Am Anfang war die Bühne. Mit dieser kam Carolin Wielpütz, geboren im bundesdeutschen Bonn, schon früh in Berührung. Sie begann bereits im Vorschulalter zu singen, trat mit dem Kinderchor der Oper Bonn auf und war beseelt von dieser Art des künstlerischen Ausdrucks. „Ich liebäugelte sogar kurz mit einer Gesangskarriere, habe aber schnell gemerkt, was für ein knallharter Job das ist, den man wirklich wollen und vor allem auch sehr gut können muss.“ Sie wollte nicht, wusste aber, dass Theater, und im Besonderen das Musiktheater, ihr berufliches Metier sein sollte. Nach dem Studium der angewandten Theater- und Medienwissenschaften in Erlangen/Nürnberg, ein sehr praxisorientierter Zweig, den sie mit Anglistik verband und durch Studienaufenthalte in den USA, Irland und Spanien bereicherte, begann sie, nach einem kurzen Ausflug in die internationale Wirtschaft, als Regieassistentin am Theater Bonn.

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„Ich finde, das ist für alle, die in irgendeiner Form am Theater einsteigen wollen, die richtige Schule, weil man nah an der Produktion und gleichzeitig organisatorischer Dreh- und Angelpunkt ist. Man hat Einblick in alle Abteilungen und versteht, wie der Organismus Theater funktioniert. Zudem hat man mit unterschiedlichsten Charakteren zu tun und lernt, wie man damit auf psychologischer Ebene umgeht.“

Anschließend wechselte sie in Bonn als Referentin ins Intendantenbüro und von dort zu den Bregenzer Festspielen, wo sie mehrere Jahre als Projektleiterin und Referentin der Operndirektion fungierte. Danach war sie künstlerische Betriebsdirektorin der Sparte Oper am Theater Bonn, und seit 2020 bereitete sie in ebendieser Position – zunächst designiert – als Mitglied des Leitungsteams den Beginn der neuen Intendanz von Stefan Herheim am MusikTheater an der Wien vor. Eine reibungslose Karriere, könnte man sagen. Oder eine logische Abfolge, betrachtet man das außerordentliche Engagement, das Carolin Wielpütz an den Tag legt.

Wenig bekanntes Berufsbild

Wiewohl eine Top-Position, wissen selbst eingefleischte Theater-Aficionados meist nicht, was eine künstlerische Betriebsdirektorin überhaupt macht. Kurz gesagt: „In meinem Job ist man Bindeglied zwischen künstlerischen Visionen und Entscheidungen, der realistischen Planung in Absprache mit allen involvierten Abteilungen und der kaufmännischen Seite.“ Ein Allroundtalent also. „Ja“, lacht Carolin Wielpütz, „und manchmal auch die Spielverderberin.“ Denn in ihre Verantwortung fallen auch Fragen nach der Ausgewogenheit des Spielplans im Sinne des künstlerischen Gesamtkonzepts, der zeitlichen Erfüllbarkeit von Probeplänen und schließlich der Kosten.

In meinem Job ist man Bindeglied zwischen künstlerischen Visionen und Entscheidungen, der realistischen Planung in Absprache mit allen involvierten Abteilungen und der kaufmännischen Seite.

Carolin Wielpütz
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„Da muss man leider manchmal auch nein sagen.“ Ihre Agenda ist die Gesamtdisposition für das Opernhaus, das heißt, von der ersten Probe bis zur letzten Vorstellung plant und überschaut sie jeden Produktionsschritt. Eine Mammutaufgabe, für Carolin Wielpütz indes eine beglückende Situation. Welche Voraussetzungen sollte man dafür mitbringen? „Stressresistenz, aber die braucht sowieso jeder am Theater, Organisationsfähigkeit, den Blick fürs große Ganze sowie fürs Detail, Verständnis für künstlerische Prozesse sowie für die dabei agierenden Personen und auch Diplomatie. Man muss Konfliktsituationen möglichst sachlich, aber auch feinfühlig lösen können.“ Grundsätzlich ist diese Position an jedem Haus ein wenig anders strukturiert. Ein Bonus am MusikTheater Wien ist, dass sich die künstlerische Betriebsdirektorin auch um den Nachwuchs kümmern darf.

Hohes „C“ – wie CAMPUS

Die Stars von morgen liegen Carolin Wielpütz schon lange am Herzen. Sie ist Jurymitglied zahlreicher Gesangswettbewerbe – als größter sei Placido Domingos „Operalia“ genannt – und findet es „unglaublich spannend, junge Menschen zu entdecken, zu begleiten und zu sehen, wie sie sich entwickeln.“ Nachwuchsförderung war im MusikTheater an der Wien stets ein zentrales Thema, zuletzt in Form des Jungen Ensembles in der Kammeroper. Mit der neuen Intendanz kamen in vielen Gesprächen auch Ideen für neue Ansätze – die schließlich in das innovative Format des CAMPUS mündeten. Ein Ort des Lernens, des Austauschs, des Erforschens und des Ausprobierens, der bereits etablierte Künstler*innen mit dem Nachwuchs zusammenbringt.

