BÜHNE: Sie sagen, Sie sind ein levantinischer Typ. Ich dachte, Sie kommen aus Fohnsdorf …

Anzeige
Anzeige

Nikolaus Bachler: (Lacht.) Ich hatte immer das Gefühl, das Südländische ist meins, das Spielerische. Ich war nie ein Konzeptionist. Ich war nie ideologisch, war aber nie ganz blöd. (Lacht.) Ein Freund hat mir eine DNA-Überprüfung geschenkt. Da kam raus: Ich bin 50 Prozent Balkan und 25 Prozent britisch. (Lacht.) Auch das Kaufmännische der Levante ist mir sehr nah: Die Kassa hatte immer einen hohen Stellenwert. Ich lache mich tot, wenn alle über Auslastungszahlen reden. Am Ende zählen nur die Einnahmen.

Das muss man vielleicht erklären: Auslastung bedeutet nur: Das Theater ist voll. Aber niemand fragt nach, wie viele der Karten auch wirklich verkauft wurden. Ist doch super, das rettet viele Direktoren.

Richtig. In welchem normalen Wirtschaftsunternehmen würde das gehen? Da interessiert nur die Bilanz. Das Zweite, was mich irritiert, ist, dass im Nachhinein niemand mehr über die Kunst redet und sich fragt: Wen habe ich erreicht und wen nicht? Womit habe ich mein Publikum gefesselt und womit nicht? Das ist alles kein Thema mehr. Die gefälschte Auslastung ist das Maß aller Dinge.

Niemand fragt sich Wen habe ich erreicht, wen nicht?

Nikolaus Bachler

Wie sind Sie denn mit den Kulturjournalisten zufrieden?

Das ist besser geworden. Die jüngeren sind besser. Früher war das oftmals ein reaktionärer Haufen. Die Jungen sind offener, es ist lebendiger geworden.

Anzeige
Anzeige

Sie haben gesagt: „Ich bin im Inneren sehr romantisch, aber sehr unsentimental.“ Wie geht das zusammen?

Die wahre Romantik ist unsentimental. Sie ist mit Blut geschrieben und nicht mit Zucker. Wenn man wirklich Romantiker ist, dann leidet man. Dann irrt man sich. Dann ist man verzweifelt oder auch glücklich. Das geht mit Sentimentalität nicht zusammen …

… aber viele glauben das …

… die meisten. Das wird immer verwechselt.

Nikolaus Bachler im Interview
Die Ausnahmesängerin jagt von einem umjubelten Rollendebüt zum nächsten und gilt in Fachkreisen und beim Publikum derzeit als beste Mezzosopranistin der Welt.

Die Ausnahmesängerin jagt von einem umjubelten Rollendebüt zum nächsten und gilt in Fachkreisen und beim Publikum derzeit als beste Mezzosopranistin der Welt. Foto: Andreas Jakwerth

Sie wollten immer Schriftsteller werden, wurden es aber nie. Daraus ergibt sich die Frage: Wie viele Romanversuche liegen unveröffentlicht auf Ihrer Festplatte?

Es liegen bei mir unglaublich viele Seiten herum. Ich habe immer begonnen und bin bei der dritten Seite draufgekommen: Ah, ich habe wie Proust oder wie Fontane zu schreiben. Ich habe zu keiner wirklich eigenen Sprache gefunden, und daher habe ich es gelassen.

Wieso? Sie gelten als sehr klar in Ihren Ansagen, in Ihren Haltungen. Gute Voraussetzungen für das Schreiben.

Ja, aber das ist noch keine Literatur. Das sind Gedanken. Das ist Mut, das ist „Ich pfeif mich nix“. Das ist „Ich brauch euch nicht“. Das ist, dass ich ein Hirn hab. Aber ich würde niemals meinem Anspruch genügen. Außerdem hatte ich immer viel zu tun: Schillertheater, Burg, Volksoper, Festwochen, Bayerische Oper. Ich wollte auch nie was mitnehmen. Ich war kein Regisseur-Intendant, der mit einem Rucksack voller Vergangenheit herumzieht. Ich hab überall bei null und neu begonnen.

Wäre es klug, wenn Intendanten nicht inszenieren?

Intendantsein ist ein Beruf. Gar nicht unähnlich einem Vorstandsvorsitzenden: Es ist nicht wichtig, wo er/sie herkommt, solange er/sie Intuition und künstlerisches Verständnis hat. Das kann auch ein Regisseur sein. Das Wichtigste ist, dass er zum Intendanten wird. Ich behaupte, dass Claus Peymann ein viel besserer Intendant war wie Regisseur. Warum? Weil der Peymann alles und davon das Bessere zugelassen hat. Entscheidend ist das richtige Zusammenspiel von Begabungen und künstlerischem Interesse.

