Man nennt sie nicht Ismael. Aber Johanna, Ina, Jesse und Samantha. Es ist die Geschichte einer Gruppe, die loszog, um keinen Wal zu jagen, sondern stattdessen mit Vorurteilen und Stigmata von mehrgewichtigen Körpern aufräumt. Das Ziel? Beim Publikum einen Aha(b)-Moment zu erzielen.

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Einmal an-gefangen, sind die Anspielungen auf den wohl bekanntesten Wal der Weltliteratur kaum zu stoppen. Wer jetzt jedoch mit einer klassischen Inszenierung von „Moby Dick“ gerechnet hat, ist hier an der falschen Adresse; wer Lust auf eine Welle Ehrlichkeit und eine kritische Auseinandersetzung mit den Themen Körperfett, Gewichtsdiskriminierung und ihre Stigmata hat, ist bei der richtigen gelandet.

Abnehmkampf statt Walfang

Wir treffen die Regisseurin Maria Sendlhofer (Variante Vierundvierzig) und Performerin Ina Holub im Gemeinschaftsraum des Kosmos Theater. Es ist Ende April, die beiden kommen direkt von einer Probe. Bei einer Tasse Kaffee erzählen Sie der BÜHNE von ihren Zugängen zum Stück und was Moby Dick damit zu tun hat.

„Wir machen ein Stück über Fatness“, fängt Maria Sendlhofer an und überlegt dann kurz, wie sie das Stück am besten zusammenfassen soll. „Das Theater und die Bühne ist ein viel zu homogener Raum. Ich habe zum Beispiel noch nie ein rein mehrgewichtiges Ensemble auf der Bühne gesehen. In Produktionen bin ich oft die einzige mehrgewichtige Person und das verhält sich an öffentlichen Orten, wie zum Beispiel der U-Bahn, ganz anders.“

Der Wunsch, eine, wie Sendlhofer sagt, „noch nie selbst erlebte Seherfahrung“ auf die Bühne zu bringen, wird nun auf der Bühne des Kosmos Theater mit dem Stück „14000 KILO: Ein Abnehmkampf frei nach MOBY DICK“ umgesetzt.

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14000 Kilo
„Ich habe mir überlegt, welche Sprache ich finden kann, wenn ich mit meinem Körper am Ringen bin“, so Regisseurin Sendlhofer. „Welche Form gefunden werden kann, um dieses Ringen sichtbar zu machen, ohne dass es zu persönlich oder intim wird.“

Foto: Inés Bacher

Räume für Lebensrealitäten schaffen

Wie man auf so eine Thematik performativ zugeht? Performerin und Aktivistin Ina Holub findet dafür schnell die richtigen Worte. „Zuerst haben wir in Recherche-Blocks darüber gesprochen, was unsere Erfahrungen sind, die mehrgewichtige Personen strukturell machen, und wie man diese unterschiedlich in das Stück einbinden kann.“ Auch mehrfache Diskriminierung wurde im Zuge der Recherche thematisiert – was es bedeutet, durch mehrere strukturelle Mechanismen marginalisiert zu werden, zum Beispiel als queere oder schwarze Schauspieler*in.

„Diese Übersichtbarkeit, die man als mehrgewichtige oder fette Person hat – darüber haben wir auch viel geredet. Dass man eben sehr sichtbar ist und trotzdem unsichtbar gemacht wird.“ Als fat-acceptance-Aktivistin setzt sich Holub auch in ihrer Arbeit mit Fatphobie auseinander, die ihre Wurzeln in der Kolonialgeschichte trägt. „ Woher kommt Body Positivity? Oder Fat acceptance? Wie weit gehen die Bewegungen oder eben nicht?‘ All das sind Fragen, die wir auf sinnvolle Weise in dieses Stück einweben möchten.“

14000 Kilo
Leinen los für die Meuterei gegen Körpernormen!

Foto: Inés Bacher

Sie überlegt kurz. „Fast alle mehrgewichtigen Personen, die ich kenne, inklusive mir, wurden schon einmal Wal genannt. Das bekommt dann natürlich eine negative Konnotation. Aber all diese Sachen, die sich persönlich anfühlen, sind in ihrer Struktur ganz deutlich patriarchal.“

Gewichtsdiskriminierung, so Holub, richtet sich oft hauptsächlich an Personen, die als Frauen gelesen werden. Doch wie stellt man intersektionale Diskriminierung in einem homogenen Raum wie das Theater adäquat dar? „Ich komme nicht vom Theater, sondern von Performance und direktem Aktivismus“, setzt Ina Holub an.

