Stirb langsam? Darum geht es vielleicht in der gleichnamigen Actionfilmreihe, in der deutschsprachigen Filmlandschaft sieht die Sache jedoch etwas anders aus. Dort lautet die Ansage eher: Stirb schön und leise! Es ist alles andere als ein Zufall, dass die Leichen in Kriminalgeschichten und Thrillern häufig von schönen, meist jungen Frauen gespielt werden, ist Schauspielerin Anna Rot überzeugt. Wie viele andere Menschen ist auch sie mit dem Bild des entweder fragilen oder grausam zerstörten toten Frauenkörpers in Film und Fernsehen aufgewachsen. Außerdem hat sie im Laufe ihrer Schauspielkarriere schon selbst neun Leichen gespielt, erzählt sie im Interview, das im Kosmos Theater stattfindet. Ebendort wird von 28. Mai bis 3. Juni ihr Stück „TVMordia“ zu sehen sein, in dem sie sich mit dem Totspielen und der Darstellung toter Frauenkörper im Film beschäftigt. In Football-Montur betritt die unter anderem aus dem Sabine Derflingers „Tag und Nacht“ bekannte Schauspielerin die Bühne – das Totspiel-Training kann beginnen. Denn: Sterben – also „actively passive“ zu sein – ist eine Kunst, aber auch eine sportliche Disziplin, wie Anna Rot betont. „Häufig ist es körperlich extrem intensiv, zusätzlich aber auch eine große mentale Herausforderung.“

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Der Wunsch, ihre eigenen Erfahrungen wie auch jene ihrer Kolleginnen zu einem Theaterabend zu bündeln, wurde vor allem in den letzten zwei Jahren immer präsenter und hatte auch viel damit zu tun, dass in Österreich im Schnitt drei Frauen pro Monat ermordet werden. Durch die Ästhetisierung und Objektifizierung toter Frauenkörper findet eine kontinuierliche Verharmlosung statt, so die Schauspielerin. „Film und Fernsehen haben eine unglaubliche suggestive Kraft. Außerdem konnte und wollte ich irgendwann nicht mehr ausblenden, dass die von mir geforderte Darstellung eine reale Bedrohung für weibliche gelesene Personen – und damit auch für mich selbst – ist.“

Anna Rot Kosmos Theater
Anna Rot wurde an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock und an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz ausgebildet. Es folgten Engagements am Deutschen Theater Göttingen und Schauspielhaus Graz. Ihre erste Kinorolle spielte die gebürtige Wienerin 2008 in Andreas Prochaskas „In drei Tagen bist du tot 2“. Großes Aufsehen erregte sie als Lea mit Sabine Derflingers Kinofilm „Tag und Nacht“, für den sie beim New York International Film Festival 2011 als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde.

Foto: Bettina Frenzel

Silencing, Objektifizierung und Rape Culture

Außer Anna Rot berichten im Stück noch sieben weitere Schauspielerinnen von ihren Erfahrungen mit dem Totspielen. Es hätte sofort viel Redebedarf gegeben, erinnert sich Rot. Die Dramaturgin Jennifer Weiss ergänzt: „Durch die Berichte wurde mir unter anderem bewusst, dass es nicht nur ein sehr männlicher, sondern auch ein sehr weißer Blick ist, mit dem wir es hier zu tun haben. Spielerinnen haben uns unter anderem von den vielen Klischees erzählt, mit denen ihre Rollen aufgeladen waren. Warum werden beispielsweise Trans-Identitäten immer so stark sexualisiert erzählt?“

Die Berichte der Spielerinnen werden in „TVMordia“ zu Audioscapes, die Leichen bekommen eine Stimme. Für Anna Rot, die auf der Bühne mit den Stimmen interagiert, ist das auch ein Bruch mit dem Vorgang des Silencing, das mit dem toten Frauenkörper im Film auf die Spitze getrieben wird. „Beim Leichenspielen hört der Gestaltungsspielraum auf“, findet die Schauspielerin klare Worte. In der Regel reicht es nämlich, einfach leise und schön zu sein. „Ich halte es für wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass es einen Zusammenhang zwischen Silencing, Objektifizierung und Rape Culture gibt“, so Rot. Jennifer Weiss hakt ein: „In dem Moment, in dem die Frau als Leiche inszeniert wird, kann sie sich dem männlichen Blick nicht mehr verweigern und entziehen. Das hat auch viel mit Besitzdenken und Kontrolle über den weiblichen Körper zu tun.“

Alle Krimis thematisieren Gewalt. Das wäre doch eine Chance, sich mit patriarchaler Gewalt auseinanderzusetzen.

Anna Rot, Schauspielerin
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Narrative durchschauen

Obwohl in „TVMordia“ viele todernste Themen verhandelt werden, steckt in den Erzählungen der Spielerinnen auch sehr viel komisches Potenzial, sind sich Anna Rot und Jennifer Weiss einig. Die Komik resultiert vor allem aus der Absurdität der Anforderungen wie auch aus dem mindestens ebenso absurden Aufwand, der betrieben wird, um das immer gleiche Bild herzustellen.

„Mir geht es bei diesem Stück nicht darum, auszudrücken, dass ich total arm sei, weil ich schon so viele Leichen gespielt habe. Ganz und gar nicht. Es war jedes Mal meine Entscheidung, das zu machen und ich habe auch schon Rollen abgelehnt. Wobei das nicht bedeutet, dass diese Geschichten dann nicht erzählt werden“, hält die Schauspielerin fest. Auch den Aspekt der ökonomischen Abhängigkeit möchten Anna Rot und Jennifer Weiss in ihrer Arbeit auf die Bühne bringen.

„Mir war es einfach wichtig, mir dieses Thema im Austausch mit meinen Kolleginnen genau anzuschauen“, hält Anna Rot fest. „Und dabei auch all diese Narrative zu durchschauen“, fügt Jennifer Weiss hinzu. Sie setzt nach: „Dabei habe ich mich auch ständig gefragt, warum das alles so einfallslos geschrieben ist. Warum kommt denn niemand auf den Gedanken, das mal anders zu erzählen?“

„Zum Beispiel die Gelegenheit zu nutzen, um Männlichkeit neu zu erzählen“, ergänzt Anna Rot. „Alle Krimis thematisieren Gewalt. Das wäre doch eine Chance, sich mit patriarchaler Gewalt auseinanderzusetzen. Oft ist es auch so, dass in Filmen und Serien Frauenfiguren umgebracht werden, weil sie sich in irgendeiner Form emanzipieren. Fast jeder meiner Filmtode lässt sich auf patriarchale Gewalt zurückführen, wobei das in der Handlung nicht besprochen wird. Ich hoffe, dass solche Dinge durch den Abend lesbarer werden, weil die Filme selbst das so gut wie gar nicht reflektiert behandeln.“

„Ganz oft ist es so, dass die Rollen keine Geschichte haben, nur für ein Bild auftauchen und die emotionale Reise des männlichen Protagonisten unterstützen“, ergänzt Jennifer Weiss, die im Rahmen des Stücks auch in die Geschichte der inszenierten toten Frauenkörpers eingetaucht ist. „Der Topos der schönen Leiche begegnet uns schon in der Romantik. Das Bild der toten Frau zieht sich im Grunde durch die gesamte Literatur- und Kunstgeschichte.“

„TVMordia“ gibt einigen dieser toten Frauen eine Stimme. Und wenn dann an einem anderen Tag wieder gestorben wird, passiert das hoffentlich auf reflektiertere Art und Weise.