Herr Föttinger, Sie haben gesagt, dass die Josefstadt durch Sie relativ rot geworden ist. Ist das erwähnenswert?

Anzeige
Anzeige

Der Satz ist missverstanden worden, es war keine parteipolitische Aussage. Die Josefstadt und ihr Programm sind sozialdemokratischer geworden. Ganz früher hat man das Großbürgertum, die Aristokraten, die Komtessen auf der Bühne gezeigt. Jetzt zeigen wir, wie aktuell bei „Azur“ oder „Leben und Sterben in Wien“, auch Perspektiven aus einer anderen sozialen Schicht. Ich habe meine Intendanz mit einer Turrini-Uraufführung begonnen. Damals war und heute ist mein Ansinnen, dass die Josefstadt auch die Konfrontation mit gesellschaftspolitischen Themen sucht.

Ich bin stolz, dass unser Theater eine politische Kraft in der Stadt und auch im Land geworden ist. Es geht um Unterhaltung auf der einen Seite und um Haltung auf der anderen. Früher wurde Unterhaltung fast ausschließlich über die Komödie definiert. Aber man kann auch mit politischen Themen unterhalten werden. Unterhaltung kann durch Humor, aber auch durch Denkanstöße hergestellt werden. Es wäre fatal, wenn ich als Direktor das eine oder das andere ignorieren würde.

Gibt es das typische Lodenmantel-Publikum der Josefstadt noch?

Hier ist niemand vertrieben worden, schon gar nicht von mir. Aber ich bemerke – vor allem wenn ich auf der Bühne stehe – die Veränderung im Saal. Das Publikum ist offener geworden, und neben der großen Verbundenheit mit dem Haus gibt es auch ein großes Interesse an neuen Stücken.

Die letzte Rolle, die Sie spielen werden, ist Thomas Bernhards Theatermacher. Wohin geht Ihre Reise nach dem letzten Applaus – auch nach Uzbach?

Anzeige
Anzeige

Ich finde Uzbach jetzt weder geografisch noch kulturell besonders spannend (lacht). Meine Reise geht in eine Auszeit, weil ich wieder zu mir finden muss; ich brauche neuen Wind in meinem Schädel.

Matthias Hartmann, der in Wien durchaus auf gepflegte Ablehnung stößt, wird den „Theatermacher“ inszenieren. Ist der Regie-Auftrag an ihn eine zweite, neue Chance in Wien? Oder eine Provokation?

Ich habe ja nicht den ehemaligen Direktor Hartmann engagiert, sondern den Regisseur Hartmann, und der Regisseur Hartmann ist einer, den das Wiener Publikum geliebt hat. Wenn ich mit ihm spreche, dann ist da einer, der Sehnsüchte hat und gutes Theater machen will, der verträumt ist und verspielt. Matthias Hartmann war mit einer Unzahl von Vorwürfen konfrontiert. Vieles davon hat sich als haltlos herausgestellt, und dennoch bleibt von jedem Vorwurf zumindest ein kleiner Teil haften.

Kommunikation entsteht beim Empfänger. Sie haben nach außen das Image des polternden Theatermachers gepflegt. Ist Ihnen diese CI nach innen entglitten?

Ach was. Wissen Sie, es gibt so viele, die diesen polternden Föttinger lieben. Ich war und bin vor allem beharrlich.

Ich habe mit dieser Beharrlichkeit zwei Umbauten gemacht, Geld dafür aufgetrieben, neue Menschen ins Ensemble geholt und die zwei Häuser in eine andere, neue Zukunft geführt. Mit Politikern und Geschäftsleuten zusammenzusitzen, ist harte Arbeit. Aber ich wurde dafür reich beschenkt, weil ich interessante Menschen kennengelernt habe.

Ich habe versucht alles, wirklich alles der Josefstadt unterzuordnen, alles für das Theater zu tun, und jetzt muss ich mit dem Vorwurf leben, dass der Föttinger auch nach innen gepoltert hat. Das habe ich auch getan, ich bestreite das nicht. Denn so wie es eine Beharrlichkeit nach außen gab, gab es auch eine Beharrlichkeit nach innen, weil ich immer etwas verändern wollte. Ich bin mir sicher, dass es in den zwanzig Jahren meiner Direktionszeit zu Kränkungen gekommen ist. Das tut mir auch sehr leid. Das ist ein Resultat des beharrlichen Föttingers, dass er nicht aufgibt und das Theater dorthin führen wollte und will, wo er glaubt, dass es hinsoll ...

Ein Ensemble ist der Klangkörper eines Theaters. Ständiger Wechsel zerstört dieses filigrane Instrument.

Herbert Föttinger

Sie meinen, dass man Schauspieler*innen und Regisseur*innen nicht zum Erfolg streicheln kann, sondern Exzellenz aus harter Arbeit entsteht. Verstehe ich das richtig?

