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(c) blagovesta bakardjieva/carolineseidler.com

So verändert künstliche Intelligenz die Wohnungswirtschaft

Future
Architektur

Von smarter Baustellenlogistik über intelligente Gebäudeverwaltung bis hin zur optimierten Grundstückssuche: Was wie Zukunftsmusik klingt, erleichtert heute schon die Arbeit und setzt neue Maßstäbe in Effizienz und Innovationskraft. Architektur gilt statistisch betrachtet zu den am stärksten digitalisierten Berufen der Welt.

In vielen Industriezweigen ist künstliche Intelligenz aus den betrieblichen Prozessen nicht mehr wegzudenken. Nun hält KI auch in der Wohnungswirtschaft Einzug – und erleichtert auf diese Weise die Erstellung von Plänen, die Kontrolle auf der Baustelle und die Suche nach attraktiven Grundstücken

Szene 1: Ein selbstfahrender Roboter bewegt sich durch die Baustelle und scannt das Areal nach herumliegenden Werkzeugen und Bauteilen ab. Sobald irgendwo eine unsichere Situation erkennbar ist, meldet er diese per Nachricht direkt an den Polier oder die Polierin. Im Lagerbereich manövriert er sich eigenständig durch Kabelrollen, Kupferleitungen und meterhoch gestapelte Gipskartonplatten. Sobald der Bestand ein vorab definiertes Mindestsoll unterschreitet, wird per QR-Code eine neue Charge bestellt. Nachts fungiert der Roboter als unbemannte Security.

Szene 2: Ein Immobilienentwickler ist auf der Suche nach einem neuen, verfügbaren, effizient bebaubaren Grundstück in der Stadtmitte. Mithilfe von KI werden Katasterpläne, Flächenwidmungspläne, Bebauungsbestimmungen, Ortsbildrichtlinien und etwaige Schutzzonen mit aktuellen Streetview-Fotos und Satellitenaufnahmen sowie mit digitalen Verkaufs- und Verpachtungs­anzeigen abgeglichen. Kommt es zu einer positiven Überschneidung, spuckt das System in kürzester Zeit die interessantesten, wirtschaftlich attraktivsten Optionen als Ranking aus.

Szene 3: Bei der Rückstellung der Wohnung gehen Hausverwalter:innen mit dem Smartphone in der Hand durch die Wohnung, dreht sich in jedem Raum einmal im Kreis und nimmt auf diese Weise einen kurzen Film der gesamten Wohnung auf. In der Cloud werden die GPS- und Laser­distanz-Daten ausgewertet und zu einer grobkörnigen Punktwolke zusammengefasst, die daraufhin zu einem digitalen 3D-Modell weiterverarbeitet wird. Im Vergleich der erfassten Wohnungsgeometrie mit den bestehenden Plandaten weiß die Software innerhalb von Sekunden, wo eine Sesselleiste fehlt, wo eine Trockenbauwand versetzt wurde, wo die Mieter:innen nach eigenem Ermessen Schalter und Steckdosen dazugebaut haben.

Baukasten-Systeme und First Mover

Was sich zunächst anhört wie ferne Zukunftsmusik, ist in digitalen Start-ups, First-Mover-Unternehmen und vor allem auf Unis und in Forschungsinstituten bereits Realität. »Architektur gilt statistisch betrachtet zu den am stärksten digitalisierten Berufen der Welt«, sagt Joachim Ardelt, Geschäftsführer der MetaShift GmbH mit Sitz in Wien. »Und auch im Bereich Baustelle, Logistik und Produktion sind digitale und künstlich intelligente Lernsysteme nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken.« Damit können Prozesse vereinfacht und beschleunigt werden – und das bei gleichzeitiger Akkumulation und kontinuierlicher Optimierung neuer Daten. »Vorbild für diese Entwicklung ist die Automobilbranche«, meint Clemens Wasner, CEO von enlite AI und Mitbegründer von AI Austria. »Die Autoindustrie ist mittlerweile weltbekannt dafür, dass sie ihre Prozesse und Produkte sehr intelligent auf Baukasten-Systeme umgestellt hat – und auf diese Weise schnell, günstig und noch dazu kundenorientiert produzieren kann.« Um die Prozesse im Bauen noch besser implementieren zu können, so der KI-Experte, müsste man den Sprung in die Skalierung wagen – und nicht mit jedem neuen Bauwerk den Anspruch erheben, die Produktion von Architektur als Handarbeit und künstlerische Unikate zu zelebrieren.

