebenswürdig war sie nicht.“ Vielmehr war sie Antisemitin. Und auch in dieser Haltung ambivalent. „Ich bin die Tochter zweier Holocaustüberlebender“, erklärt Ella Milch-Sheriff.
„Alma war meiner Meinung nach klar antisemitisch, damit aber nicht allein. Erschreckend viele in der Wiener Gesellschaft waren damals Antisemiten, sie ist so erzogen worden und kannte es gar nicht anders. Trotzdem hat sie zuerst Gustav Mahler, einen konvertierten Juden, und dann Franz Werfel, einen Juden, geheiratet. Sie hat Werfel vor den Nazis gerettet, denn er wollte Wien nicht verlassen, während sie die Gefahr verstanden und ihn zur Emigration gezwungen hat. Auch wenn ich ihre Meinungen natürlich nicht teile, verstehe ich sie im Kontext der Zeit.“
Ode an Omer
Ella Milch-Sheriff betreut ihre eigenen Werke intensiv, wird also während der Probenzeit von „Alma“ auch sehr viel Zeit an der Volksoper verbringen. Nicht, um sich in den kreativen Prozess einzumischen, sondern um bei Bedarf unterstützend zur Verfügung zu stehen. Zu Wien hat sie eine innige langjährige Beziehung, die als Touristin begann und sich professionell fortsetzte.
„2016 wurde meine Oper ‚Baruchs Schweigen‘ im Rahmen des Festivals EntArteOpera im Semperdepot aufgeführt. Und Ende letzten Jahres dirigierte Omer Meir Wellber mein Werk ‚Der ewige Fremde‘ zwischen dem zweiten und dem dritten Satz von Beethovens 9. Symphonie im Wiener Konzerthaus. Das war ursprünglich ein Auftragswerk zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens 2020 für das Gewandhausorchester Leipzig. Ich habe dabei einen Kanon, den Beethoven nach einem Traum niedergeschrieben hatte, genommen und neu interpretiert. Beethovens 9. Symphonie in Wien mit einem modernen Stück zu stören ist natürlich eine Frechheit.“ (Lacht.)
Als Alma Gustav Mahler kennenlernte, musste sie ihre Kunst aufgeben, wofür sie ein Leben lang bezahlt hat.
Ella Milch-Sheriff, Komponistin
Omer Meir Wellber, mit dem Ella Milch-Sheriff seit vielen Jahren intensiv zusammenarbeitet, ist auch der Grund, warum „Alma“ in Wien zur Uraufführung gelangen wird. „Sein Engagement für zeitgenössische Musik und sein Bestreben, neue Besucherschichten für Oper und Konzerte zu gewinnen, ist einzigartig. Ich war bezüglich ‚Alma‘ bereits in ernsthaften Verhandlungen mit einem deutschen Opernhaus, als Omer, zu der Zeit noch Musikdirektor der Volksoper, meinte: ‚Nein! Wien ist der einzig richtige Platz für diese Oper.‘ Er schlug sie Intendantin Lotte de Beer vor, die ebenfalls einverstanden war.“ Glückliche Fügung. Kluge Entscheidung.
Zum Zeitpunkt des Interviews arbeitete Ella Milch-Sheriff noch an der Orchestrierung von „Alma“. Und danach wartet eine weitere spannende Auftragsarbeit in Hamburg auf sie. Was genau, darf sie noch nicht verraten. Nur so viel: Es hat etwas mit Gustav Mahler zu tun. In gewisser Weise wechselt sie also nur die Ehepartner.
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