Sie waren zuerst Schauspieler, dann Intendant. Wie sehr läuft man Gefahr, den Intendanten zu spielen, und wie eitel wird man durch diese Kombination?

Ich war ein Schauspieler, der sich überall eingemischt hat und allen gesagt hat, wie es geht. Ich habe beim Schillertheater in der Kantine immer das Theater gerettet (Lacht.), und irgendwann haben sie gesagt: „Dann mach es selber.“ Und dann saß ich tatsächlich am ersten Tag wie ein Schauspieler am Schreibtisch, und dann kam Walter Schmidinger, der hat mir das Büro zertrümmert, weil er sich so aufgeregt hat, und ich dachte: Aha. – Und mit der Zeit wurde immer mehr ein Beruf daraus. Ich habe mich vom Schauspieler ganz verabschiedet. Ich war auch nie das, was Gert Voss war.

Was sagen Sie zum Begriff der Werktreue?

Das ist einer der dümmsten Begriffe im Metier. Was soll denn das sein? Das hieße bei Mozart: Gaslicht, Kutsche, das ganze 18. Jahrhundert … Das sind so Irrtümer. Der nächste blöde Begriff ist der des Regietheaters. Das Einzige, was ich zulasse, ist: gut oder schlecht. Oder: verständlich oder nicht. Oder: auf der Höhe des Werks oder nicht. Ich habe als Intendant nie eingegriffen – ich war aber immer dabei. Ich habe zu Produktionsteams immer gesagt: Ich bin euer erster Zuschauer, und ich bin ein geübter Zuschauer. – Der Zadek hat das geliebt. Andere waren gleich beleidigt. Aber das ist der Beruf, dass ich drinnensitze und auch sage: Tut mir leid, das verstehe ich nicht. – Wenn ich ein Programmheft zum Verstehen brauche, dann habe ich den Beruf verfehlt.

Sind Sie bei den Osterfestspielen angetreten, um Dinge zu ändern?

Das klingt jetzt so groß. Ich bin angetreten, weil ich angetreten bin. Ich mache es, wie ich es sehe und kann. Ich habe gesagt: Wie kommt man da jetzt weiter? Die Geschichte kennt man ja. Versuchen wir es jedes Jahr mit etwas anderem. Was ist das Besondere an Kirill Petrenko? Er verbindet alles: Er ist so unfassbar gescheit, so fleißig, hat einen unglaublichen Background. Ich kenne derzeit keinen Vergleichbaren. Er ist der Wichtigste seiner Generation.

Nikolaus Bachler im Interview
Jonas Kaufmann ist Tannhäuser. Viele seiner Rollendebüts hat Kaufmann unter Bachler in München gesungen, für die Osterfestspiele wird Kaufmann in der Castellucci-Inszenierung wieder singen.

Jonas Kaufmann ist Tannhäuser. Viele seiner Rollendebüts hat Kaufmann unter Bachler in München gesungen, für die Osterfestspiele wird Kaufmann in der Castellucci-Inszenierung wieder singen. Foto: Gregor Hohenberg

Die Salzburger Osterfestspiele sind ja wie so ein elitärer Satellit, der vor den Sommerfestspielen im Kultur-All herumtorkelt.

Die Aufgabe ist, behutsam das Elitäre abzubauen. Die Osterfestspiele haben kein Netz, es war das Privatfestival von Karajan. Es gab 4.000 Fans, und mit denen hat man immer zweimal das Festspielhaus gefüllt. Die haben die teuersten Preise der Welt bezahlt und noch was zusätzlich, und dieses ganze Konstrukt hat mich fasziniert. Ich hatte letztens eine Diskussion im Produktionsteam, in der ich gesagt habe: „Ich habe nur das Geld – und wenn das nicht geht, dann müssen wir es halt billiger machen.“ Das ist eine Diskussion, die in großen Häusern gar nicht geführt wird. Ich habe aktuell eine Tanzproduktion, bei der mir noch 100.000 Euro fehlen, und es sind jetzt fünf Briefe an Sponsoren draußen, in denen steht: Ich brauche noch 20.000 Euro. – Das habe ich noch nie in meinem Leben gemacht, und das hat was. Diese Herausforderung wirkt mit zunehmendem Alter durchaus belebend. (Lacht.)

Heller ist für mich das Unauthentischste, was es gibt. Er hat sich überall bedient bei Qualtinger, bei Altenberg, bei Werner. Das nervt.

