„theater mag archaisch oder visionär, allgemeingültig oder verstaubt, aktuell oder zeitlos, poetisch oder reaktionär, schlecht oder großartig, elitär oder einfach nur der kanal einer volksneurose sein; potenziell ist es all diese dinge“, schreibt Miru Miroslava Svolikova in ihrem Essay „ein temporärer container für die körper der zuschauer“. Denn auch das ist Theater für die 1986 geborene Autorin, bildende Künstlerin, Musikerin und Performerin. Schnell wird klar: Miru Miroslava Svolikova spricht lieber über all die Dinge, die Theater sein kann, als über jene, die es nicht sein soll. Oder gar sein darf.

Anzeige
Anzeige

So auch bei unserem Gespräch, das an einem trügerisch frühlingshaften Februartag im Café Prückel stattfindet. „Es ist nicht nur eine Stärke von Theater, sondern der Kunst im Allgemeinen, dass sie einem die Möglichkeit bietet, etwas aufzumachen“, sagt Svolikova, die ihre Rolle als Theaterautorin keinesfalls darin begründet sieht, klare Botschaften zu vermitteln. Ganz im Gegenteil: „Mir ist es wichtig, dass Dinge in der Schwebe bleiben können. Das Theater ist ein super Ort für das Ambivalente, weil so viele Bedeutungsebenen nebeneinander existieren können.“

Dass auch Objekte eine Sprache haben, hat bei mir viel mit bildhaftem Denken zu tun. Für mich steckt sehr viel verdichtete Bedeutung in so einer Figur.

Miru Miroslava Svolikova

Theateranarchistin

„Svolikova ist ein Kind des Dazwischens“, schrieb Margarete Affenzeller einmal in der Tageszeitung „Der Standard“. Der Suhrkamp Verlag, bei dem ihre Stücke erscheinen, bezeichnete sie als „Theateranarchistin“. Miru Miroslava Svolikova studierte Philosophie und bildende Kunst in Wien, schrieb während des Studiums ihre ersten drei Theatertexte und begann parallel auch selbst Musik zu komponieren und zu produzieren, die sie nun als KIKI POP live performt.

„Ins Theater bin ich so ein bisschen reingestolpert“, erinnert sich die Künstlerin, die sich in den letzten Jahren vor allem zwischen Shakespeare, Theatertexten und ihrem Musik- und Performanceprojekt hin und her bewegte. Wieso Shakespeare, möchten wir von ihr wissen. Svolikova erklärt: Für das Schauspielhaus Bochum übersetzte sie Shakespeares „König Lear“ neu. „Eine sehr schöne, aber auch intensive Zeit“, wie sie zusammenfassend festhält. Nach weiteren erfolgreichen Inszenierungen in Dresden und Luzern kommt die Neuübersetzung im April in einer Inszenierung von Jan Bosse ans Hamburger Thalia Theater.

Auch ihr Stück „Europa flieht nach Europa“, das in einer Inszenierung des Wiener Burgtheaters 2018 die Autor*innentheatertage eröffnete und weitreichende Medienresonanz erhielt, kommt demnächst wieder auf die Bühne. Anna Marboe führt am Münchner Volkstheater Regie und Miru Miroslava Svolikova hat für die Inszenierung einige an den aktuellen Zustand Europas angepasste Szenen geschrieben. Immer wieder drehen sich ihre Texte um Figuren, die ansonsten nur selten eine Stimme bekommen – nicht nur in ihrem Stück „Rand“, das 2021 mit dem NESTROY-Autor*innenpreis ausgezeichnet wurde, geht es um „Randfiguren“.

Anzeige
Anzeige
Miru Miroslava Svolikova

Foto: Beauregard Benzo

Sprechende Mauern

Dazu passt auch, dass in Svolikovas Theatertexten auch Objekte wie Mauern, Tetrissteine oder Sterne zu sprechenden Subjekten werden. So etwa in „Gi3F“ („Gott ist drei Frauen“), das gerade im Theater Drachengasse zu sehen ist. In dem 2022 uraufgeführten Stück ist es die Erde, die das Wort erhebt. Warum sie das tut? Eine (wirklich) kurze Inhaltsangabe bringt vielleicht etwas Licht in die Sache: GOTT, also drei Frauen, erkennen, dass es auf der Erde alles andere als rund läuft. Die Erde selbst ist der Meinung, dass die Menschen daran schuld seien. Außerdem läuft ihr die Zeit davon, denn GOTT planen bereits das Ende des blauen Planeten. In der Zwischenzeit möchte Jens, der letzte Mensch, einfach nur seine Geschichte erzählen.

