Zwei Tage vor unserem Interview packte Birgit Unterweger den in Kisten verstaubaren Teil ihres Berliner Lebens in einen Lkw und übersiedelte nach Wien. Seit 1. November gehört die zuvor am Deutschen Theater in Berlin engagierte Schauspielerin zum Ensemble des Wiener Volkstheaters. Sie hatte das Theater schon seit längerer Zeit am Schirm, erzählt die gebürtige Linzerin. Die Entschlossenheit, die in ihrer Stimme liegt, wird immer wieder von Momenten der Aufgekratztheit durchbrochen. „Die Dinge, die ich in Deutschland über die Medien mitbekommen habe, klangen für mich sehr nach Aufbruchsstimmung. Das hat mich total neugierig gemacht.“

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Wie es der Zufall so wollte, begegnete sie Kay Voges, der zu dieser Zeit am Berliner Ensemble inszenierte, eines Abends in einer Berliner Bar. Der Rest ist Geschichte. Diese hat zwar gerade erst begonnen und ist daher noch nicht allzu umfangreich, dafür bereits mit dem einen oder anderen Spannungsbogen ausgestattet. Parallel zu Vorstellungen am Deutschen Theater und Dreharbeiten stand Unterweger schon in Kay Voges’ „Faust“-Inszenierung auf der Bühne und probte mit Antonio Latella „Der Diener zweier Herren“.

Es gibt Momente, da habe ich das Gefühl, ich kann gar nichts mehr. In diesem Zustand zwischen Verzweiflung und Euphorie spielt sich dieser Beruf ab.

Birgit Unterweger

Ein ziemlicher Kraftakt, der sich jedoch gelohnt hat, resümiert die Schauspielerin. Rund um die „Faust“-Übernahme, als sich der Stresspegel in ungeahnte Höhen aufgeschwungen hatte, bekam sie nämlich auch einen ersten Eindruck davon, wie sehr man am Volkstheater dem Zusammenhalt innerhalb des Ensembles verpflichtet ist. „Weil ich weder die Bühne noch die Unterbühne kannte, habe ich meine Kolleg*innen gebeten, mir zu helfen, wenn ich nicht weiß, wohin ich laufen muss. Sie haben mich in den Arm genommen und gesagt, dass sie das gerne machen. Diese Selbstverständlichkeit hat mich sehr berührt“, erinnert sich die Schauspielerin an ihr Volkstheater-Debüt. „Ich finde es schön, wenn man spürt, dass man aufeinander achtet, sich gleichzeitig aber auch herausfordert und gegenseitig aus der Reserve lockt“, fasst Unterweger, die viel Ensembleerfahrung ins Volkstheater mitbringt, zusammen.

Birgit Unterweger
Mit Lavinia Nowak und Frank Genser in „Faust“.

Foto: Marcel Urlaub

Die Bedeutung der Schuhe

Die Ellbogen einzusetzen, um sich nach vorne zu spielen, ist Birgit Unterweger fremd. Wenn es darum geht, eine Rolle zu erarbeiten, verlässt sie sich jedoch gerne auf all die ihr zur Verfügung stehenden körperlichen Ressourcen. Wegen ihres körperlichen Spiels und ihrer Freude am Ausprobieren wurde sie am Schauspiel Leipzig, wo sie von 2008 bis 2013 engagiert war, immer „Birgit – the body“ genannt, erzählt sie lachend. „Ich habe mich auf den Boden geworfen, habe Überschläge gemacht und bin in High Heels schräge Flächen rauf- und runtergelaufen. Jetzt würde ich das vielleicht nicht mehr machen, aber es ist immer noch so, dass ich Rollen besser zum Leben erwecken kann, wenn ich den Körper aktiviert habe.“

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Sie beobachte jedoch gerade eine innerliche Verwandlung, die dazu führt, dass die Sprache mehr und mehr in den Vordergrund rückt. Eine Sache sei ihr allerdings nach wie vor wichtig, wirft sie ein und lehnt sich dabei schmunzelnd nach vorne: die Schuhe. „Beim Proben die Schuhe schon zu haben, mit denen ich später auf der Bühne stehen werde, macht für mich einen großen Unterschied. Der Gang und die Haltung verändern sich, es entsteht eine andere Fantasie. Manchmal kommt durch die Art, wie ich gehe, die Sprache ganz automatisch.“

Verzweiflung und Euphorie

Antonio Latellas Herangehensweise sei zwar konditionell ungemein herausfordernd, komme ihr aber sehr entgegen, so Unterweger. „Er bezieht uns mit ein und vermittelt uns das Gefühl einer großen Freiheit im Ausprobieren. Auch seine Fassung finde ich total klug. Obwohl es eine Komödie ist, wohnt dem Stück auch eine große Traurigkeit inne, weil es um jemanden geht, der Dinge tut, weil er hungrig ist – aus einer Benachteiligung heraus.“ Birgit Unterweger ist zudem nicht nur eine Schauspielerin, die genau weiß, was sie will, sondern auch eine, die ihr Erweckungserlebnis klar benennen kann. „Ich durfte kurz vor der Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule bei einer Probe dabei sein, bei der meine Tante Almut Zilcher in einer Inszenierung des leider schon verstorbenen Regisseurs Dimiter Gottscheff Fräulein Julie spielte. Dieser archaische und leidenschaftliche Kampf zwischen Jean und Julie auf der leeren Bretterbühne hat mich so tief bewegt, dass ich fast vom Stuhl gefallen bin.“

Seither ist mehr passiert, als in einen Lkw passt. Das macht jedoch nichts, denn geht es nach Birgit Unterweger, beginnt man am Theater ohnehin immer wieder ganz frei von Gepäck. „Es gibt Momente, da habe ich das Gefühl, ich kann gar nichts mehr. In diesem Zustand zwischen Verzweiflung und Euphorie spielt sich dieser Beruf ab. Das macht ihn aber auch so schön.“

Zur Person: Birgit Unterweger

Die gebürtige Linzerin absolvierte ihr Schauspielstudium am Mozarteum. Ihr Erstengagement führte sie nach Weimar. Danach gehörte sie zum Ensemble des Schauspiels Dortmund, des Centraltheaters Leipzig und des Schauspiels Stuttgart. Bevor sie ans Volkstheater wechselte, war sie im Ensemble des Deutschen Theaters. Sie ist Mutter von zwei erwachsenen Söhnen, die ebenfalls Schauspieler sind.