Nikolaus Bachler

Wie kann man sich diese Tanzproduktion von Emanuel Gat vorstellen? Es sind ja Wagners „Wesendonck-Lieder“, dazu 14 Tänzer*innen. Ist das so wie das Mahler-Projekt „Von der Liebe Tod“ an der Staatsoper?

Nein. Es ist eine richtige Tanz-Uraufführung, es sind die „Wesendonck-Lieder“, aber Gat wird die noch mit einem Wagner-Essay verbinden.

Wenn man unter Ihrer Intendanz nach München in die Oper ging, hatte man das Gefühl, die Oper spricht mit den Menschen, ist offen. Das scheint vorbei.

Na ja. Serge Dorny (Anm.: Intendant Bayerische Staatsoper) ist klug, aber er ist Ideologe und Dramaturg. Ich rede ja nicht zufällig von Molière, der zu meinen Vorbildern zählt und der mit der Glocke durchs Dorf ging. Der Heller hat ihm alles gestohlen, ist aber nur ein müder Abklatsch.

Na, Sie scheinen André Heller nicht wirklich zu mögen.

Er ist für mich das Unauthentischste, was es gibt. Er hat sich überall bedient: bei Altenberg, bei Oskar Werner, bei Qualtinger. Wenn er das charmant machen würde, aber dieser Heiligenschein dazu … Das geht mir auf die Nerven.

Die Besetzung von „Tannhäuser“ ist spektakulär: Zeppenfeld, Rollendebüt Garanča, dann Kaufmann. Wird er singen? Es gibt Sorgen um seine Stimme …

Ich mache mir keine Sorgen. Ich habe eine lange Biografie mit Jonas. Alle Rollendebüts hat er damals in München wunderbar gemacht.

Nikolaus Bachler im Interview
Georg Zeppenfeld ist der Landgraf.An der Wiener Staatsoper hat er gerade Standing Ovations für seinen Pogner in den „Meistersingern“

Georg Zeppenfeld ist der Landgraf.An der Wiener Staatsoper hat er gerade Standing Ovations für seinen Pogner in den „Meistersingern“ (Regie: Keith Warner) bekommen. Foto: Victoria Nazarova

Sie haben die „Tannhäuser“-Inszenierung mit Romeo Castellucci bereits in München gemacht. Wird sich was ändern?

Wir machen einen anderen ersten Akt, und Castellucci will auch sonst ein paar Dinge ändern. Wir machen so ein bisschen die Bayreuth-Werkstatt. Es kommen auch Bühnenbild- und KostümVeränderungen. Es ist also keine reine Übernahme.

Techno-Pionier WestBam wird Wagner spielen. Wird der auf seine alten Tage noch Klassikfan?

Wir haben gesagt, wir müssen die ganzen Festspiele öffnen. Ich meine, einen DJ finden kann jeder, aber im Falle von WestBam war die Begeisterung auch auf seiner Seite, die jungen Musiker*innen des Gewandhausorchesters Leipzig machen da auch mit, und so ist da ein Projekt zustande gekommen, das auch irgendwas mit dem großen Ganzen zu tun hat. (Lacht.)

Mir gefällt das „irgendwas“ …

… ich bin kein Konzeptionist, sagte ich doch. Wissen Sie: Ich traue mir in jeder Pressekonferenz einen Zusammenhang zu irgendwas herzustellen. Das ist so eine Fakerei. Sie können sogar „Die lustige Witwe“ mit dem „Tristan“ zusammenbringen. Das interessiert mich nicht. Mich interessiert zu sagen: Wie arbeiten wir? Was kommt da raus? Und manchmal kommt das Gegenteil raus. Das Angenehme ist: Es ist alles so überschaubar …

… Intendant für zehn Tage.

Ja, Intendant für zehn Tage, und ich kann mir für jedes Projekt wirklich Zeit lassen. Es ist gar nicht so wenig Arbeit. Vor allem, weil man sich mehr Zeit für jedes Projekt nimmt.

Ich habe keine Fragen mehr. Danke für Ihre Zeit.

Voilà und wunderbar.

Zur Person: Nikolaus Bachler

Nikolaus Bachler ist im steirischen Fohnsdorf geboren. Er absolvierte die Schauspiel­schule, war Betriebsdirektor des Schillertheaters, Intendant der Wiener Festwochen, Direktor der Volksoper, des Burgtheaters und der Bayerischen Staatsoper. Er ist jetzt Intendant der Salzburger Osterfestspiele. Auf seine Meinung wird gehört, wenn es um Neubesetzungen geht; und mit vielen Kulturjournalisten verbindet ihn eine innige Hassliebe.

Zum Programm der Salzburger Osterfestspiele