„Dass auch Objekte eine Sprache haben, hat bei mir viel mit bildhaftem Denken zu tun. Für mich steckt sehr viel verdichtete Bedeutung in so einer Figur“, erklärt Miru Miroslava Svolikova und nimmt einen Schluck von ihrem Sodazitron. Auch gehe damit die Möglichkeit einher, sich von klassischen, engmaschigen Rollenzuschreibungen zu befreien. Auf diese Weise mit Figuren umzugehen, sei zudem ein Verfahren, das der Lyrik sehr nahesteht, ergänzt sie. Und das tut auch die Autorin, die vor ihrem ersten Theatertext, „die hockenden“, mit dem sie den Retzhofer Dramapreis gewann, vor allem lyrische Texte geschrieben hat.

Miru Miroslava Svolikova

Foto: Beauregard Benzo

Humor als verbindendes Element

Wenn sie Stücke schreibt, kommt das meistens sehr von innen oder in Form eines Geistesblitzes, merkt die Künstlerin an. In der Regel gibt es eine Idee, die sich nach und nach immer mehr verdichtet. Darüber hinaus spielen auch Bilder eine wichtige Rolle. „Bei ‚Gi3F‘ war es etwas anders“, fügt sie hinzu. „Ich wurde vom Maxim Gorki-Theater eingeladen, in 24 Stunden ein Stück zu schreiben bzw. den Kern für ein Theaterstück zu entwickeln.“ Stressig? „Eigentlich war es ziemlich lustig“, hält sie lachend fest.

Obwohl häufig ernste, oft auch gesellschaftskritische Themen in ihren Stücken verhandelt werden, sind sie meist von einem klugen Humor durchzogen. Der entsteht, so Svolikova, immer dann, wenn sie beim Schreiben das Publikum mitdenkt. „Humor hat etwas sehr Verbindendes“, bringt sie es auf den Punkt.

Miru Miroslava Svolikova

Foto: Beauregard Benzo

Musik als Ort des sich Austobens

Nicht als Randprodukt, sondern als weitere eigenständige künstlerische Ausdrucksmöglichkeit, entstand in Miru Miroslava Svolikova Schreibstube in den letzten Jahren auch sehr viel Musik. Als KIKI POP bringt sie diese nun performend unter die Leute – erst vor kurzem im Theater Drachengasse und in der Roten Bar des Volkstheaters. Auch in ihrem musikalischen Schaffen möchte sie lieber, Türen aufstoßen, anstatt diese vorzeitig zu schließen. „Mir ist es wichtig, mit der Musik ein Spielfeld zu haben, auf dem ich mich austoben kann. Das kann ruhig in verschiedene Richtungen gehen. Außerdem steht das Projekt noch relativ am Anfang“, hält sie fest. Müsste sie sich auf ein Genre bzw. einen Genre-Mix festlegen, wäre es eine Mischung aus experimenteller Elektronik und Pop. Aber mit Schubladen hat die Künstlerin ohnehin nicht viel am Hut. „Einige Leute meinten, dass es sie am Grimes oder eine langsame Form von Peaches erinnern würde“, sagt sie und ergänzt, dass sie damit gut leben könne.

Bis sie dazu bereit gewesen wäre, mit ihren Tracks rauszugehen, hätte es zwar ein bisschen gedauert, aber nun fühle es sich richtig an. „Es ist das Gegenteil davon, immer nur im Kopf und in der eigenen Vorstellungswelt zu arbeiten. In Wahrheit sind es zwei einander entgegengesetzte Dinge“, so Svolikova. In den kommenden Monaten wird KIKI POP unter anderem beim klagenfurter ensemble und beim Dramatikerinnenfestival in Graz zu sehen und zu hören sein. „Ich glaube, dass die Musik in verschiedenen Räumen funktionieren kann, auch in Kunst- und Theaterräumen. Für beides habe ich schon mehrere Einladungen. Ich finde es gerade extrem spannend, das auszuloten.“

Bleibt nur noch eine Frage: Was sie tun würde, wenn die Erde in einer Stunde und vierzig Minuten verpufft? „Ich würde mir ein gutes Stück anschauen“, antwortet sie lachend. Wir empfehlen: „Gi3F“ im Theater Drachengasse. 

Zur Person: Miru Miroslava Svolikova

Ist Dramatikerin, Autorin, Musikerin und Performerin. Außerdem studierte sie Philosophie und bildende Kunst in Wien. Ihr erstes Stück „die hockenden“ gewann den Retzhofer Dramapreis und wurde 2016 im Vestibül des Burgtheaters uraufgeführt. Ihr vielfach ausgezeichnetes Stück „Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt“war fast parallel eines der längst gespielten Stücke der Intendanz Schweigen am Schauspielhaus Wien. Für „RAND“, das noch bis 18.3. im Klagenfurter Ensemble läuft, wurde sie mit dem NESTROY-Autor*innenpreis ausgezeichnet. Gerade ist ihr Stück „Gi3F“ im Theater Drachengasse zu sehen, außerdem performt sie laufend als KIKI POP.

Zu den Spielterminen von „Gi3F“ im Theater Drachengasse