Enfant provocateur. „Des Kaisers Bruder huldigte seit einiger Zeit unnatürlichen Neigungen. Es war sogar in Bädern schon zu unangenehmen Zwischenfällen gekommen. Auch in Kleßheim gab es ein Schwimmbad, in das junge Offiziere zur Erfrischung nach dem Tennisspiel geladen wurden. Sie fanden in den Kabinen keine Schwimmhosen vor und mussten sich dem gleichfalls badenden Hausherrn so zeigen, wie sie der liebe Gott erschaffen hatte“, zitiert die Historikerin Katrin Unterreiner in ihrer Biografie „Luziwuzi“ den Generalstabsoffizier Edmund Glaise-Horstenau.

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Der genannte Hausherr war Ludwig Viktor von Österreich, jüngster Bruder des Kaisers Franz Joseph. Bei derlei voyeuristischen Avancen dürfte es nicht immer geblieben sein, was den Habsburgern grundsätzlich egal war – solange es nicht öffentlich wurde. Der von seiner Mutter Sophie verhätschelte Nachzügler war als Kind bei Hofe sehr beliebt und wuchs später zu einem physiognomisch zwar benachteiligten, aber intelligenten, charmanten, tänzerisch begabten, künstlerisch interessierten und äußerst kommunikativen jungen Mann heran. Ohne wirkliche Pflichten zu haben, gab er sich vor allem gesellschaftlichen Anlässen hin, knüpfte mannigfaltige Freundschaften, lebte sowohl in seinem Wiener Palais als auch auf Schloss Kleßheim in Salzburg und interessierte sich demonstrativ kaum für das weibliche Geschlecht.

Mit zunehmendem Alter wurde seine Zunge immer loser, sodass sich die ihm ursprünglich zugetanen Hofdamen – nun Ziel seines Gespötts – immer mehr von ihm abwandten. „Vor ihm mußten sich alle hüten … er war schwächlich, unmännlich, geziert und von garstigem Aussehen … seine Zunge war scharf wie eine Giftschlange“, notierte etwa Nora Fugger in ihren Memoiren.

Zugleich war Ludwig Viktor beliebt in kunstambitionierten Kreisen, manischer Sammler von Meißner Porzellan und, obwohl er selbst homosexuell war, von Standesdünkeln getrieben. Ein ambivalenter Charakter, der nach einem angeblichen „Vorfall“ samt ihm erteilter Ohrfeige im Wiener Central-Bad – wo sich heute die Schwulensauna Kaiserbründl befindet – nach Kleßheim verbannt wurde und dort 1919, wahrscheinlich demenzkrank, 77-jährig verstarb.

Tom Neuwirth
Tom Neuwirth trat mit der TV-Show „Starmania“ ins Licht der Öffentlichkeit. Sein Alter Ego Conchita Wurst gewann 2014 mit „Rise Like a Phoenix“ den Eurovision Song Contest für Österreich und erreichte weltweite Bekanntheit. In Kleidern und mit Vollbart wurde Conchita rasch zur Ikone der queeren Community und zur Aktivistin für Menschenrechte. Tom Neuwirth arbeitet als Musiker, Moderator, Model und bald auch als Schauspieler.

Foto: Diedia

Tom & Ludwig

Nun setzt Ruth Brauer-Kvam dem schillernden Partyboy des einstigen Kaiserreichs ein musiktheatralisches Denkmal. Und kaum jemand – sieht man davon ab, dass es äußerlich keinerlei Ähnlichkeiten gibt – könnte die frühqueere Ikone wohl besser verkörpern als Tom Neuwirth, von aufgeschlossenen Menschen auch als Conchita Wurst verehrt, in seiner ersten professionellen Theaterrolle.

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„Luziwuzi. Ich bin die Kaiserin“ heißt das Unterfangen, für das die Regisseurin gemeinsam mit dem Dramaturgen Fabian Pfleger umfangreiches historisches Material zusammengetragen und zu einem Stück geformt hat. Die Musik – angesiedelt zwischen Elektronik, vertonten Heine-Gedichten, Spittelberger Hurenliedern und Operettenklängen – stammt von Kyrre Kvam. Und alle Damen im Stück werden von Herren dargestellt.