Obwohl Österreich nicht gerade zu den KI-freundlichsten Ländern Europas zählt, haben hier dennoch viele spannende Technologien das Licht der Welt erblickt. Shopreme, ein Spin-out der Umdasch-Gruppe, analysiert, wie sich Menschen durch Supermärkte bewegen, und erstellt auf dieser Datenbasis optimierte Grundrisse, Wegeführungen und Layouts für Sortimente und Sonderangebote.

Auf Knopfdruck

Das Wiener Unternehmen Twingz wiederum bedient sich energetischer Lastenkurven und Smartmeter-Daten und kann auf diese Weise feststellen, wo alte, schadhafte, nicht mehr optimal arbeitende Geräte angeschlossen sind – eine mehr als wertvolle Information im Privathaushalt, bedenkt man, dass kaputte Wäschetrockner der häufigste Grund für Wohnungsbrände sind. Und die Buwog setzt – in Zusammenarbeit mit der deutschen Vonovia Innovation – in der internen Hausverwaltung auf ein Kommunikationstool unter dem Titel »Talking Twin«, das mithilfe von KI das eigene Portfolio durchsucht und auf Anfrage Steckbriefe mit relevanten Gebäudedaten generiert – im wahrsten Sinne des Wortes auf Knopfdruck. »KI-Systeme haben die Möglichkeit, aus einer Vielzahl von Daten Zusammenhänge zu erkennen«, sagt Kevin Töpfer, Geschäftsführer der Buwog Group. »Dieses Know-how können wir einsetzen, um komplexe Sachverhalte zu erfassen, um Unregelmäßigkeiten im Betrieb zu identifizieren und um Reparaturbedarfe rechtzeitig zu erkennen. Dadurch können wir Eskalationen vermeiden.« Im Gegensatz zu bisherigen Technologien, meint Steffen Robbi, Geschäftsführer von Digital Findet Stadt, sei künstliche Intelligenz nicht über Stabsstellen implementierbar. »Wenn sich ein Unternehmen entschließt, KI einzusetzen, dann geht das nur, indem alle Abteilungen mitmachen und sich zu einer Kultur des Lernens und Ausprobierens committen. Voraussetzung dafür sind in jedem Fall eine gute digitale Dokumentation sowie ein Archiv mit guten, sauberen Datensätzen. Nur dann funktioniert’s.« Welche Prozesse genau man mithilfe von KI optimieren kann, müsse von Unternehmen zu Unternehmen im Einzelfall herauskristallisiert werden.

Hilfe und Assistenz

»KI ist ohne jeden Zweifel die Zukunft, zumindest dann, wenn man KI als eine Art Hilfe und Assistenz versteht, um Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen«, sagt Carina Zehetmaier, Geschäftsführerin von Paiper One und Präsidentin von Women in AI. »Allerdings nehmen sie einem nicht das Denken ab. Die Verantwortung, die Daten zu verstehen und in einem bestimmten Kontext die richtige Entscheidung zu treffen, die liegt immer noch beim Menschen.« Aktuell engagiert sich Zehetmaier für den sogenannten EU AI Act, hierzulande auch besser bekannt unter KI-Verordnung. Diese zielt darauf ab, Innovation zu fördern und den Schutz der Privatsphäre sowie die Sicherheit der Bürger:innen zu gewährleisten. Der EU AI Act ist am 2. August 2024 in Kraft getreten, ab Februar 2025 werden die ersten Bestimmungen für Unternehmen verpflichtend.

Erschienen in
LIVING 08/2024

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Wojciech Czaja
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