Strauss unter die Leute bringen: Indigo und die 23 Räuber*innen
Anna Bernreitner schickt die allererste Operette von Johann Strauss auf große Tour durch ganz Wien. Kein Bezirk wird ausgelassen. Welche Herausforderungen eine solche Reise-Operette mit sich bringt, haben uns die Regisseurin und die Bühnenbildnerin Katarina Ravlić – bei turbulenter Wetterlage – erzählt.

Foto: kalinkaphoto
Obwohl ihr der Wind um die Ohren pfeift und eine graue Wolke den gerade noch strahlend blauen Himmel über dem Wertheimsteinpark zusehends verdunkelt, wirkt Regisseurin Anna Bernreitner ziemlich entspannt. „Es kann sein, dass sich die Probe ein bisschen nach hinten verschiebt“, sagt sie mit ruhiger Stimme, während sich die bedrohlich anmutende Regenwolke immer mehr über die große Parkanlage im 19. Bezirk schiebt. Ihre Gelassenheit rührt auch daher, dass die gebürtige Niederösterreicherin eine ausgewiesene Expertin für Musiktheater an ungewöhnlichen Orten – und damit auch für den Umgang mit turbulenten Wetterlagen – ist. Wir setzen uns auf eine Parkbank, hinter uns ist das ganz in kräftigen Blau- und Pinktönen gehaltene Bühnenbild ihrer unter freiem Himmel stattfindenden Operettenproduktion „Indigo und die 23 Räuber*innen“ zu sehen. Von 1. bis 23. Juni tourt die Inszenierung durch alle Wiener Bezirke. Startpunkt war der Stadtpark im 1. Bezirk, das Finale findet am 23. Juni in Liesing statt. Die Produktion, eine Kooperation zwischen dem WIR SIND WIEN.FESTIVAL und Johann Strauss 2025 Wien, ist eine etwas verkürzte Version der allerersten und kaum gespielten Operette „Indigo und die 40 Räuber“ von Johann Strauss.
Der Inhalt ist schnell erklärt: Ein Liebespaar aus Wien strandet auf der exotischen Insel von König Indigo. Fantasca gerät zwar in seinen Harem, jedoch gelingt es ihr, sich den größenwahnsinnigen König vom Leib zu halten. Ebenjenem scheint nicht bewusst zu sein, dass sein Reich vor einer Krise steht. Am Ende kann das Paar fliehen. Rund um die Frage „Wer von uns ist ein Esel und wer ist Eselstreiber?“ entspinnt sich in der ansonsten leichtfüßigen Operette auch ein Diskurs rund um Macht und Machtgelüste.

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Blautöne und Punschkrapfenrosa
„Unsere Inszenierung ist deutlich kürzer als das Original, die Seele des Stückes wollten wir trotzdem erhalten“, so Bernreitner, die davon überzeugt ist, dass sich durch das ungewöhnliche Setting und die Reduktion, die eine tourende Inszenierung verlangt, ein besonderer Charme ergibt. Mittlerweile hat sich auch die Bühnen- und Kostümbildnerin Katarina Ravlić zu uns gesetzt. Sie nickt und fügt hinzu: „Es lag nahe, bei der Bühne als auch beim Kostümbild ein schönes und kräftiges Indigoblau zu verwenden, beispielsweise für das Kostüm des Königs. Alle anderen Inselbewohner*innen tragen verschiedene Blautöne, für das Paar aus Wien haben wir nach einer Farbe gesucht, die etwas mit der Stadt zu tun hat. So kamen wir auf Rosa, weil man dabei vielleicht an Mannerschnitten oder Punschkrapfen denkt.“
Gleichzeitig hätten sie gemeinsam versucht, eine heutige Übersetzung für die Frauen aus Indigos Harem zu finden, wirft Anna Bernreitner ein. „Es war Katarinas Idee, sie als Blumenfrauen zu inszenieren. Damit ist man nicht gezwungen, an öffentlichen Orten eine Form von Orientalismus, Freizügigkeit oder Übergriffigkeit zu zeigen. Ich wollte nicht, dass Menschen und vor allem Kinder das Gefühl bekommen, dass so ein Verhalten in Ordnung ist, weil sie es gerade in ihrem Park sehen. Anders als im Opernhaus lässt sich außerdem nicht steuern, wer sich die Produktion ansieht und wie lange die Menschen zusehen. Das bedeutet wiederum, dass sie vielleicht nicht sehen, welche Folgen das Verhalten einer Figur hat.“

