Mit Haut und Haar: Max Simonischek über Kafka und das Theater
Eine künstlerische Krise brachte Max Simonischek dazu, sich tief in die Welt Kafkas zu begeben. Aus dieser Auseinandersetzung entstand „Der Bau“, ein Soloabend, der vor allem eines von ihm fordert: „mit allen Sinnen im Moment zu sein“. Wir haben den Schauspieler zum Gespräch getroffen.
Wenn sich Max Simonischek in eine Sache reinstürzt, dann tut er das wirklich. Mit Haut und Haar. Am liebsten hebt er den Graben, in den er im Anschluss hineinköpfelt, auch noch selbst aus. Denn Theater ist für ihn vor allem dann gut, wenn es wirklich Arbeit ist. Das bedeutet, sich auch mal die Hände schmutzig zu machen – im übertragenen wie auch im buchstäblichen Sinn. Kurz: Nicht zimperlich zu sein. Und vor allem: Stets weiter zu graben, auch wenn sich noch nicht klar abzeichnet, was sich dort unten genau befindet. Geht eine Arbeit zu leicht von der Hand, findet diese tiefe Auseinandersetzung, die er am Theater sucht, meist nicht statt, sagt er. „Für mich geht es um die Umwege und ums Scheitern. Und auch darum, mir selbst Erlebnisse zu schenken.“
Eigentlich stecken wir damit schon mitten in Kafkas „Bau“, in dem es um ein dachsähnliches Wesen und den von ihm errichteten, unterirdischen Bau geht. Vorher wollen wir aber noch ein „bissl“ – Simonischek spricht das Wort auf eine Weise aus, die seine familiäre Verbindung zu Wien klar durchblitzen lässt – über seinen Umzug in die österreichische Hauptstadt sprechen. Auch dabei galt: Keine halben Sachen. Sondern: Alle Zelte in Berlin abbrechen. Die Zeiger auf Neuanfang stellen.
Am Burgtheater, an dem er seit dieser Spielzeit fix engagiert ist, hat ihn – neben der Nähe zu seiner Familie, die in Tirol lebt – unter anderem gereizt, dass dort lauter neue künstlerische Begegnungen auf ihn warten. „Ich fand es reizvoll, mich wirklich neu positionieren und definieren zu müssen. Ich empfinde es überhaupt als wichtig, sich immer wieder neu auszuliefern. Als Künstler und auch im Leben überhaupt. Am Burgtheater war diese Möglichkeit gegeben, weil ich niemanden kannte. Natürlich habe ich lange darüber nachgedacht, weil es auch ein großes Wagnis ist.“
Am Theater ist es nicht nur erlaubt, sondern sogar gefordert, sich zu verschwenden und zu scheitern.
Max Simonischek
Sich sprachlich abarbeiten
Wir sitzen im Café Weimar im Neunten. Draußen regnet es, die Sonne hatte es in letzter Zeit schwer, sich gegen die dicke Wolkendecke durchzusetzen. Drinnen liefern die scheppernden Kaffeetassen einen angenehmen Wien-Soundtrack. Max Simonischek bestellt einen Verlängerten und beginnt, einen glasklaren Satz nach dem nächsten abzufeuern. Sein fast zwei Meter großer Körper lässt den Kaffeehaustisch zwischen uns irgendwie klein wirken. Es ist spannend, mit welcher Unaufgeregtheit, er über Dinge spricht, für die er eine so große Leidenschaft empfindet.
Er hätte mit Stefan Bachmann und seinem Chefdramaturgen Thomas Jonigk über seine künstlerischen Interessen gesprochen, erzählt er. „Womit wir nun tatsächlich bei meinem Kafka-Abend angekommen sind, denn darin kommt für mich alles zusammen, was mich am Theater reizt“, hält er fest und setzt nach: „Dazu gehört unter anderem, mir eine Figur auszudenken und mich sprachlich an einem Text abzuarbeiten, der rhythmisch, aber auch gedanklich eine Herausforderung darstellt. Sprache ist ohnehin etwas, das mich sehr interessiert. Ich habe das Gefühl, dass ich in meinem Beruf der Sprache wieder den ihr angemessenen Raum geben möchte. Das sind auch genau die Dinge, für die ich ausgebildet wurde. Ich weiß aber auch, dass ich mit dieser Einstellung nicht unbedingt dem Zeitgeist entspreche.“ An einem Haus wie dem Burgtheater fände er aber auch schön, dass so viele unterschiedliche Formen nebeneinander existieren können, fügt er hinzu.