„Ich lebe mein Leben, und allen, die damit nicht klarkommen, kann ich nur sagen I’m so sorry …“

Tom Neuwirth

„Als ich 2019 Schnitzlers ‚Reigen‘ inszenierte, habe ich die Dirne mit Florian Stohr besetzt. Damals habe ich mir überlegt, wie eigentlich die Situation für gleichgeschlechtlich liebende Menschen und Transgender-Personen zu dieser Zeit war, und bin auf Luziwuzi gestoßen. Als mir klar wurde, dass das der Bruder von Kaiser Franz Joseph war, bin ich gebannt in seine Geschichte eingetaucht. Mich faszinieren grundsätzlich Menschen, die trotz Gegenwind ihr Leben gestalten. Und auch wenn er sehr privilegiert war und keinen Kerker fürchten musste wie andere, musste er den Skandal aushalten können. Er wird meist als schräger Vogel dargestellt, aber was heißt das denn? Ich wollte ihm eine Stimme geben.“

Die Idee, ihn mit Tom Neuwirth zu besetzen, kam von Rabenhof-Hausherr Thomas Gratzer. „Da bin ich dann so richtig ausgeflippt“, bekennt Ruth Brauer-Kvam, „denn Tom ist Vorbild und Wegbereiter in einem, und ich könnte mir vorstellen, dass es Luziwuzi sehr freuen würde, von ihm verkörpert zu werden.“

Tom Neuwirth kam zum ersten Mal mit Luziwuzi in Berührung, als er im Kaiserbründl dessen Porträt an der Wand sah. „Ich dachte, wow, eine derart prominente Figur in der queeren Geschichte Österreichs ist bemerkenswert. Dann kam diese Anfrage, und ich dachte, das ist ein Zeichen. Als ich Ruth kennengelernt habe, war es Liebe auf den ersten Blick. Es war klar, dass diese Materie in guten Händen ist. Wir nehmen Luziwuzi und seine Geschichte ernst und wollen sie wertschätzend darstellen.“

Luziwuzi
Perfect Match. Ruth Brauer-Kvam und Tom Neuwirth haben einander gefunden. Die Regisseurin und der Neo-Schauspieler schwimmen auf einer Wellenlänge, was den künstlerischen Anspruch und die humanistische Geisteshaltung betrifft.

Foto: Klaus Peter Vollmann

I am what I am

„Es wird ausschweifend glamourös“, verlockt das Rabenhof Theater auf seiner Homepage. Daran mag man auch gar nicht zweifeln, bekennt sich Tom Neuwirth doch umfassend zur Opulenz. „Wir wollen allerdings schon die Gesamtheit seiner Person wiedergeben“, betont der Hauptdarsteller. „Man findet von den liebevollsten Beschreibungen bis hin zu den gehässigsten Charakterisierungen wirklich jede Nuance über ihn. Als selbst queeres Kind denke ich mir, es ist eben alles ein Coping-Mechanismus, eine Bewältigungsstrategie. Wie sichere ich mir meinen Platz in einer Gesellschaft, die mir signalisiert, dass ich eigentlich nicht dazugehöre? Wodurch bekomme ich Liebe? Ein Feedback? Die Berechtigung, hier zu sein? Diese Hemmungslosigkeit, die bei Luziwuzi immer wieder durchblitzt, habe ich auch. Ich lebe mein Leben, und allen, die damit nicht klarkommen, kann ich nur sagen: I’m so sorry … Macht, wie ihr glaubt, aber ich bin für mich hier.“

