Diese Frau ist ein Glücksfall. Allen, die hinter dieser Feststellung eine Übertreibung vermuten, sei empfohlen, sich in die Kammerspiele zu begeben, wo sie in „Der König stirbt“ Margarete, die erste Gemahlin des Königs, darstellt, oder in die Josefstadt, wo man sie in Thomas Bernhards Dramoletten „Der deutsche Mittagstisch“ in vier Rollen, darunter ein Pekinese, erleben darf, muss oder zumindest sollte.

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„Wer ist diese Schauspielerin?“, hörte man in den Pausen beider Premieren nicht nur einmal. Man war erstaunt, dass man sie noch nie auf einer Wiener Bühne gesehen hatte. Diese Präsenz. Die dramatische, manchmal brachiale Komik im „Mittagstisch“ ebenso wie die fein nuancierten Boshaftigkeiten ihrer noch immer liebenden, aber gegen eine Jüngere eingetauschten Königin erstaunten, amüsierten und bewegten.

Der talentierte Robert Joseph Bartl

Der talentierte Robert Joseph Bartl

Als Kind wollte er Pfarrer werden. Die Liturgie ist schließlich auch Theater. Aus zwischenmenschlichen Gründen wurde er dann doch Schauspieler. Ein Glück für das Publikum. Denn Robert Joseph Bartl ist ein Ereignis: Präzise. Sinnlich. Flamboyant. Weiterlesen...

Lore Stefanek kam 1943 in Bratislava zur Welt und wuchs in Wien auf. Nach der Matura besuchte sie das Max Reinhardt Seminar, studierte u. a. bei der von ihr verehrten Vilma Degischer und bei Fred Liewehr, wohnte aber weiterhin wohlbehütet bei ihren Eltern. „Ich war ein Baby“, erinnert sie sich heute amüsiert.

Lore Stefaneks Sehnsucht nach Wien
Auf den Spuren von Nestroy. Lore Stefanek auf der Probebühne der Josefstadt. Sie ist froh, hier auch eine künstlerische Heimat gefunden zu haben. „Es gibt im Haus eine sehr alte Wendeltreppe, und wenn ich über diese gehe, stelle ich mir vor, dass auch schon Nestroy diese Stufen herunter- gestiegen ist. Ich bestehe darauf ...“

Foto: David Payr

Das änderte sich, als im zweiten Schuljahr die Möglichkeit eines Austauschjahres an der Max-Reinhardt-Schule in Berlin am Horizont dräute. Lore Stefanek wurde gemeinsam mit Klaus Rott, der später als Karli Sackbauer zu TV-Ruhm kam, ausgewählt. „Wir durften nach Berlin! Ich war das erste Mal von zu Hause weg, das war 1962, ein Jahr nach dem Mauerbau. Die Schule war in Dahlem, die Anreise erfolgte per Zug über die Tschechoslowakei und durch die DDR, man benötigte Visa, es war alles sehr kompliziert.“ Und nicht minder aufregend. „Ich war wie befreit, wir hatten tolle, im Beruf stehende Lehrer, Hilde Körber war die Direktorin, alles war viel partnerschaftlicher, das hat mir ungemein gefallen.“ Die Entscheidung, eines Tages in Berlin leben zu wollen, sei wahrscheinlich schon damals gefallen. Doch zuerst ging es nach dem Diplom nach Linz, „das war die Hölle“, danach zwei Jahre nach Pforzheim, „da wurde es besser“.

Schauspiel und Regie

Von dort holte sie Hans Neuenfels, den sie schon vom Max Reinhardt Seminar „kannte und liebte“, nach Heidelberg, wo er Oberspielleiter war und gerade sein Schauspielteam mit Elisabeth Trissenaar, Gottfried John, Ulrich Wildgruber und eben Lore Stefanek zusammenstellte. Es folgten zwei intensive Jahre und ein Streit, Neuenfels ging nach Frankfurt, sie später nach Bochum. Und zwar zu Claus Peymann. „Er ist sicher der Regisseur, der mich am längsten kennt und noch immer mit mir arbeitet. Wirklich geprägt haben mich aber weder er noch Alfred Kirchner, bei dem ich große Rollen gespielt habe, sondern Andrea Breth.“

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Denn diese sah in Bochum Lore Stefaneks erste Inszenierung, die sie 1979 gemeinsam mit einer Regieassistentin realisiert hatte – „Die Zofen“ von Jean Genet –, eine reine Frauenproduktion und schon deshalb aufsehenerregend. Breth holte sie schließlich nach Freiburg, besetzte sie in „Bernarda Albas Haus“ mit der Titelrolle und ließ sie 1984 „Krankheit der Jugend“ von Ferdinand Bruckner inszenieren: „Meine erste eigenständige Regiearbeit.“ Der in Freiburg drei weitere folgten, allesamt so erfolgreich, dass Lore Stefanek fürderhin beide Berufe ausübte.

Es ist unmöglich, alle Häuser, in denen sie spielte und inszenierte, anzuführen. Zu den wichtigsten zählen wohl das Berliner Ensemble, die Schaubühne am Lehniner Platz, das Theater Freiburg und das Schauspielhaus Hamburg.