Alle Regisseur*innen, die mit meiner Leistung als Schauspieler nicht zufrieden waren, haben durch ihre Kritik in mir etwas ausgelöst – ich habe dadurch an mir gearbeitet, um schauspielerisch besser zu werden. Als Direktor muss ich mich in die Situation unseres Publikums versetzen und Inszenierungen beurteilen und ja, auch kritisieren. Die Menschen, die zu uns kommen, sollen berührt, unterhalten und auch aufgeregt werden. Das geht nur, wenn sich der künstlerische Prozess, der während der Probenarbeit stattgefunden hat, auch auf das Publikum überträgt, das ja eine Inszenierung meistens genau einmal sieht.

Künstlerische Befindlichkeiten, Eitelkeiten haben da keinen Platz. Am Theater wird kritisiert, das ist Teil des Jobs. Die Art und Weise, wie Kritik stattfindet, hat sich aber verändert. Man kann durchaus von einem Kulturwandel in der Kommunikation sprechen, und es dauert seine Zeit, bis dieser Wandel vollzogen ist.

Es ist wie bei einem Maler. Man muss lernen, dass es gewisse Farben, die man gern hatte, einfach nicht mehr gibt. Man versucht, aus Ocker Bernstein zu machen. Das ist ein mühsamer Prozess.Was mich dabei sehr ärgert, ist, wenn ich in einem Podcast höre, wie mir Menschen, die keinerlei Ahnung von praktischer Theaterarbeit haben, erklären, wie mann ein Theater führt.

Dieses Farbenbild, kann man das auch aufs Ensemble umlegen?

Ein Ensemble ist der Klangkörper eines Theaters. Ich bin sehr stolz, dass das Ensemble der Josefstadt einen wirklich großen Stellenwert in der Stadt und auch in der Branche hat. Es war ein langer, mühsamer, aber auch sehr erfolgreicher Prozess, das so zu erreichen. Das bekommt man nur, wenn man einen nicht so schnell zufriedenzustellenden Direktor und Regisseur an der Spitze hat. Die Alternative wäre das amerikanische Modell, wo für jede Produktion der ganze Cast neu zusammengestellt wird.

Bei einem Direktionswechsel ist es normal, dass das ganze Ensemble in Frage gestellt wird ...

Ich finde, dass Schauspieler, die sich in einer Stadt durchgesetzt haben, auch da bleiben sollen. Es ist schön, zu sehen, wie sich bei uns Schauspieler entwickelt haben und dass das Publikum diesen Weg miterlebt und mitgelebt hat. Der Dangl war noch ganz jung, als er zu uns gekommen ist, ebenso die Köstlinger. Für unser Publikum ist es etwas Besonderes, diese Entwicklung zu begleiten. In Wien liebt man die Schauspieler, und wenn man das durch ständige Wechsel stört, dann tut das einem Theater, das ja ein sehr filigranes Instrument ist, nicht gut.

Herbert Föttinger
Abschiedsrunde. Herbert Föttinger hat für seine letzte Saison ein paar echte Knaller programmiert. Er holt Matthias Hartmann an die Josefstadt und auch Andrea Breth. Details zur kommenden Saison folgen demnächst.

Foto: Peter M. Mayr

Sie haben nicht nur mit Theaterzauberern wie Peter Turrini und Felix Mitterer gearbeitet, sondern auch jungen Autor*innen eine Plattform gegeben.

Ich halte nichts von dem Gejammere, dass es keinen literarischen Nachwuchs gibt. Solange es einen Ferdinand Schmalz, einen Thomas Arzt oder eine Lisa Wentz gibt, sind wir auf einem wirklich guten dramatischen Weg. Ich halte es für die Pflicht eines österreichischen Theaters, dass junge österreichische Schriftsteller*innen gefördert und auch aufgeführt werden. Die österreichische Literatur ist ein ganz besonderer Zweig der deutschsprachigen Literatur. Was hier entsteht, auch von den Kehlmanns und Glattauers und den anderen Großen, die Sie erwähnt haben, ist einzigartig.

Ich bin mit FS1 und FS2 aufgewachsen, da wurde nahezu jede Premiere aus der Josefstadt übertragen. Es waren vor allem Nestroy- und Raimundstücke. Wieso werden diese beiden Autoren eigentlich nicht mehr so oft gespielt? Zu viel Staub?

Ja, diese Stücke müssen entstaubt werden, aber das ist nicht alles: Man muss einen Zugriff finden, sie näher ans Jetzt holen und dann schauen, ob es lohnenswert ist. Bei Schnitzlers „Weitem Land“ ist es das.

