Shakespeares vermutlich letztes Stück „Der Sturm“ ist keines, das sich so einfach in eine Schublade stecken lässt. Selbst die vielzitierte Frage „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?“, mit der Thomas Bernhard eine seiner Erzählungen betitelte, greift im Falle des „Sturms“ viel zu kurz. Man könnte sagen, dass das auf einer abgelegenen Insel spielende Stück innerhalb der Shakespeare‘schen Stückelandkarte selbst eine Insel ist – nicht wirklich eine Komödie, aber auch keine richtige Tragödie und schon gar kein Königsdrama. Prospero, der Luftgeist Ariel, seine Tochter Miranda und der Rest des „Sturm“-Personals hüpfen lieber von einer Schublade zur nächsten, anstatt sich in einer von ihnen einsperren zu lassen.

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Moritz Franz Beichl freut sich auch aufgrund der bereits erwähnten Unmöglichkeit, das Stück einzuordnen, schon sehr darauf, den „Sturm“ im Rahmen der Salzkammergut Festwochen Gmunden auf die Bühne zu bringen. Überhaupt sei Shakespeare einer seiner Lieblingsdramatiker, merkt er gleich zu Beginn des Interviews an. Die Inszenierung, eine Koproduktion mit dem Stadttheater Klagenfurt, stützt sich auf die reduzierte Fassung von Joachim Lux, die mit nur drei Spieler*innen auskommt. Im Falle der Gmundner bzw. Klagenfurter Inszenierung sind das Josephine Bloéb, Sona MacDonald und Sebastian Wendelin.

„Shakespeare ist für mich ein queerfeministischer-genderfuck Dramatiker, was für die Zeit, in der er gelebt hat, eigentlich unglaublich ist. Seine Stoffe gehen immer, weil sie, egal wann und wo sie aufgeführt werden, immer etwas mit uns zu tun haben“, so Beichl. Die Stücke des britischen Dramatikers begeistern ihn aber auch deshalb so sehr, „weil selbst die kleinste Nebenfigur eine Welt aufmacht.“ Als beeindruckend empfindet er auch die Sprache: „Wenn ich seine Texte lese oder höre, denke ich mir jedes Mal, dass man das, was seine Figuren sagen, gar nicht anders ausdrücken könnte. Dass er immer wieder genau die richtigen Worte findet, fasziniert mich.“

Intensität durch Reduktion

Seine Begeisterung für den „Sturm“ rührt allerdings auch daher, dass er all jene Dinge enthält, die für Shakespeare typisch sind, dabei aber eine entscheidende Sache anders macht: „Durch einen kleinen Impuls entscheidet sich Prospero am Ende dafür, auf Rache zu pfeifen, seinen Feinden zu verzeihen und seine Vergangenheit zu akzeptieren. Ich lese das auch als Akzeptanz der eigenen Endlichkeit“, erklärt der Regisseur, der 2019 mit einem NESTROY ausgezeichnet wurde. An der kondensierten Version von Joachim Lux reizt ihn unter anderem die Intensität, die durch die Reduktion entsteht.

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Am Tag unseres Gesprächs, das über Zoom stattfindet, ist Moritz Franz Beichl gerade in Klagenfurt, die Proben für den „Sturm“ haben vor wenigen Tagen begonnen. Wie er in die erste Probenphase hineingestartet sei, möchten wir von dem in Niederösterreich aufgewachsenen Regisseur wissen. „Beim dieser Inszenierung war es so, wie es im Grunde meistens bei mir abläuft: Ich beginne mit kurzen Improvisationen, bei denen sich die Spieler*innen nur über ihre Körper ausdrücken. Dann haben wir angefangen, szenisch zu proben, kehren im Laufe dieser Arbeit aber immer wieder an den Tisch zurück. Ich bin jedoch kein Fan davon, wochenlang am Tisch zu sitzen, weil sich dabei alles nur im Kopf abspielt. Mir ist es wichtig, dass die Spieler*innen den Text körperlich erfahren, dass sie die Möglichkeit haben, auf die Bühne zu gehen, zu stolpern, Blödsinn zu machen.“

Rotzigkeit und Ehrlichkeit

Wenn Moritz Franz Beichl an einer Inszenierung zu arbeiten beginnt, ist es für ihn entscheidend, sich mit den Themen des Stücks verbinden zu können und Anknüpfungspunkte zu finden. Welche das bei Shakespeares „Sturm“ waren? Der Regisseur muss nicht lange überlegen: „Als ich 13 Jahre alt war, hatte ich Schlafstörungen und Panikattacken, weil mir mit einem Mal die Unendlichkeit des Universums bewusst wurde – wie klein ich darin bin und dass ich sterben werde. Heute sehe ich das anders, empfinde das sogar als einen schönen und beruhigenden Gedanken. Daran knüpfe ich bei diesem Stück an. Ich glaube, dass jede und jeder in diesem Punkt eine Verbindung zu sich selbst herstellen kann – wir haben alle Angst vor dem Tod und gleichzeitig ist dieser Gedanke an den Tod auch etwas, das uns am Leben hält.“