„La Liberazione“
„La Liberazione“ : Jubin Amiri, Thomas Lichtenecker, Anle Gou, Matúš Šimko, Benjamin Lyko

Foto: Herwig Prammer

„Im geschützten Raum der Kammeroper haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich in speziell für diesen Ort ausgewählten Projekten zu versuchen. Es gibt eine professionelle Bühne samt Orchestergraben und eine Infrastruktur, die Ausbildungseinrichtungen in diesem Umfang nicht bieten könnten.“ Der so oft fehlende Praxiskontext fiel rasch auf fruchtbaren Boden. Carolin Wielpütz legte den Fokus auf in- und ausländische Universitäten, mit denen sie intensiv kooperiert und deren größte Talente sie für den CAMPUS gewinnen will, und sieht diesen auch als Plattform für die Studierenden selbst. „In allen vier szenischen Produktionen der Kammeroper haben wir in der ersten Spielzeit Studierende unseres CAMPUS dabei“, freut sie sich. Und, das ist Carolin Wielpütz sehr wichtig, alle Studierenden werden mit Verträgen ausgestattet und bekommen für ihre Tätigkeit eine Gage.

Vier Säulen

In der Saisonpremiere „La Liberazione“ am 6. Oktober sind gleich fünf Studierende von drei unterschiedlichen Hochschulen involviert, in einem Madrigalchor und als drei sogenannte Damigelle, was man mit Brautjungfer oder Burgfräulein übersetzen kann. Grundsätzlich steht CAMPUS auf vier Säulen: #szene integriert Studierende verschiedener Hochschulen und Disziplinen in die szenischen Projekte der Kammeroper. Sie können von erfahrenen Kolleg*innen profitieren und den professionellen Theaterbetrieb kennenlernen.

Ilaria Lanzino

Die Liebesinsel als Schlachtfeld

Dass die frühe Oper mächtig Frauenpower besaß, ­demonstriert die Wiener Kammeroper zum ­I­ntendanz-Start von ­Stefan ­Herheim. Ilaria Lanzino setzt Francesca Caccinis „La liberazione“ in Szene, in der sich zwei Frauen um einen Mann matchen. Weiterlesen...

#einblicke will auch Studierende in nicht darstellerischen Fächern in die Produktionen einbinden und durch diverse Hospitanzangebote und Probenbesuche inklusive Nachgesprächen das Musiktheater hautnah erlebbar machen. #graduierte bietet jungen Gesangstalenten aus ganz Europa die Chance, sich bei Vorsingen zu präsentieren und sich eineminternationalen Gremium, bestehend aus Casting- und Operndirektor*innen und Agent*innen, sowie dem Publikum vorzustellen. Und in der #masterclass unterrichten die Meister*innen ihres jeweiligen Fachs. In dieser Saison werden das der Komponist und Dirigent Peter Eötvös, Intendant und Regisseur Stefan Herheim sowie der Geiger, Komponist und Musik-Comedian Aleksey Igudesman sein.

„La Liberazione“
„La Liberazione“: Luciana Mancini in der Rolle der Melissa.

Foto: Herwig Prammer

Violinvirtuose mit Dancemoves

Auch hierbei arbeitet Carolin Wielpütz eng mit den Partneruniversitäten zusammen, um die „richtigen“ Studierenden für die Masterclasses einladen zu können. „Aleksey Igudesman hatte zum Beispiel die verrückte Idee, in kürzester Zeit einen Opernabend mit Studierenden unterschiedlichster Talente zusammenzustellen. Ihn interessieren besondere Begabungen. Wer kann Geige spielen, aber vielleicht auch breakdancen? Wer singt außergewöhnlich, interessiert sich aber auch für Social Media? Diese Talente möchte er wie bei einem Kaleidoskop zusammenbringen und daraus einen spannenden Abend gestalten.“ Das Schöne daran: Es wird nicht hinter verschlossenen Türen passieren.

„Wir öffnen die Tore der Kammeroper, sodass auch interessierte Zuschauer*innen teilhaben können. Es werden dafür Tageskarten zum Preis von 10 Euro aufgelegt, die über unser reguläres Ticketsystem buchbar sind. Man kann kommen und gehen, wie es einem beliebt. Denn uns ist wichtig, auch nach außen zu zeigen, was unsere Arbeit ausmacht.“ Insgesamt werden in der ersten Spielzeit zwischen 20 und 25 junge Künstler*innen und Hospitierende den CAMPUS auf und hinter der Bühne bevölkern und rund 30 Kolleg*innen an den Masterclasses teilnehmen, nicht zu vergessen die Studierendengruppen bei offenen Probenbesuchen und hoffentlich auch im Publikum.

„La Liberazione“
„La Liberazione“: Krešimir Stražanac Bernarda Klinar, Jerilyn Chou (Damigelle).

Foto: Herwig Prammer

Fado, Flamenco und Chanson

Welche Musik hört Carolin Wielpütz eigentlich privat? „Ich bin da sehr vielseitig. Es gibt Tage, an denen ich gerne klassische Musik höre. Speziell bin ich der Chormusik sehr verbunden, die mich unmittelbar in eine wohlige, entspannte Stimmung versetzt. Ich bin aber auch ein riesiger Fan von Singer-Songwritern, weil mir die Stimme eben wichtig ist, Electro ist nicht meines, da fehlt mir oft das Vokale. Fado, Flamenco und Chanson faszinieren mich ebenfalls, vielleicht könnte man es einfach Weltmusik nennen.“

Zurück zum Ausgangspunkt: Fehlt ihr die Bühne? Carolin Wielpütz lacht. „Nein, gar nicht – mir reicht es völlig, im Chor zu singen, ich darf mich neuerdings stolzes Mitglied des Wiener Singvereins nennen. Ich glaube, ich bin genau richtig dort, wo ich bin. Management ist auf jeden Fall mein Ding.“

Zum allen Spielterminen des MusikTheater an der Wien und der Kammeroper