„Der Bauer als Millionär“ ist auch so ein Stück. Die Begegnung von Fortunatus Wurzel mit der Jugend und mit dem Alter, das ist Weltliteratur. Es gab so zwischen den 50er- und 80er-Jahren unglaubliche Nestroy-Inszenierungen. Vielleicht sind wir jetzt wieder in einer Phase, wo das alles in die Ferne rückt, was nicht bedeutet, dass es nicht wieder zurückkommt. Ich finde, das „Hobellied“ ist genial geschrieben und hat einen großen weltliterarischen Anspruch.

Und auch die Grundidee beim „Talisman“, dass eine Perücke einen Menschen ausmacht, das ist so großartig, dass ich nicht glaube, dass diese Literatur verloren gehen wird.

Lassen Sie uns wieder in die Zukunft springen. Die wunderbare Andrea Breth wird ein Stück über Goebbels’ Sekretärin Brunhilde Pomsel inszenieren. Wie haben Sie sie dazu überredet?

Lore Stefanek wird diese Rolle spielen, und sie kennt Andrea Breth, so kam es zu dem Kontakt. Und das ist gut so. Denn jetzt freut sich die Breth auf die Stefanek, und die Stefanek freut sich auf die Breth, und somit ist uns ein fantastischer Abend gesichert (lacht). Lore Stefanek ist die Idealbesetzung für diese Rolle, weil ihr Spiel die komplette Bandbreite zwischen Sensibilität und unglaublicher Härte abdeckt. Es wird spannend, weil man diese Zeit selten aus so einer (Mit-)Tätersicht betrachten kann.

Die Breth freut sich auf die Stefanek, und die Stefanek freut sich auf die Breth. Es wird ein toller Abend.

Herbert Föttinger

Wie gut gefällt dem Schauspieler Föttinger die aktuelle Regierung? Wen würden Sie gerne spielen?

Das sind schon alles interessante Figuren. Ich selbst würde mich vermutlich mit der Figur des Stocker besetzen – ich spiele gerne mit geklebter Glatze ...

Es gibt den Vorwurf vieler – vor allem rechter – Politiker, dass Kultur aufhören soll, politisch zu sein, sie möge unterhalten und aus.

Na ja. Es würde diesen Menschen helfen, sich mit Theaterliteratur im Großen zu beschäftigen. Die alten Griechen waren Meister der Komödien. Man denke zum Beispiel an „Die Vögel“ von Aristophanes.

Das ist nicht nur geschrieben worden, damit sich die Menschen in der Nachmittagssonne von Epidauros lachend auf die Schenkel klopfen. Theater war schon damals ein Hinterfragen der momentanen Situation, und Politik ist ein wesentlicher Bestandteil davon. Wirklich gute Komödien haben immer auch eine gesellschaftspolitische Relevanz. Das sieht man bei Molière, das sieht man bei Goldoni.

Wie geht Theatermachen überhaupt, Herr Direktor?

Es gibt Fragen, die keine einfachen Antworten inkludieren. Die Frage „Wie geht es dir?“ klingt sehr einfach. Wir haben gelernt zu sagen: „Danke, ausgezeichnet.“ Damit ist diese sehr tiefe Frage aus dem Raum, und man kann seines Weges gehen. Wollen Sie eine echte Antwort, dann wird das Zeit kosten. Denn ich werde erzählen, was mich in den letzten Wochen glücklich gemacht hat und was mich bedrückt. Die Synthese meiner Gefühle bestimmt meinen momentanen Zustand. So ist es auch mit Ihrer Frage: Vermutlich wäre die Antwort eigentlich eine sehr lange, komplexe Erklärung, und am Ende hätten Sie das Gefühl, jetzt auch nicht g’scheiter zu sein (lacht).

Hatten Sie sich den Job so vorgestellt, als Sie vor zwanzig Jahren das Theater übernommen haben?

Nein. Wenn ich gewusst hätte, was da alles auf mich zukommt, wäre ich wohl gleich am Anfang verzweifelt. Ich war der irrigen Annahme, wenn man das Schiff auf den richtigen Kurs bringt, dann fährt es automatisch. Ein unsinniger Gedanke, weil ich gelernt habe, dass jede Windböe neu ausnavigiert werden muss. Und auf hoher See gibt es viele Windböen.

Ich hätte damals nicht gedacht, dass der Beruf so kontinuierlich fordernd ist. Aber ich bin glücklich. Es macht mich stolz, weil ich das Gefühl habe, dass diese zwanzig Jahre einen Sinn hatten und ich das Theater anders verlasse, als ich es vorgefunden habe.

Es gab viele Höhenflüge, es gab Zwischenlandungen, aber auch Bruchlandungen. Dass etwas hundertprozentig gelingt, ist Quatsch. Wenn ich aber zurückschaue, dann bin ich einerseits fast verwundert, was bei dem Versuch, dieses Theater in das 21. Jahrhundert zu führen, möglich war. Und das macht mich auch stolz.

Herr Föttinger, danke für das Gespräch.