„Ich sehe im Theater oft Stücke, die inhaltsleer bleiben und bei denen es nur darum geht, gut auszusehen. Mich interessiert aber an Kultur, wenn jemand Mut zu Hässlichkeit und Ehrlichkeit, Authentizität und Rotzigkeit hat“, schrieb Moritz Franz Beichl einmal in einem Text für das Kulturmagazin morgen. Im Interview erklärt er, dass er sich damit auch auf die kapitalistische Leistungsgesellschaft und die ihr inhärente Notwendigkeit zu performen, beziehen wollte. „Im Theater sollten jedoch andere Regeln gelten“, so der Regisseur. „Das Theater hat die Möglichkeit, Menschen dabei zu zeigen, wie sie genau diesem Drang nicht folgen, sie ihre scheinbar schlechten Seiten zeigen. Was jedoch nicht unbedingt bedeuten muss, dass man sie aufgrund dessen nicht mag.“

Moritz Franz Beichl
Moritz Franz Beichl bringt in Gmunden einen virtuos verknappten „Sturm“ auf die Bühne.

Foto: Selina Schobel

Nach einer kurzen Pause setzt er fort: „Vor ein paar Jahren hat ein Schauspieler, der meine Arbeiten gut kennt, zu mir gesagt, dass die Menschen in meinen Stücken immer schön sind. Ich inszeniere bestimmt nicht im Sinne eines Schönheitsstandards, aber es interessiert mich, in ebendieser Rotzigkeit und Ehrlichkeit Schönheit zu finden.“ Als Beispiel erwähnt er Ödön von Horváths Stück „Kasimir und Karoline“, das er im September am Landestheater Niederösterreich inszenieren wird. „Mich interessiert es nicht, auf die Verrohung der Figuren in diesem Stück zu gehen. Für mich sind das lauter einsame und zärtliche Menschen, die geliebt werden wollen, sich aber am Oktoberfest aufhalten und permanent aneinander vorbeireden.

Ein totaler „Schauspieler*innen-Regisseur“

Außerdem sei er ein „totaler Schauspieler*innen-Regisseur“ fügt Moritz Franz Beichl lachend hinzu. „Ich liebe meine Schauspieler*innen immer.“ Dazu passt auch, dass er bei seinen Inszenierungen immer über die Figuren geht. „Ich komme zwar mit einer bestimmten Fantasie auf die Bühne, bin aber auch sehr an der Fantasie der Spieler*innen interessiert und möchte wissen, was sie über ihre Figuren denken.“

Das „Sturm“-Ensemble hat er gemeinsam mit Karin Bergmann ausgesucht. Mit der Besetzung von Sona MacDonald als Prospero geht für ihn ein Traum in Erfüllung. Mit Josephine Bloéb hat er bereits bei seiner mit einem NESTROY ausgezeichneten Inszenierung „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ zusammengearbeitet. „Damals waren wir beide noch Anfänger*innen, jetzt sind wir ein bisschen angekommen. Josephine ist eine tolle Schauspielerin“, verleiht er seiner Begeisterung Ausdruck. Und der dritte im Bunde? „Sebastian ist ein fantastischer Spieler, der sich nicht schämt und keine Angst vor Hässlichkeit hat.“

Zwischen Regie- und Schreibarbeit

Begonnen hat Moritz Franz Beichls Theaterkarriere mit einem Theaterjahr bei der Jungen Burg. Dass er Regie führen möchte, wusste er aber schon viel früher. „Im Alter von sechs oder sieben Jahren habe ich meiner Oma zum ersten Mal davon erzählt“, erinnert er sich.

Neben seiner Theaterarbeit hat er auch schon einen Roman und ein Stück veröffentlicht. Seit er wieder vermehrt schreibt, sei sein Leben um ein Vielfaches ausgeglichener, merkt er an. „Ich brauche beides und liebe beides sehr. Am Regieberuf finde ich großartig, dass er immer in Zusammenarbeit mit anderen stattfindet. Dann gehe ich nach Hause, setze mich an meinen Schreibtisch und beginne ganz für mich zu schreiben“, setzt er fort. Ein weiteres Stück und einen neuen Roman hat er bereits schon so gut wie in der Schublade. Was aber – kleiner Exkurs zurück zum Anfang des Textes – nicht bedeutet, dass sie sich in eine solche stecken lassen. Und auch auf seine nächste Regiearbeit freut sich Moritz Franz Beichl schon sehr – „Kasimir und Karoline“ am Landestheater Niederösterreich. „Ein Lebenstraum“ wie er einmal in einem Interview bemerkte.

Zu den Spielterminen von „Der Sturm“ in Klagenfurt