Eigentlich ist „Porgi, amor“ eine einfache Kavatine. Sie verlangt ein schönes Legato, manche Stellen sollten in einem Atem gesungen werden. Am Anfang gibt’s ein liebes Streicher-Intro, am Ende ein feines Klarinettenmotiv und dazwischen ein paar Wiederholungen. Mozart hat sie in Dur komponiert – ein kleiner Trick, um der Arie eine überirdische Aura zu geben. Klingt einfach – wäre da nicht das Aber: Denn „Porgi, amor“ ist der erste Auftritt der Gräfin Almaviva in dieser Rolle. Der Hit aus „Le nozze di Figaro“ wird nicht etwa als Zugabe gespielt, sondern steht ganz am Anfang und entscheidet über Daumen rauf oder Daumen runter.

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Hanna-Elisabeth Müller ging also bei der Premiere der Barrie-Kosky-Inszenierung raus – und? Sie sang. Sie siegte.

„Es gibt Melodien, Arien, Rollen, die sich anfühlen wie Butter. Bei denen man nicht anfängt zu basteln, nicht technisch Dinge setzt. Die kann man einfach singen und singt sie dann bis zum Ende.“ Hanna-Elisabeth Müller lächelt. „Barrie hat die Rollen sehr auf uns zugeschnitten. Er weiß immer genau, auf welche Knöpfe er drücken muss, um zu dem Ergebnis zu kommen, das er haben möchte.“

Patricia Nolz

Vom Dorf in die Welt

Patricia Nolz kommt aus dem 48-Einwohner-Ort Pultendorf in Niederösterreich. 2020 kam sie ins Opernstudio der Wiener Staatsoper und ist nach nur drei Jahren zu einer der begehrtesten Stimmen der Opernwelt geworden. Weiterlesen...

Die gebürtige Pfälzerin ist eine jener stimmlichen und schauspielerischen Ausnahmesänger*innen, die Bogdan Roščić in seinem Mozart-Ensemble zusammengesammelt hat. Künstler*innen, die für eine Zeitenwende stehen und das Publikum gleichermaßen verzaubern wie begeistern.

Niemand Geringerer als Christian Thielemann hat Müllers Stern in die Umlaufbahn des internationalen Operngeschäfts geschossen. Im April 2014 debütierte sie bei den Osterfestspielen als Zdenka in „Arabella“ und war bei Publikum und Kritik der Star der Produktion.

Hanna-Elisabeth Müller
Spaziergang durch die Oper. Hanna-Elisabeth Müller singt im Juni die Gräfin Almaviva in Barrie Koskys „Le nozze di Figaro“ und im September die Daphne in der Wiederaufnahme der gleichnamigen Richard-Strauss-Oper.

Foto: Lukas Gansterer

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Wie streng ist Thielemann?

„Sehr streng. Aber es ist ein positives, motivierendes Strengsein. Er ist es bei allen Sachen, die er macht: bei den Tempi, beim Text, beim Umsetzen seiner Vorstellung. Es ist ein Arbeitsprozess, der unbedingt notwendig ist und der zu einer Sternstunde führen kann. Das kommt meiner Arbeitseinstellung sehr entgegen: Ich bin da, um zu arbeiten, ich möchte verbessert werden. Ich vertraue Herrn Thielemann absolut und ohne Fragezeichen.“

Gab er Ihnen einen Rat mit?

„Ja: ‚Alles nicht zu früh. Bleib immer bei dem, was du singst.‘“

Und? Halten Sie sich daran?

(Lacht.) „Meistens ja – sein Rat schwebt bei vielen Entscheidungen mit im Raum. Beglückend sind für mich Abende, an denen viele Sachen, die man sich vorgenommen hat, funktionieren. Ich habe in mir noch immer das Bild, das ich als Kind von Oper hatte: die Vorstellung, dass eine winzige Stimme einen Raum fluten kann. Dass so etwas möglich ist, finde ich wahnsinnig schön.“

Es gibt Rollen, die sich anfühlen wie Butter. Wo man nicht anfängt zu basteln. Man singt einfach.

Hanna-Elisabeth Müller, Sopran

„Hänsel und Gretel“ war Müllers erste Oper, die sie als Kind gesehen hat. Geige kann sie auch, „aber das war einfach nicht mein Ding. Beim Singen ist so viel mehr dabei: die Sprachen, der Text, die Schauspielerei, die Bewegung und die Ästhetik. Es spielen einfach viele Faktoren zusammen, die mich mehr gereizt haben.“ In Rudolf Piernay findet sie einen Gesangslehrer, der sie bis heute begleitet.

„Ich denke mir bei jeder neuen Rolle: Was sind die Schwierigkeiten? Gibt es etwas, was ich trainieren muss? Zeichnet sie sich durch etwas aus? Koloraturen? Lange Bögen? Sind das Sachen, die ich rausnehmen muss und die dann mit langer Planung in die Stimme gesungen werden? Wie ist bei fremdsprachigen Rollen der Sprachcode? – Das sind die Säulen, und dann gehe ich damit zu meinem Coach oder Lehrer, und schließlich setzt man das Stück für Stück zusammen.“

Fragen an sich selbst, die zeigen, welch immenser Arbeitsaufwand hinter gelungenen Rollenerarbeitungen steckt. Und wie ist das mit Mozart? In beiden Da-Ponte-Neuinszenierungen – „Figaro“ und „Don Giovanni“ – brillierte Hanna-Elisabeth Müller.

„Mozart hat etwas sehr Einfaches, sehr Berührendes, den Kern Treffendes. Er schafft Momente, in denen man einfach die Luft anhalten möchte und voller Bewunderung nur ‚Oh‘ sagen will.“ Die Sängerin lächelt und setzt nach. „Man könnte es auch banaler formulieren: Es sind einfach richtig gute Opern, die einen abholen und mitnehmen.“

Ihr ganzes Leben ist Musik. Mit welcher Melodie sind Sie heute aufgewacht?

„Daphne. Vermutlich, weil ich das gestern vor dem Einschlafen gehört habe.“

Gedankenmelodien, die eigentlich auch schon wieder Arbeitszeit sind. Denn ab dem 12. September wird Hanna-Elisabeth Müller die Daphne singen.

Was ist das Besondere an der Daphne?

„Die Figur, die Musik. Es ist eine Rolle, die sehr viel an Stimme und Gefühl einfordert – daher ist sie aktuell auch immer in meinem Kopf.“

Es wird das Rollendebüt der Sopranistin, und man macht sich keine Sorgen, dass Hanna-Elisabeth Müller es versemmeln könnte. Denn wie sagt der sympathische Star so schön: „Mit einer ruhigen, konzentrierten, gut geplanten Vorbereitung bekommt man alles hin.“