Jacques Brel hat sie zusammengebracht: die Volksoper und den deutschen Volksschauspieler Dominique Horwitz. „Ich habe Dominique in Berlin bei einem seiner Liederabende gesehen und mir gedacht: Das ist unser Tevje!“, so Lotte de Beer. Der Film- und Theaterschauspieler Horwitz ist als Chansonnier ein Ereignis. Er singt nicht nur, sein ganzer Körper ist pure Emotion. Horwitz, in Paris geboren, ist also der neue Star der Wiederaufnahme von Anatevka. Wicus Slabbert gestaltete den Tevje in der Premiere, Adi Hirschal hat ihn Anfang der 2000er gesungen, Opernstar Kurt Rydl 2016. Wir haben Horwitz zum Interview getroffen.

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Regula Rosin (Golde)

Anatevka von Jerry Bock

Seine Töchter an den richtigen Mann zu bringen, ist für den jüdischen Milchmann Tevje gar nicht so einfach. Können Sie seinen Song „Wenn ich einmal...wär´“ vervollständigen und nachsingen? Hier lesen Sie auch die traurigen Hintergründe der nur teils unbeschwerten Geschichte. Weiterlesen...

Chaim Topol hat die Rolle des Tevje mit Unterbrechungen von 1967 bis 2009 gespielt. Ist der Tevje jetzt Ihre Altersversicherung?

(Lacht.) Nein, um Gottes willen, das wäre ja furchtbar! Das Leben ist viel zu spannend und zu schön, um immer Gleiches zu wiederholen. Das könnte ich nicht.

Warum haben Sie eigentlich zugesagt?

„Wenn ich einmal reich wär“ ist ein Ohrwurm, der mich seit Jahrzehnten begleitet. Ich habe jahrelang immer in der Küche gesummt: „Wenn ich einmal reich wär …“ Und meine kleine Tochter hat gerufen: „Bist du aber nicht!“ Jahrelang. Ich glaube, Tevje zu spielen ist eine der ganz großen Herausforderungen, bei der es einem heiß ums Herz wird, wenn sie hereinflattert.

Als Theaterbesucher in Wien ist man ja der Meinung, dass alles, was ein Schauspieler vor Wien gespielt hat, irrelevant ist. Darauf vorbereitet?

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Das ist doch eine sehr gesunde Einstellung. Die Leute kommen und gucken, was jetzt auf der Bühne stattfindet. Wen interessiert schon, was ich gestern gespielt habe …

Wer ist Tevje?

Ein sehr sympathischer und empathischer Mensch, der von der Zeit überrollt wird – sowohl auf emotionaler als auch auf politischer Ebene.

Dominique Horwitz
Charaktergesicht. Horwitz gehört zu den meistbeschäftigten Schauspielern Deutschlands. Obwohl er bereits 1978 im „Tatort“ mitspielte, war sein Durchbruch der Film „Stalingrad“ aus dem Jahr 1993.

Charaktergesicht. Horwitz gehört zu den meistbeschäftigten Schauspielern Deutschlands. Obwohl er bereits 1978 im „Tatort“ mitspielte, war sein Durchbruch der Film „Stalingrad“ aus dem Jahr 1993. Foto: Peter Rigaud

Preuße durch und durch

Sie sind in Paris geboren und mit 14 nach Deutschland umgezogen. War das ein Kulturschock?

Ja, es war grauenvoll. Weil ich – wiewohl ohne Vorurteil nach Berlin kommend – ein Klischee von Deutschland erleben durfte: spießig, miefig, genussfeindlich. Eben alles, was man als junger Mensch unerträglich findet. Ich kam aus einer Kleinstadt in der Nähe von Paris. Da war es lustig, angenehm und heimelig. Der Umzug war ein großer Schock. Andererseits kam ich aus einem kleinen Kaff ins pulsierende Berlin. Alles, was es damals in der Rockmusik gab, habe ich sehen können. Es war für mich sowohl aufregend als auch emotional armselig.

Mich öden Sachen an, bei deren Zusage ich schon weiß, wie ich sie machen werde. Mein Antrieb ist, zu lernen und zu wachsen.

Dominique Horwitz

Warum haben sich das Ihre Eltern angetan – diese Rückkehr in das Land, aus dem sie geflüchtet sind?