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Mit dem Einkaufswagen über die Bühne
„Indigo und die 23 Räuber*innen“ ist die erste Zusammenarbeit zwischen Anna Bernreitner und Katarina Ravlić. „Kati hatte viele Ideen und hat sich gleich total reingeschmissen. Zu Beginn habe ich mich immer wieder gefragt, wie sich das alles in dem kleinen LKW ausgehen soll“, hält Anna Bernreitner lachend fest und setzt nach: „Ich finde das einen total guten Zugang, weil man meiner Erfahrung nach dazu neigt, sich mehr zu reduzieren als man eigentlich müsste.“
Nun passe alles gut in den LKW, erzählen die beiden Künstlerinnen. Dass dieser überall gut hinkommt, sei einer der wichtigsten Faktoren bei der Wahl der Locations gewesen, fügt Katarina Ravlić hinzu. Dabei spielte auch die langjährige Festivalerfahrung von Karin Hoffmann, Leiterin des WIR SIND WIEN.FESTIVALs, eine entscheidende Rolle. Ein hohes Maß an Flexibilität ist dennoch bei jeder Vorstellung gefordert. Nicht nur wegen des Wetters. „Die Distanzen sind jedes Mal anders. Das bedeutet, dass sich die Sänger*innen teilweise hinter dem Orchesterzelt umziehen müssen“, so Bernreitner.
Zu den logistischen Herausforderungen kämen natürlich auch viele künstlerische hinzu, erklärt sie nach einer kurzen Pause. „Die meisten Menschen werden sich frontal zum Geschehen positionieren, aber es gibt immer auch Zuseher*innen, die rundherum gehen oder hinter die Bühne schauen möchten. Für die Sänger*innen bedeutet das, dass sie auch dann in ihrer Figur bleiben müssen, wenn sie gerade nicht singen. Den Moment, in dem man über eine unsichtbare Schwelle steigt, um sich in die Bühnenwelt zu begeben, gibt es bei solchen Produktionen nicht. Bei der gestrigen Probe ist mitten in einem dramatischen Monolog plötzlich eine Frau mit einem Einkaufswagen über die Bühne spaziert. Alle haben gelacht. In solchen Situationen wird einem so richtig bewusst, dass Oper wirklich immer im Moment stattfindet.“
Die Oper unter die Leute bringen
Sie selbst sei mit dem besonderen Zauber, der von Oper und Operette ausgeht, erst durch ihr Studium der Musiktheaterregie so richtig in Berührung gekommen, erzählt die Regisseurin. Nach dem Studium entschied sie sich dazu, „OPER RUND UM“ zu gründen, um Opernproduktionen an ungewöhnliche Orte und unter die Leute zu bringen. Aktuell inszeniert sie vor allem an Opernhäusern. „Ich glaube nicht, dass alle Menschen, die im Rahmen dieser Produktion zu uns in die Parks kommen, danach plötzlich in die Oper pilgern werden, aber es wäre schön, wenn bei manchen vielleicht die Lust geweckt wird, sich kurz einmal in diese Welt zu begeben. Um dann vielleicht festzustellen, dass es auch Stücke gibt, die etwas mit ihrer Lebensrealität zu tun haben.“
Über dem Wertheimsteinpark hat sich die Sonne wieder durch die dicke Wolkendecke gekämpft. Bevor Anna Bernreitner und Katarina Ravlić zurück zur Probe müssen, wollen wir noch von ihnen wissen, was die Operette als Genre für sie ausmacht. „Ich mag die Leichtigkeit und den aufputschenden Charakter der Operette. Man hat das Gefühl, man war auf einer Feier“, sagt Katarina Ravlić. Anna Bernreitner nickt und ergänzt: „Obwohl die Charaktere teilweise sehr überspitzt gezeichnet sind, kann man sich in ihnen wiederfinden. Außerdem mag ich es, dass sich die Operette nicht so ernst nimmt. Das lässt einem beim Inszenieren – obwohl ich die jeweilige Geschichte auf jeden Fall ernst nehme – eine etwas größere Freiheit.“