„Diesen Text hat man nie in der Tasche“
Mit Stefano Massinis „Manhattan Project“, inszeniert von Burg-Intendant Stefan Bachmann, feierte Max Simonischek seinen Einstand als fixes Ensemblemitglied. Ab Januar ist sein Soloabend „Der Bau“ im Akademietheater zu sehen, der, wie er erzählt, aus einer Krise entstand. „Ich war damals an den Münchner Kammerspielen engagiert, wo ich leider einige künstlerische Begegnungen hatte, die für mich eher ernüchternd waren. Vielleicht muss ich dazu noch sagen, dass die Lust an diesem Beruf für mich vor allem von den Begegnungen abhängt. Wie intensiv, ernsthaft, lustvoll oder bereichernd sie sind. In München war es dann tatsächlich so, dass ich begonnen habe, daran zu zweifeln, ob dieser Beruf noch der richtige für mich ist.“
Weil es Max Simonischek nicht gelang, die Lust wieder freizuschaufeln, kündigte er. Gleichzeitig übernahm Peter Kastenmüller, ein Freund von ihm, das Theater Neumarkt in Zürich und ermöglichte es dem Schauspieler, sich sechs Wochen lang auf der Probebühne einzusperren und an einem Projekt zu arbeiten. „Im Grunde hatte das viel damit zu tun, warum ich überhaupt Theater mache – um gemeinsam etwas zu schaffen und sich über eine Gruppe zu definieren. Dort haben wir quasi die Scheinwerfer selbst aufgehängt“, so Simonischek.
Das war 2015. Seither ist viel passiert, das Stück wurde an vielen Häusern im deutschsprachigen Raum gezeigt. Wie er überhaupt auf Kafka kam, wollen wir noch von ihm wissen. Er antwortet: „In dem Text steckt sehr viel von dem, was mich grundsätzlich am Theater fasziniert. Da ist einerseits dieses Tierwesen, das die Fantasie und die spielerische Lust so sehr anregt, andererseits setze ich mich in meiner Arbeit gerne intensiv mit Sprache auseinander. Kafka, aber auch Horváth oder Kleist sind Autoren, die mir genau das ermöglichen. Zudem stellt Kafka in seinem Werk Fragen, die mich seit 2015, als ich diesen Abend entwickelt habe, selbst sehr umtreiben. Zum Beispiel: Was ist mein Platz in der Gesellschaft, und ist das, was ich mache, überhaupt Kunst?“
Routine oder gar Langeweile hätte sich, trotz der vielen Jahre, die die Inszenierung bereits auf dem Buckel hat, nie eingestellt, hält Max Simonischek daran anknüpfend fest. „Diesen Text hat man nie in der Tasche und den hat man auch nie vollständig durchdrungen“, sagt er. „Der fühlt sich jedes Mal ein bisschen wie der Schritt über dem Abgrund an. Er zwingt dich dazu – ohne Fahrplan – einfach loszulassen.“ Kurz: im Moment und im Flow zu sein.
Dieses „Mit allen Sinnen im Moment sein“ entsteht für ihn am Theater, beim Sport oder beim Sex, sagt er ohne große Umschweife. „Deshalb bin ich auch hier in Wien wieder im Boxverein, in Favoriten. Wenn man bei diesem Sport nicht mit allen Sinnen im Moment ist, bekommt man nämlich eine auf die Fresse.“ Er lacht.
Keine Angst vor Umwegen
Obwohl er eine Zeit lang viel gedreht hat, zog es den in Berlin geborenen und teilweise in der Schweiz aufgewachsenen Schauspieler immer wieder zum Theater zurück. Warum das so ist? „Es gibt viele Gründe. Einer ist, dass das Theater eine der letzten Stätten ist, die nicht vollkommen durchökonomisiert sind. Am Theater ist es nicht nur erlaubt, sondern sogar gefordert, sich zu verschwenden und zu scheitern.“
Und eben auch die bereits angesprochenen Umwege zu gehen, die sich – in Anlehnung an den „Bau“ – manchmal wie ein Labyrinth anfühlen können. „Natürlich nehme ich das dann auch mit nach Hause, aber es gehört dazu“, sagt der Schauspieler, kurz bevor er darauf besteht, die Rechnung zu übernehmen. „Um nicht dem Schauspielerklischee zu entsprechen", wie er sagt. Sein freundlicher, aber kräftiger Händedruck lässt vermuten, dass der Satz „Ich gehe zwei bis drei Mal in der Woche in den Boxclub“ nicht gelogen war.