Einen beachtlichen Erfolg durfte sie 2016 am Düsseldorfer Schauspielhaus feiern, wo sie die deutsche Erstaufführung von Simon Stephens’ Stück „Heisenberg“ mit Burghart Klaußner und Caroline Peters in den Hauptrollen inszenierte. Die Produktion wurde auch vom Wiener Akademietheater übernommen, brachte es dort aufgrund der Pandemie aber nur auf drei Aufführungen. Unbedingt zu erwähnen auch das Stadttheater Klagenfurt, wo Lore Stefanek über Jahre regelmäßig Regie führte – zuletzt: „Antigone“ (2019) –, in der Intendanz von Florian Scholz, der ein Student von ihr gewesen war.

Womit wir bei Beruf Nummer drei angelangt wären, denn von 1993 bis 2001 war sie auch Professorin an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Eine lohnende Aufgabe, aber auch anstrengend. Die sie schließlich beendete, nicht zuletzt deshalb, weil ihr die Bühne fehlte.

Plötzlich Wien

2020 engagierte sie Claus Peymann nach mehr als 50 Jahren Karriere in Deutschland an das Theater in der Josefstadt. Er bot ihr Rollen in „Der deutsche Mittagstisch“ und später jene der Königin Margarete in Eugène Ionescos absurdem Drama „Der König stirbt“ an. „Ich habe mehrmals versucht, ihm, der jeder Sentimentalität abgeneigt ist, zu sagen, wie dankbar ich ihm dafür bin. Nicht nur für diese Arbeit; er ist der Anlass dafür, dass ich überhaupt hier bin.“

Lore Stefaneks: Der deutsche Mittagstisch
Groteske Miniaturen. „Der deutsche Mittagstisch“ ist ein Fest für Schauspieler*innen. Thomas Bernhards bissig-politische Dramolette verlangen ihnen jeweils mehrere Rollen ab. Lore Stefanek

Foto: Philine Hofmann

Als ehemaliger Nestflüchtling, früher immer wieder auch von Schuldgefühlen der alten Mutter gegenüber geplagt und nach Besuchen froh, wieder zurück nach Berlin reisen zu können, erlebt sie Wien plötzlich von einer neuen Seite. „Ich fühle mich aufgefangen im glückhaften Kosmos der Josefstadt, und damit meine ich nicht nur das Theater. Es ist, als wäre ein Schleier weggeblasen und dahinter käme Wien in purer Form zum Vorschein. Ich habe diese Stadt vorher nie so erlebt und finde es wunderschön.“ So aufregend, dass sie überlegt, ganz hierher zu ziehen.

Zum Glück schätzt auch Autorin Sabine Zurmühl, seit mehr als 30 Jahren Lore Stefaneks Partnerin und seit wenigen Jahren ihre Ehefrau, den besonderen Flair der Stadt. „Denn die Wiener Theaterwelt ist immer meine gewesen, eine, die mich auch ausdrückt. Aber weil meine Versuche, hier beruflich Fuß zu fassen, nie Fortune hatten, dachte ich irgendwann, vielleicht gehöre ich gar nicht hierher.“ Jetzt wissen sie und ihr neu gewonnenes Publikum, dass dem ganz und gar nicht so ist.

#ActOut. Ostermeier. Sorrentino

Im letzten Jahr unterzeichnete sie, die ihre sexuelle Identität lange nicht öffentlich leben konnte, das Manifest #Act-Out, mit dem Schauspieler*innen, die sich unter anderem als lesbisch, schwul, bi, trans*, queer, inter oder non-binär identifizieren, ein Zeichen der Sichtbarmachung setzten. Hat sich dadurch in ihrem Beruf etwas zum Positiven verändert?

„Um das beantworten zu können, bin ich zu wenig in der Filmbranche unterwegs“, so Lore Stefanek. „Wichtig ist mir, dass ich mich verändert habe. Es fällt mir heute leichter, von ‚meiner Frau‘ zu sprechen. Das habe ich anfangs kaum über die Lippen gebracht, geprägt von einer Jugend im Nachkriegs-Wien der 1950er-Jahre. Das war für mich, in meinem Alter, ein sehr schöner Schritt. Ich bin dadurch viel freier geworden.“

Was sie verwundert, ist, wie gut sie gerade mit jüngeren Regisseur*innen auskommt. Etwa mit Thomas Ostermeier, der sie im Stück „Bella Figura“, das Yasmina Reza eigens für die Schaubühne schrieb, als Yvonne Blum neben Nina Hoss und Mark Waschke besetzte. Und der ihr ebendort die Rolle der Tante Jule in „Hedda Gabler“ anbot. „Da spiele ich an der Seite von Lars Eidinger und Katharina Schüttler. Es ist ein unglaublicher Erfolg geworden und läuft seit 2005.“

Inzwischen wurde Lore Stefanek, die zum Drehen nie die Zeit hatte, auch für den Film entdeckt. Paolo Sorrentino besetzte sie vor zwei Jahren für seine Serie „The New Pope“ (mit Jude Law) und flüsterte ihr „You are a great actor“ zu. Und gerade hat sie in Deutschland den Film „Schlamassel“ abgedreht. Ihr lakonisches Fazit: „Solange ich kreuchen kann und mich jemand will, möchte ich arbeiten!“ Das wollen wir doch hoffen.

Zu den Spielterminen von „Der deutsche Mittagstisch“ im Theater in der Josefstadt!