Eine Reise zum Glück: Bhutan
Dem Himmel so nah, der Welt so fern: In Bhutan ticken nicht nur die Uhren anders, sondern auch die Menschen. Glück ist ein messbarer Wert, der sich in ihrer besonderen Lebensweise widerspiegelt.
Die Luft pritzelt, wenn man in Paro, dem internationalen Flughafen Bhutans, aus dem Flieger steigt. Man befindet sich auf 2.400 Höhenmetern und in einer anderen Welt: Das Himalaja-Panorama, das man gerade eben noch im Flieger bestaunte (von Delhi kommend ragt zur linken Seite der Mount Everest aus dem Himmelbett), stülpt sich jetzt in lieblich-kindlichen Motiven übers Gepäckband. Dahinter: ein Garten, der dem ersten Chefgärtner von Queen Elisabeth alle Ehre gemacht hätte. Willkommen in Bhutan!
Welche Erwartungen bringt man an ein Land mit, das nur die wenigsten Menschen der Welt bisher bereisten, das aber auf so vielen Bucketlists steht? Bhutan ist eine willkommene Projektionsfläche für das ultimative Fernweh. Das Land des Donnerdrachens, eingeklemmt zwischen den Giganten Indien und China, hat alles verpasst, was die anderen ihm diktieren wollten: Öffnung, Konsum, Laizismus und Demokratie. Dementsprechend bietet es heute unverfälschte Tradition, Ruhe und Beschaulichkeit. Und zudem verspricht es, das glücklichste Land der Welt zu sein.
Auf Spurensuche in Bhutan
Die Straßen hier sind endlos, schlängeln sich bergauf und bergab und träge dahin. Man fällt kurze Zeit später in kontemplative Genügsamkeit. Gut, denn hier folgt ein Pass auf den anderen. Bhutan zu erkunden, bedarf Geduld.
Und es gibt ohnehin viel zu bestaunen: Urwälder, aus deren grüner Pracht es ob zahlreicher Rhododendren quietschrot quillt, Languren-Affen, die sich Tarzan-gleich fortbewegen, und Stupas, mal rund, dann wieder eckig, bombastisch Richtung Himmel gewandt und dann wieder winzigklein in Nischen geduckt, aus Ton von Hand geformt. Stupas sind hier oft Votivgaben, sie helfen, schlechte Energie zu entfernen und Orte mit positiver Energie zu füllen. Und das ist erklärtes Ziel in Bhutan, das so eng mit dem Buddhismus verbunden ist und ob seines Glücksindex weltweit Berühmtheit erlangte.
Das Land des Glücks
Im Land des Glücks, das diesen Index jährlich mit 400 Fragen an seine Einwohner:innen abklopft und dessen König sein Vermögen zugunsten seiner Untertan:innen in der Coronapandemie ausgab – und nun nicht mehr im Königspalast, sondern im Hausmeisterhäuschen wohnt –, ticken die Uhren anders. In unseren Breitengraden gibt es keinen Ausdruck für ein Land, das so aus der Zeit gefallen ist und dabei modernen Komfort mit strengen Traditionen verbindet, Glaube mit Wertschätzung und Achtung vor dem Leben.
Achtung vor Natur und Leben
So sind die meisten Bhutaner:innen Vegetarier:innen, viele leben vegan. Ihr besonderer Stolz liegt in dem Umstand, dass es kein einziges Schlachthaus im gesamten Land gibt. Auf ihren Märkten kauft man nur Gemüse, etwa ellenlangen grünen Spargel, der wie Ambrosia schmeckt. Hier ist alles bio und organisch. Ein Zertifikat braucht es allerdings nicht, denn etwas anderes gibt es ohnhin nicht – Pestizide sind grundsätzlich verboten. Der Spargel ist so allgegenwärtig wie die vielen bunten Fahnen, die Passhöhen und ganze Landschaften schmücken
Tempel und Klöster
Sie begleiten auch nach Thimphu, der lieblichen Hauptstadt auf 2.320 Höhenmeter, die mit dem einzigen Kreisverkehr des Landes (Ampeln gibt es keine) und der gigantischen Shakyamuni-Buddha-Statue aufwartet. Selbstredend besucht man diese und noch viele, viele weitere Tempel und Klöster auf einer Reise durchs Land. Da man dieses ohne Guide nicht bereisen darf und die meisten Guides ihr Land noch nie verlassen haben, zeigen sie voll Stolz, was ihnen am wichtigsten ist: die Ausübung ihres Glaubens und die dazugehörigen Stätten.