Meine Eltern hatten ein Feinkostgeschäft. Es war die Zeit, als die Riesensupermärkte aufgemacht haben. Der Laden meiner Eltern ging pleite. Mein Vater ist dann mit uns in seine Geburtsstadt zurückgekehrt.

Wie sehr hat die Elterngeschichte Sie geprägt? Sie haben einmal gesagt: „Ich hatte nie Stress damit, dass ich Jude bin und nie Stress damit, dass ich abstehende Ohren hatte.“ Echt jetzt?

Ja. Ich war halt immer ein sonniges Kerlchen. Wenn ich mich selber in eine Schublade stecken müsste, dann wäre das eher die preußische Schublade.

„Ich bin Preuße durch und durch“, haben Sie auch bereits in einer arte-Doku gesagt. Erklären Sie das einmal einem Österreicher, was das bedeutet.

Ich hasse Schlendrian und mag es, wenn Sachen funktionieren. Ich mag Berechenbarkeit, ich mag Pünktlichkeit, ich mag Arbeitsethos, ich mag Fleiß. Insgesamt tue ich mir sehr schwer mit Einstellungen, die dem nicht entsprechen. Bei aller Liebe, Spaß und Leidenschaft, Familie und Freundschaft besteht das Leben für mich grundsätzlich aus Arbeit – und das ist auch gut so.

Kunst als ewige Baustelle

Ich habe in einer TV-Programmzeitung folgenden Satz gelesen: „Mit seinen markanten Ohren segelte er von Erfolg zu Erfolg …“ Pisst Sie so eine Respektlosigkeit eigentlich an?

Nein. (Lacht.) Es gibt Ohren und Ohren. Ich habe das große Glück, mit Ohren auf die Welt gekommen zu sein, die etwas Lustiges und Sympathisches ausstrahlen. Soll ich mich darüber beschweren? Nein, das wäre undankbar und zudem Quatsch.

Sie singen sehr erfolgreich Brel-Lieder. Werden Sie das in Wien auch wieder machen?

Es gibt die leise Hoffnung, wenn ich nicht völlig mit Tevje abkacke, dass ich in Wien Brel oder Serge Gainsbourg singe.

Sie drehen, schreiben, singen. Haben Sie ADHS, oder haken Sie gerne ab?

Ich liebe es, wenn etwas vorbei ist. Nicht, weil ich die Nasen dann nicht mehr sehen muss – sondern weil sich augenblicklich der Horizont erweitert. Man fühlt sich leichter. Ich glaube es ist der Antrieb meines Lebens: zu lernen und zu wachsen. Ich kann mich im Nachhinein sogar über ein Projekt freuen, dass vielleicht nicht besonders erfolgreich, aber dafür für mich sehr lehrreich war – mehr als über etwas, was sehr erfolgreich war, aber für mich langweilig.

Liegt es daran, dass Sie dann wissen, was Sie nicht können?

(Lacht.) Fast. Mich öden Projekte an, bei deren Zusage ich schon weiß, wie ich sie gestalten werde. Ich bin wie jeder andere Zuschauer auch: Ich will mich partout nicht langweilen. Genau zu wissen, welche künstlerischen Schubladen man öffnen muss, ist reizlos. Wo ist denn da, bitte schön, der Spaß bei der Erarbeitung?

Am Theater, während der Proben, muss man sich mit dem Gefühl anfreunden dürfen, zeitweilig richtig scheiße zu sein. Kunst ist eben eine ewige Baustelle: eine Abfolge von Versagenssituationen. Man verbessert sich, während man es macht, auf der Suche nach dem Richtigen. Das macht mir immensen Spaß. Ich habe keine Probleme, mir eine Blöße zu geben. Aber Achtung: Ich rede von den Proben – ab der Premiere versage ich dann entschieden weniger gerne. (Lacht.)

Dominique Horwitz

Seine Eltern hatten ein Lebensmittelgeschäft in einem Dorf nahe Paris. Als es pleite ging, wanderten sie nach Berlin aus – in jene Stadt, aus der sie vor den Nazis hatten flüchten müssen. Da war Horwitz 14. Horwitz spielte neben seinen über 70 Filmrollen regelmäßig Theater, vom Berliner Ensemble über Zürich bis zur Josefstadt. Er gibt erfolgreiche Jacques-Brel-Liederabende.

Zu den Spielterminen von „Anatevka“ in der Volksoper Wien!