Der deutsche Mittagstisch in Wien, aus aktuellem Anlass?
Thomas Bernhard hat mit seiner Literatur, seinen Theaterstücken, seinem Blick in die österreichische Seele seinerzeit für Erstaunen, Entrüstung und Aufruhr, aber auch für vehemente Zustimmung im ganzen Land gesorgt. Dass er „über den Tellerrand“ hinaus schaute – um in seinem Heimatland umso klarer zu sehen, zeigen seine – schon fast vergessenen Meisterstücke, die Dramolette.
Bernhard skizziert in diesen grotesken Miniaturen mit scharfem Blick, Leichtigkeit, Witz, schwarzem Humor – und tiefster Menschenkenntnis „kleine“ Szenen zu „großen“ Themen.
Ein Fest für Schauspieler und Publikum…und zugleich die Ironie der Geschichte: bis heute, 75 Jahre nach Kriegsende, haben die Dramolette nicht an Dringlichkeit und erschreckend politischer Aktualität verloren, im Gegenteil: was damals virulent schien, ist heute offenkundig. Wir alle sind das Thema, unsere Ängste, unsere Verdrängungen, unser Umgang mit der Geschichte, unsere vermeintliche Arglosigkeit – in Deutschland wie in Österreich…
Kurz bevor Bernhard zum „Staatsheilgen“ erklärt wird – besonders von denen die ihn zu Lebzeiten aus dem Land jagen wollten – erinnert die Inszenierung von Claus Peymann an den politischen Zeitgenossen Bernhard. Der Skandal um HELDENPLATZ in der BURG ist noch nicht vergessen. Da wird in seinen Dramoletten erkennbar, wie hellsichtig und messerscharf, komisch und verblüffend, traurig und doch wahr Bernhard quasi als Menetekel an der Wand – in den 1980/90er Jahren skizziert, was uns heute „blüht“…
Die Figuren seiner Dramolette, Nachbarn, Mitbürger und Menschen wie du und ich, erzählen, scheinbar heiter und gelassen, unspektakulär aufregend wie schnell die Grenzen unserer Demokratien aufgeweicht werden, wie schmal der Grat ist zwischen Arglosigkeit und Aggression, Alltagsgeplänkel und Neofaschismus, Drohen und Zuschlagen…
Und er zeigt die Ursachen des Hasses auf die Fremden, die „Saupresse“, auf alle, die da anders sind, sich wehren oder von einer anderen, besseren Welt träumen: große Einsamkeit, geschürte Ängste, Verletzlichkeit, Frustration und – nicht zuletzt – zunehmender Egoismus.
Der deutsche Mittagstisch ist ein kleines, hellsichtiges Meisterstück, dessen tragische Aktualität alarmiert. „Lauter Nazis…“ kommen zutage wenn man die Suppe auslöffelt, die Bernhard mit seinem Mittagstisch serviert. Was idyllisch beginnt führt zu bösem Erwachen, vergnüglich und erschreckend zugleich.
SchauspielerInnen
- ERSTE FRAU / ERSTE NACHBARIN / MÄDCHEN / ZWEITE FRAU
- Ulli Maier
- ZWEITE FRAU / TÜRKE / FRAU SÜTTERLIN, Schulrätin / KANAPEE, ein Pekinese
- Lore Stefanek
- KROLL / PFARRER / ZWEITER MINISTERPRÄSIDENT TÜRKE / HERR GÜRGENS
- Robert Joseph Bartl
- MARIA / TÜRKE / FRAU MÜHLFENZL, Stadträtin / DAS FRÄULEIN REDEPENNIG
- Sandra Cervik
- ZWEITE NACHBARIN / FRAU HUEBER, Lehrerin / ERSTE FRAU
- Traute Hoess
- Therese Affolter
- TOTENGRÄBER / HERR MÜHLFENZL, Gerichtsrat und Massenmörder / DIE SPITZEN UNSERES STAATES
- André Pohl
- TÜRKE / EISVERKÄUFER / DIE SPITZEN UNSERES STAATES
- Raphael von Bargen
- TÜRKE / DIE SPITZEN UNSERES STAATES / HERR SÜTTERLIN, Gerichtspräsident und Massenmörder / ERSTER MINISTERPRÄSIDENT / HERR BERNHARD
- Marcus Bluhm
- TÜRKE / HERR SÜTTERLIN, Gerichtspräsident und Massenmörder / ERSTER MINISTERPRÄSIDENT / HERR GÜRGENS / HERR BERNHARD
- Michael König
- TÜRKE / HERR HUEBER, stellvertretender Gerichtspräsident und Massenmörder / DER SOGENANNTE MODERATOR
- Bernhard Schir
Künstlerisches Team
- Claus Peymann
- Achim Freyer
- Margit Koppendorfer
- Jan Brauer
- Victoria Philipp
- Jutta Ferbers
- Achim Freyer




Fotos zur Verfügung gestellt von Theater in der Josefstadt.