Die Aktualität des Stücks sieht Ruth Brauer-Kvam in der Realität des Hier und Jetzt. „In vielen Ländern dieser Welt können homosexuelle Neigungen heute noch immer oder schon wieder nicht ausgelebt werden. Oder man denke an die Demo, die es letztes Jahr gab, weil eine Dragqueen in der Rosa Lila Villa aus einem Kinderbuch vorlesen wollte. In welcher Zeit leben wir denn? Wir dürfen deshalb nicht müde werden, nicht-heteronormative Geschichten auf der Bühne zu erzählen, und ich bin froh, dass dies nun auch vermehrt in den großen Theatern passiert. In der Historie geht es ja ständig hin und her: Als Luziwuzi 1919 starb, gab es in Berlin bereits eine queere Gesellschaft, Magnus Hirschfeld publizierte als Sexualwissenschaftler den schwulen Aufklärungsfilm ‚Anders als die Andern‘. Und dann kamen die Nazis. Wir müssen also konstant für eine offene Gesellschaft plädieren.“

Tom Neuwirth Luziwuzi
Subtiler Hinweis – a tergo. Erzherzog Ludwig Viktor war ein Kunstliebhaber, der schon früh und durchaus auch humorvoll mit dem damals neuen Medium Fotografie experimentierte. Das Bild ist einem Original von Ludwig Angerer nachempfunden, auf dem sich Luziwuzi und die Brüder Merveldt teilweise von hinten fotografieren ließen. Von links: Tom Neuwirth, Kyrre Kvam, Sebastian Wendelin, Florian Carove und Gerhard Kasal.

Foto: Dieida

Zauchner Biergartentheater

Was hat Tom Neuwirth generell dazu bewogen, noch einmal von vorn anzufangen und seine erste Bühnenhauptrolle zu übernehmen?

„Zum einen liebe ich es, immer wieder etwas Neues zu machen, und bin in der privilegierten Situation, das auch zu können. Zum anderen bin ich früh damit in Berührung gekommen, denn mein Papa ist ein Entertainmentliebhaber. Als wir von Oberösterreich in die Steiermark gezogen sind, hat er begriffen, dass er als Zuagraster der dortigen Community etwas geben muss, und das Zauchner Biergartentheater gegründet. Am Anfang mit einer mobilen Bühne, später hat er dann eine fixe Bühne in den Garten unseres Gasthauses gebaut. Das war der schönste Tag in meinem Kinderleben. Die Liebe zur Selbstdarstellung, der Reiz des Innovativen, der Ehrgeiz, etwas einzustudieren und dann auch zu können, das befriedigt in mir so vieles. Ich habe zwar nicht aktiv nach der Rolle des Luziwuzi gesucht, aber sie kam zum genau richtigen Zeitpunkt.“ Er bereite sich intensiv auf das für ihn neue Genre vor und bekomme von Ruth Brauer-Kvam laufend wertvolle Unterstützung darin, wie man eine Rolle aufbaut.

„Als Luziwuzi 1919 starb, gab es in Berlin bereits eine queere Gesellschaft. Und dann kamen die Nazis.“

Ruth Brauer-Kvam

Jedermann / Jederfrau

Ist ihm Luziwuzi, der offen gegen die Heirat seines Neffen Franz Ferdinand mit Sophie Chotek agitierte, weil er sie nicht für standesgemäß hielt, eigentlich sympathisch? „I love her! Und das ‚her‘ ist ein Terminus für Schwesterlichkeit und Zärtlichkeit. Genau das empfinde ich Luziwuzi gegenüber. Ich habe viele Freunde, die auch eine ziemliche Goschen haben. Auch das kann ich nachempfinden, denn es hat sehr oft damit zu tun, dass man sich eben bemerkbar machen möchte. Außerdem kommt es immer darauf an, welchen Stimmen von damals man Gehör schenkt. Sein Liebhaber Paul Merveldt, den er bis zu dessen Tod begleitete, hat nur in den höchsten Tönen von ihm gesprochen.“

Für Ruth Brauer-Kvam ist „Luziwuzi“ eine Produktion, „auf die ich seit vier Jahren hinfiebere. Das ist eine enorm wichtige Arbeit, in der mein ganzes Herzblut steckt.“ Könnte sich Tom Neuwirth bei großem Erfolg vorstellen, als Schauspieler weiterzumachen? „Ja. Ich wäre gerne die Buhlschaft. I would love to do that!“, meint er bestgelaunt. „Aber jetzt machen wir erst einmal das.“

Hier zu den Spielterminen:

https://www.rabenhoftheater.com/programm/luziwuzi