Wo sind die Diven der Zukunft? Ist man alt und reaktionär, wenn man auf den Opernbetrieb der Jetztzeit blickt und sich fragt: Wo sind die neuen Netrebkos? Die Garančas? Wer Aufnahmen der beiden Ausnahmekünstlerinnen von vor 25 Jahren anhört und mit ihrem stimmlichen Heute vergleicht, ist verblüfft: Die Brillanz, das Volumen, die Stärke und die Zärtlichkeit waren schon und sind immer noch da. Der Wiedererkennungswert: einzigartig. Es gibt natürlich außerordentliche neue Stimmen, aber ... Über dieses Thema und ein paar andere haben wir mit Elīna Garanča gesprochen.

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Sie machen sehr erfolgreiche Open-Air-Konzerte und singen dort verstärkt. Was müssen Sie tun, damit das Mikro nicht platzt?

Reduzieren – nicht 100 Prozent, sondern mit 70 Prozent Kraft singen, aber mit der gleichen Qualität. Mikrofonsingen bedeutet, man kann die gleiche Strecke nicht im Sprint, sondern nur im Marathontempo laufen.

Geht beim Singen mit dem Mikrofon Qualität verloren, oder kommt etwas dazu?

Die Resonanz ist einfach anders. Es werden durch das Mikro Schwingungen erzeugt, die einen vollkommenen Ton verhindern. Die Schallwellen der Stimme kreuzen sich so weit und stark – das kann ein Mikrofon einfach nicht zu hundert Prozent einfangen. Man kann das mit ein paar Kleinigkeiten ausgleichen – aber das Mikrofon war nie mein Freund. Ich versuche, wenn ich schon damit singen muss, mehr Emotion in die Interpretation zu legen.

Das Mikro war nie Ihr Freund – was bedeutet das?

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Na ja, es ist einfach zu wenig. Es ist zu klein. Es ist zu eindimensional.

Sie haben mir vorhin erzählt, dass Sie die jungen Sängerinnen für die Welt, in der sie leben, bemitleiden. Was meinen Sie damit?

Sie haben falsche Erwartungen, wie schnell man Karriere machen kann.Viele glauben, je mehr Follower man auf Instagram hat, desto berühmter wird man auf der Opernbühne – aber das ist nicht so. In der Opernwelt Karriere zu machen, das Publikum mit seiner Stimme zu begeistern, das braucht sehr viel Zeit.

Es braucht viele Stunden des Übens, der Verzweiflung, des Nachdenkens und viel Kritik. Denken Sie an all die älteren Dirigenten oder Pianisten – warum sind die so genial und werden so geliebt? Weil irgendwann das Tempo stimmt – weil Jahre der Erfahrung in jedem Ton stecken, weil man ihn immer und immer wieder probiert hat.

Das Problem ist auch, dass es immer weniger Agenten gibt, die Karrieren langsam aufbauen, und viele Häuser haben auch keine Lust und Zeit in junge Sänger*innen zu investieren. Sie werden schneller verbrannt. Niemand denkt mehr langfristig – es ist leider so wie in der Politik.

Das ist ja ziemlich blöd, wenn man nicht an die Zukunft denkt, weil man dann auch niemanden mehr hat ...

Wir sind Hochleistungssportler, und ich bin eine Maximalistin. Ich sage immer: Man muss für sich erkennen, ob man eine Ente oder ein Schwan ist, und man kann nicht von einer Ente verlangen, dass sie ein Schwan wird.

Liegt dieser Nachwuchsmangel auch daran, dass die Plattenindustrie tot ist?

Tot ist sie schon länger. Es ist allen Sänger*innen klar, dass man mit Aufnahmen nichts mehr verdienen kann. Die Labels haben wenigstens die Pressearbeit gemacht – das machen jetzt die Sänger*innen alle selber.

Man muss für sich erkennen, ob man ein Schwan oder eine Ente ist, und nicht er- warten, dass aus einer Ente ein Schwan wird.

Elīna Garanča

Muss ich mir jetzt um die Klassik an sich Sorgen machen?

Nein. Es ist nur die Art und Weise, wie man es präsentiert. Die Magie der Klassik ist, dass jeder das Komponierte anders interpretieren kann. Ein Thielemann hat mit vierzig Wagner anders dirigiert als jetzt – es ist die Erfahrung, die das macht, die neuen Perspektiven, die man in einem Stück entdeckt. Eine Rolle wie Carmen singt man mit zwanzig ganz anders als in den Vierzigern. Dieses neue Verständnis sorgt auch für einen neuen Klang.

Gehen Sie jetzt entspannter auf die Dinge zu als früher?

Ich glaube, man ruht mehr in sich. Ich höre nicht mehr so sehr auf andere Meinungen, und ich lasse mich dadurch auch nicht mehr so verunsichern. Ich bin mir meiner Meinung, meines Zugangs einfach viel sicherer geworden.

Cool. Wie gelingt einem Zufriedenheit? Helfen Sie mir!

Man muss oft genug geweint haben. Schicksalsschläge, Erfahrungen, Erinnerungen, Erlebnisse, Freunde, Verluste, Gewinne: Das sind sehr viele Sachen, die einen prägen und einen dann lehren, mit sich selber zufrieden zu sein – sich selber zu genügen.

Sie geben in regelmäßigen Abständen noch immer Rollendebüts. Auf was dürfen wir uns freuen?

Es gibt so fünf, sechs Rollen, die ich noch machen möchte, bevor ich bei den Ammen und verrückten Weibern lande. (Lacht.) Eine Ariadne auf Naxos, eine Medea, eine Ortrud oder eine Fedora. Und vielleicht eines Tages Verdis Lady Macbeth. Mein Vater hat vor kurzem gesagt: Du hast schon alles erlebt – es ist jetzt alles nur mehr eine Wiederholung.

Wo sind die neuen Diven? Wo ist eine neue Garanča, eine neue Netrebko?

Es ist die Neugier, der Wille zur Suche. Wenn man alle fünf Jahre sagen will, das kann ich auch noch, muss man gut planen können. Man muss Technik verändern. Lernen. Bereit sein, im Sommer nicht zwei Monate auf den Malediven zu liegen, sondern zu arbeiten.

Gestern bei meinem Konzert war mein Gesangslehrer dabei, hat sich alles angehört – und gemeinsam werden wir in den nächsten Tagen daran arbeiten, alles zu verbessern.

Kann man eigentlich Stimmvolumen lernen und wieder verlieren?

Es geht beides: verlieren und lernen. (Lacht.) Es gibt eine Energie, die durch falsches Singen im Körper eingeschlossen wird und nie durchkommt – und wenn man den richtigen Knopf im Körper drückt, dann explodiert es. Aber man verliert es auch wieder sehr schnell. Auch deswegen war gestern mein Lehrer da. Es ist wie beim Marathon: Man will als Erste ins Ziel kommen, wissen, wo man beschleunigt und wie man insgesamt am wenigsten leidet. (Lacht.)