Die Kunst der Kampfsportarten
Sie steigern Ausdauer und Kraft, Balance, Beweglichkeit und Koordination – und schenken uns mehr Selbstbewusstsein und Resilienz: Als Sportarten bieten Wing Tsun, Aikido und Co schlagkräftige Argumente – höchste Zeit, selbst Kampfkünstler:in zu werden.
Sei es nun Jackie Chan, der mit viel Geschick eine Horde Angreifer abwehrt, oder Michelle Yeoh, die sich in »Tiger and Dragon« als Jian-Schwertkämpferin Yu Shu Lien beweist: Kampfkunst ist zu Recht ein beliebtes Leinwandspektakel. Das große Kino zur persönlichen Realität zu machen (ohne Kämpfe, aber mit viel Kunstfertigkeit), lohnt jedoch – sowohl auf physischer als auch auf psychischer Ebene.
»Kampfkunst ist eine der wenigen Sportarten, die den gesamten Körper trainiert – auch die kleineren Muskelgruppen werden gestärkt und gedehnt. Außerdem werden Reflexe, die uns nicht dienlich sind, wie die Schockstarre, abtrainiert und neue, ›richtige‹ Reaktionen antrainiert«, weiß die österreichische Kampfkunsttrainerin Melanie Koller. Sie praktiziert seit zwölf Jahren Wing Tsun und unterweist Frauen, Kinder und Männer in der chinesischen Kampfkunst. Sie weiß: Kampfkunst stärkt nicht nur die Muskeln, sondern auch den Geist! Zig Studien aus der Sportpsychologie belegen diese positive Wirkung auf unsere mentale Gesundheit: Regelmäßige Einheiten sollen Selbstbewusstsein, Resilienz sowie den Umgang mit Stress verbessern und können sogar Angst, Depressionen und Aggressionen reduzieren. »Kampfkunst oder -sport gibt dir Selbstsicherheit in Situationen, in denen du dich unwohl fühlen könntest, und hilft dir, einen klaren Kopf zu behalten«, bestätigt Melanie Koller. Dabei kommt es gar nicht so sehr darauf an, welcher Disziplin man sich verschreibt, denn: »Jede Art von Kampfsport ist gut für die eigene Selbstsicherheit!«
Kraft ist übrigens keine Grundvoraussetzung, denn viele Stile setzen stark auf Technik und machen sich die Energie des Gegenübers zu eigen. Ebenso wenig ist das Sparring, der Vollkontakt, Pflicht – auch, wer sich lieber auf Technik, Atmung und Balance konzentriert, ist in den Kampfkünsten richtig. Geeignet ist Kampfkunst grundsätzlich für jede:n, da Übungen an die jeweilige Könnerstufe angepasst werden können – nur bei Verletzungen sollte man Rücksprache mit der Trainerin oder dem Trainer halten.
Female Fight Club
Wer sich in den Ring oder auf die Matte wagt, tut Körper und Geist Gutes – und tritt einem Kreis von Frauen bei, die sich in der Männerdomäne nicht nur beweisen, sondern darin aufblühen; darunter Wing-Tsun-Trainerin Melanie Koller oder die amerikanische Autorin und Kampfkünstlerin Andrea F. Harkins, die in ihrem Podcast »The Martial Arts Woman Podcast« dazu inspiriert, sich selbst am Kampf zu erproben: »Das ist so eine Sache mit den Kampfkünsten: Zu Beginn der Reise weiß man nicht, wohin es geht – aber der Weg könnte zu etwas unerwartet Großartigem und Fantastischem im Leben führen!«
Wing Tsun
Woher: China
Wortherkunft: »Frühlingslied«: aus dem Chinesischen: »wing« (singen, loben), »tsun« (Frühling).
Für wen: all jene, die sich auf Technik und Präzision konzentrieren wollen.