Buddhismus und Astrologie
Man lernt hier viel über Buddhismus und auch ein paar lokale Funfacts. Etwa, dass ejakulierende Penisse (ja, richtig gelesen) Glückssymbole sind. Auch über die eigene Zukunft wird Auskunft gegeben. Denn das Leben im Bhutan ist von Astrologie geprägt, keine Entscheidung wird ohne sie getroffen. Im College of Astrology lernen junge Mönche das Handwerk, wobei auch Frauen Astrologinnen werden können. Das ist gut so, denn der Bedarf an Astrolog:innen ist hoch: Jede Entscheidung – und sei es nur der Bau einer neuen Gartenmauer – muss zuvor abgesegnet werden.
Geld? Nicht so wichtig
Die jeweiligen Konsultationen werden in Gemüse oder in fünf bis zehn Eiern gezahlt. Bhutan ist, gemessen am Bruttosozialprodukt, ein armes Land, aber fühlen es auch die Menschen so? Man hat nicht den Eindruck. Wirtschaftswachstum wird nicht der gleiche Stellenwert eingeräumt wie Naturschutz und Glück. Man ist stolz darauf, der einzige klimaneutrale Staat der Welt zu sein. Die wenigsten Menschen hier haben ihr Land je verlassen und man gewinnt auch nicht den Eindruck, dass sie das Reisefieber je packen wird. Sie sind verschmolzen mit ihren Höhen und Tiefen, Klöstern und Tempeln, Hausgöttern und Bräuchen.
»Wie du mir, so ich dir«
Es ist interessant, wie Dinge hier ins Gegenteil verkehrt werden – oder es seit jeher sind. Ein ejakulierender Penis? Ist in unserem Kulturkreis bestenfalls sexuell besetzt, meist aber mit maskuliner Aggressivität konnotiert. Etwas, das den Menschen in Bhutan fremd ist. So friedliebend, wie sie sind, beten sie jährlich für den Weltfrieden und bemühen sich um ein redliches Leben. Straßenhunde etwa führen hier das schönste Leben – die wenigen Autos machen waghalsige Manöver um die Tiere. Warum? Wer einen Hund umbringt, wird als ebensolcher wiedergeboren und erleidet 500 Mal das gleiche Schicksal. »Wie du mir, so ich dir« bekommt in diesem Kontext eine völlig neue Bedeutung. Es geht den Bhutaner:innen stets darum, negative Gefühle zu vermeiden und aktiv Böses auszugleichen. Ein kleines Paradies auf Erden.
Glück, eine aktiva
Wer das Land wieder verlässt, ist voller Eindrücke und schräger Gemütslagen, die es zu sondieren gilt. Man darf aus dem Vorgefundenen resümieren: Glück stellt sich hier als tiefe Zufriedenheit dar, die sich aus einem egalitären Miteinander speist. Man lebt ohne Vergleiche und Erwartungen, denn die Religion bestimmt Leben und Tod, Alltag und Feste. Das Konzept ist wohl nicht in westlichen Zivilisationen umsetzbar, aber man darf im Handgepäck die Gewissheit mitnehmen: Glück ist ein wertvolles Gut, das es zu verteidigen gilt. Man kann nur hoffen, dass dies Bhutan auch in Zukunft gelingen wird.