„Und dort scheint es mir leichter, solche Themen darzustellen. Dennoch glaube ich daran, dass Sprache das Mittel schlechthin ist, um Gedanken, Gefühle und dann auch weiter das Publikum in eine Richtung zu ziehen. Man muss sich klar werden, dass die eigene Lebensrealität wirklich nur die eigene Lebensrealität ist. Und im besten Fall möglichst offen für verschiedene Zugänge werden.“

14000 Kilo
Mit: Johanna Sophia Baader, Ina Holub, Jesse Inman, Samantha Ritzinger

Foto: Inés Bacher

Besessen nach Körper und Wal

Warum die Wahl ausgerechnet auf Herman Melvilles Magnus Opus fiel, wollen wir wissen.

„Ich habe mir überlegt, welche Sprache ich finden kann, wenn ich mit meinem Körper am Ringen bin“, so Sendlhofer. „Welche Form gefunden werden kann, um dieses Ringen sichtbar zu machen, ohne dass es zu persönlich oder intim wird.“

In dieser abgesicherten Form der Literatur hat Sendlhofer mit Hannah Huberty einen passenden Zugang zur Thematik gefunden. „Dieser Roman beschreibt über hunderte Seiten, wie eine Person eine riesige Obsession und Fixierung darauf hat, einen Wal umzubringen. Er hält an der Jagd fest, obwohl der Prozess längst destruktiv und selbstzerstörerisch ist. Und das war unser Ausgangspunkt: die Überlegung, dass alle Personen auf der Bühne sowohl Captain Ahab als auch Moby Dick sind“, fasst die Regisseurin zusammen.

Die Inszenierung liest die Obsession Ahabs als ein Sich-selbst-in-die-Mangel-nehmen und auf welch destruktive Weise diese Besessenheit den Darsteller*innen buchstäblich zu Leibe rückt. Die große Sprache Melvilles, die an einigen Stellen im Stück eingebracht wird, wird der Tragweite dieser Gefühle gerecht, findet Sendlhofer.

„Dass am Ende der Wal das Schiff zum Untergehen bringt und der Wal in letzter Instanz als einziger unversehrt bleibt, ist natürlich ein utopisches Bild“, fasst die Regisseurin zusammen, „aber eines, das wir uns zumindest denken trauen wollen.“

14000 Kilo
Die Inszenierung liest die Obsession Ahabs als ein Sich-selbst-in-die-Mangel-nehmen und auf welch destruktive Weise diese Besessenheit den Darsteller*innen buchstäblich zu Leibe rückt.

Foto: Inés Bacher

Die Gleichzeitigkeit der Dinge

Abschließend wollen wir von unseren beiden Interviewpartnerinnen gerne wissen, mit welchen Gefühlen das Publikum am besten aus dem Abend entlassen werden soll.

„Für mich ist es wichtig zu vermitteln, dass es auch eine glückliche Lebensrealität sein kann. Wir fette Personen können klug und lustig sein, wir können uns auch heiß finden. Mir ist es auch als fettaktivistische, lesbische Person ein Anliegen, dass sich fette, queere Personen angesprochen fühlen“, schließt Holub.

Sendlhofer: „Im Idealfall sind es unterschiedliche Punkt, an denen die Leute anknüpfen können. Vielleicht entlässt der Abend die Leute mit einem „Ui, darüber habe ich noch nie nach gedacht“ - mit einem Kloß im Hals oder mit Stärke und Empowerment. Im besten Fall kann das alles nebeneinander stehen und sich gegenseitig ergänzen.“

Und im besten Fall hat Sie dieser Artikel nun dazu angestoßen, diesen Abend selbst erleben zu wollen.

14000 Kilo
„Dass am Ende der Wal das Schiff zum Untergehen bringt und der Wal in letzter Instanz als einziger unversehrt bleibt, ist natürlich ein utopisches Bild“, fasst die Regisseurin zusammen, „aber eines, das wir uns zumindest denken trauen wollen.“

Foto: Inés Bacher

14000 KILO: Ein Abnehmkampf frei nach MOBY DICK: Bis 16. Mai 2025 im Kosmos Theater!