Es wird angenommen, dass Wing Tsun wohl im späten 17. Jahrhundert von der südchinesischen Shaolin-Nonne Ng Mui als Verteidigungsmethode für Frauen kreiert wurde; benannt wurde es nach ihrer ersten Schülerin Yim Wing Chun. Zur Bekanntheit gelangte der Kung-Fu-Stil schließlich im 20. Jahrhundert durch Großmeister Yip Man und dessen Schüler Bruce Lee. Wing Tsun basiert nicht auf körperlicher Stärke, sondern auf Technik, Präzision und Geschwindigkeit: Praktizierende lernen, Angriffe umzuleiten, zu neutralisieren sowie geschickt zu kontern, sodass sie sich auch gegen physisch überlegene Gegner:innen zur Wehr setzen können. Wing Tsun stärkt und strafft den gesamten Körper, darüber hinaus fördern langsame, effiziente Bewegungsabläufe im Aufwärmtraining Haltung, Balance und Flexibilität.
Capoeira
Woher: Brasilien
Wortherkunft: aus dem Portugiesischen: »capoeira« (kleine, buschige Lichtung), in denen versklavte Menschen die Kampfkunst vermutlich entwickelten.
Für wen: Menschen, die Spaß an rhyth-mischer Bewegung und Akrobatik haben.
Die Entstehungsgeschichte der Capoeira lässt sich auf versklavte Menschen aus Afrika zurückführen, welche die als Tanz getarnte Kampfkunst im Brasilien des 16. Jahrhunderts entwickelten. Was damals zur Verteidigung diente, ist heute ein anspruchsvoller Kampftanz, der Elemente des Tanzes, der Akrobatik und rhythmischer Musik vereint. Der Kampf ist hier ein rein spielerischer: Fließende, akrobatische Bewegungen – darunter Pendeln, Rollen, Hand- und Radschläge, Flickflacks, drehende und fegende Tritte – fördern Körperbeherrschung, Koordination und Flexibilität.
Aikidō
Woher: Japan
Wortherkunft: »Weg des harmonischen Geistes«: aus dem Japanischen: »ai« (Harmonie), »ki« (Lebensenergie), »dō« (Lebensweg).
Für wen: Menschen, die Wert auf innere Ruhe, Harmonie und defensive Selbstverteidigung legen.
Schon der Name impliziert es: Aikidō zählt zu den friedlichsten Kampfkünsten der Welt – der »Weg des harmonischen Geistes« sieht vor, die Energie (das Ki) der Gegnerin oder des Gegners umzulenken und Angriffe so zu neutralisieren. Die defensive Kampfkunst wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Ueshiba Morihei in Japan erarbeitet, der sich von den traditionellen Kampf- und Kriegskünsten Bujutsu beeinflussen ließ. Im Training selbst wird partnerschaftlich geübt: Aikidō verzichtet auf Tritte und Schläge und baut auf vom Schwertkampf inspirierte, defensive Kreisbewegungen. Meist endet der Kampf mit einem Wurf oder einer Fixierung. Neben Technik, Ausdauer und Kraft trainiert Aikidō Gleichgewicht, Kontrolle und Koordination.
Kendō
Woher: Japan
Wortherkunft: »Weg des Schwertes«: aus dem Japanischen: »ken« (Schwert), »dō« (Weg, Pfad).
Für wen: Menschen, die an traditioneller japanischer Kampfkunst und intensiven Sporteinheiten interessiert sind.
Wie ein Samurai mit dem Schwert kämpfen? Diesen Wunsch erfüllt die Kampfkunst Kendō, deren Wurzeln in den traditionellen Fechttechniken der japanischen Kriegerkaste liegen. Anders als diese hantieren Praktizierende jedoch mit dem »Shinai«, einem elastischen Bambusschwert, und -tragen dabei eine spezielle Schutzausrüstung. Im Zentrum steht die körperliche, geistige und charakterliche Bildung der Schüler:innen – das intensive Wettkampftraining fördert Fitness, Fokussierung und Schnellkraft. Eine wichtige Rolle spielt zudem die Philosophie des Budō: Der »Weg des Kriegers« betont Disziplin, Ehre und die ständige Verbesserung von Körper und Geist.